Hamburg. Ehemaliger Mithäftling packt gegen zweifachen Mörder, der seit vier Jahrzehnten im Gefängnis sitzt, aus. Was ihm vorgeworfen wird.

Tiefe Falten zeichnen sein Gesicht. Die Haut ist kränklich blass. Fritz A. (Name geändert), ein Mann von 63 Jahren, wirkt deutlich vor der Zeit gealtert. Seine Lebensumstände sind auch nicht die besten gewesen; verschuldet hat er das selbst. Denn Fritz A. hat fast 40 Jahre im Gefängnis verbracht und hält damit einen Rekord, um den ihn sehr wahrscheinlich niemand beneidet: Er ist der Häftling mit der wohl längsten Zeit in einem Knast in Hamburg.

Zwei Menschen hat Fritz A. auf dem Gewissen, erhielt für beide Taten jeweils wegen Mordes lebenslange Haft. Das zweite Kapitalverbrechen beging er in der Justizvollzugsanstalt „Santa Fu“, dort, wo in Hamburg die „Langzeithäftlinge“ einsitzen. Und dieses Gefängnis ist auch der Ort, wo er im vergangenen Jahr eine weitere Straftat begangen haben soll.

Prozess in Hamburg: Zweifacher Mörder und der notorische Betrüger treffen sich

Für jemanden mit seiner kriminellen Karriere mag es eine Petitesse sein: Es geht um den Erwerb und den Konsum von Drogen in der Haftanstalt. Beschuldigt hat ihn ein Mann, der ebenfalls auf einige Jahre hinter Gitter zurückblickt. Jakob R. (Name geändert) wurde schon als „Hamburgs dreistester Hochstapler“ bezeichnet.

Der Mörder und der notorische Betrüger: Es ist ein bemerkenswertes Zusammentreffen zweier Männer mit besonderen Lebensläufen jetzt im Prozess vor dem Amtsgericht. Einige Monate lang sind sich die beiden Männer öfter auf derselben Station in „Santa Fu“ über den Weg gelaufen, und Jakob R. sagt, er habe sich schnell dem älteren Mitgefangenen anvertraut und ihn um Rat gefragt, wegen dessen „höhere Erfahrungswerte“ im Gefängnis, meint der 26-Jährige. „Vier Jahre gegen vierzig Jahre!“

Fritz A. wurde wegen zweier Morde verurteilt – einer hat im Gefängnis stattgefunden

Vier Jahrzehnte im Knast: Seine erste Verurteilung wegen Mordes bekam Fritz A. 1984. Er wurde schuldig gesprochen, in der damaligen DDR einen Mann erwürgt und ihm 24.800 Ost-Mark geraubt zu haben. Nach der Tat war Fritz A. über die innerdeutsche Grenze geflohen und dabei von den Selbstschussanlagen schwer verletzt worden. Nach einem juristischen Tauziehen zwischen Hamburger Gerichten und Institutionen der DDR wurde er schließlich in der Hansestadt angeklagt und verurteilt.

Ein weiteres „lebenslänglich“ wurde gegen Fritz A. im Jahr 1995 verhängt. Hintergrund ist der Mord an einem Mithäftling in „Santa Fu“ am 12. Januar 1994. Dieter J. war in seiner Zelle umgebracht worden. Rechtsmediziner stellten seinerzeit drei Todesursachen fest: Der 51-Jährige war erdrosselt, mit einem spitzen Gegenstand erstochen sowie mit einer Bettstrebe erschlagen worden.

Vorsitzender Richter: Die Täter seien mit „größter Brutalität“ vorgegangen

Gemeinsam mit Fritz A. wurde ein weiterer Insasse von „Santa Fu“ verurteilt. Auch dieser Mann erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Das Gericht ging davon aus, dass die beiden Angeklagten dem späteren Opfer Geld und Schmuck hatten rauben wollen und ihn gemeinsam getötet hatten.

Anschließend hatten sie den Leichnam so drapiert, dass es ausgesehen hatte, als schliefe der Mann. Erst Stunden später wurden die Vielzahl an Verletzungen und der Tod des Mannes erkannt. „Mit größter Brutalität“ seien die Täter vorgegangen, betonte damals der Vorsitzende Richter in der Urteilsverkündung.

„Den machen wir platt“, hatten Fritz A. und sein Komplize nach Überzeugung des Gerichts schon Tage vor dem Mord angekündigt. Neben der lebenslangen Freiheitsstrafe stellte das Gericht seinerzeit die „besondere Schwere der Schuld“ fest. Damit gab es für die Verurteilten keine Möglichkeit, bereits nach 15 Jahren aus der Haft freizukommen.

„Santa Fu“: Der Angeklagte soll zweimal Haschisch gekauft haben

Mittlerweile allerdings könnte Fritz A., ein großer Mann mit kantigem Gesicht, im Gefängnis in den Genuss erster Vollzugslockerungen kommen – Privilegien, an denen ihm offenbar dringend gelegen ist. Vom Gefängnis aus ist der Häftling in einem speziellen Polizeifahrzeug zum Strafjustizgebäude gebracht worden, dort zum Saal gelangt er in Begleitung zweier uniformierter Beamter, aber ohne Handschellen. Müde wirkt der Angeklagte, und er sei „gesundheitlich angeschlagen“, erzählt er vor Gericht.

Darüber hinaus ist der 63-Jährige in Sorge, ob seine etwaigen Vollzugslockerungen durch das neue Verfahren wegen angeblichen Drogenerwerbs gefährdet sein könnten. Denn laut Anklage im Prozess vor dem Amtsgericht soll Fritz A. bei zwei Gelegenheiten von Jakob R. Haschisch erworben haben.

Der „Kronzeuge“ soll gegen mehrere Mitgefangene ausgepackt haben

In einem Fall im Juni vergangenen Jahres ging es demnach um 30 Gramm zum Preis von 150 Euro, die der 63-Jährige in Form von Lebensmitteln bezahlt habe. Rund zwei Wochen später soll Fritz A. erneut Haschisch besorgt haben, diesmal ist von 33 Gramm die Rede. Offenbar stimmte mit dem Stoff etwas nicht. Fritz A. habe die Drogen nach kurzer Prüfung an Jakob R. zurückgegeben, heißt es.

Die Anklage beruht in wesentlichen Teilen auf Aussagen, die Jakob R. beim Landeskriminalamt gemacht und die ihm den Status als „Kronzeugen“ eingebracht haben. Er soll gegen mehrere Mitgefangene ausgepackt und erzählt haben, dass er für sie Drogen ins Gefängnis schmuggelte und dann an sie verkaufte. Einer seiner Kunden sei Fritz A. gewesen.

Verteidiger des Angeklagten: „Es ist einfach gelogen, was der Zeuge sagt“

Wenn das tatsächlich so gewesen sei und der Angeklagte die Vorwürfe einräumt, meint der Amtsrichter an Fritz A. gewandt, dann komme er hier womöglich mit einer Geldstrafe davon. Und ein solches Urteil würde wohl etwaigen Vollzugslockerungen „nicht entgegenstehen“. Mitentscheidend sei, ob der Zeuge, der Fritz A. belastet hat, „glaubwürdig ist“.

Davon könne keine Rede sein, meint indes der Verteidiger von Fritz A., Tim Burkert. „Es ist einfach gelogen, was der Zeuge sagt.“ In einem TikTok-Account, den Jakob R. betreibt, bezeichne dieser sich selber als „Hochstapler“ und gebe an, dass er an einer Borderline-Störung leide, erzählt der Verteidiger. Auch dass der 26-Jährige schon mehrfach wegen Betruges verurteilt wurde und deshalb einige Jahre im Gefängnis verbracht hat, lasse Zweifel an der Aussage der Zeugen aufkommen, führt der Anwalt aus.

Der Zeuge soll auf Wunsch anderer Häftlinge Drogen ins Gefängnis geschmuggelt haben

In der Tat hat Jakob R. eine erstaunliche kriminelle Karriere hinter sich: Mehrfach hatte er sich unter anderem Luxusreisen und schnelle Autos ergaunert und dafür schließlich eine satte Gefängnisstrafe kassiert. Dass er gelegentlich als Freigänger den Knast verlassen durfte, sollen andere Insassen ausgenutzt und ihn als Drogenkurier engagiert haben.


„Es wurde mehrfach angefragt, ob ich Lust hätte, Drogen einzuschmuggeln“, sagt der Zeuge vor Gericht. Erst habe er das abgelehnt, sich dann aber darauf eingelassen.

Prozess Hamburg: Der Zeuge sagt, er sei „hoch gefährdet“

Laut eigener Aussage ist Jakob R. „hoch gefährdet“, weil er einige Häftlinge bei der Polizei angeschwärzt habe. Offenbar wohnt der 26-Jährige inzwischen an einem geheimen Ort. Die Polizei schütze ihn, weil es Menschen gebe, die es auf ihn abgesehen hätten. Tatsächlich wird Jakob R. zu dem Termin ins Gericht von vier Beamten in Zivil begleitet, die stets ein wachsames Auge darauf haben, ob von irgendwoher Gefahr für den Kronzeugen drohen könnte.

Jakob R. selber allerdings hat kräftig dazu beigetragen, dass sein aktueller Auftritt vor Gericht bekannt wird. Auf seinem TikTok-Kanal postete er Angaben wie „Amtsgericht“, „ich komme“, „Aussage“, „Kronzeuge“, „Drogen“, „Termin“, jeweils mit einem Hashtag versehen. Der Amtsrichter kann es kaum fassen. „Das ist dermaßen bescheuert, was Sie da machen“, sagt er. Man könnte das als Aufforderung verstehen. „Hier bin ich. Kommt her!“

Im Gericht seien Polizisten, „die ihre wertvolle Zeit damit verbringen, Sie zu schützen. Und Sie gefährden nicht nur sich selbst, sondern womöglich die Beamten!“

Der Prozess wird fortgesetzt.