Hamburg. Der Angeklagte soll in der Villa der Familie in Rotherbaum eine Pistole auf die schlafenden Kinder gerichtet haben.

Die Kinder ahnten nicht, dass sie in Gefahr schwebten. Sie bekamen nicht mit, dass eine Pistole auf sie gerichtet war und dass ihr Leben bedroht wurde. Die beiden sieben und neun Jahre alten Schüler schliefen fest, während jemand heimlich in ihr Zimmer eindrang und ein schockierendes Foto von ihnen schoss. Mit diesem Bild, das zeigt, wie eine Hand mit einer Waffe auf die Kinder zielt, sollte offenbar eine Unternehmerfamilie in Hamburg um 300.000 Euro erpresst werden.

Seit Dienstag muss sich ein 36-Jähriger wegen dieser Tat in einem Prozess vor dem Schöffengericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Luka R. (Name geändert) versuchte räuberische Erpressung vor. Laut Anklage fertigte der Mann im Dezember 2017 in der Villa der Millionärsfamilie in Hamburg-Rotherbaum heimlich das Foto von den schlafenden Kindern an und legte es am 11. Januar 2018 zusammen mit einem anonymen Erpresserschreiben und vier Patronenhülsen in eines der Kinderzimmer.

Prozess Hamburg: Millionärsfamilie aus Rotherbaum mit Schock-Fotos erpresst

In dem Brief fordert der Erpresser 300.000 Euro, die binnen 48 Stunden zu übergeben seien. Falls die Unternehmerfamilie sich weigere, das Geld zu zahlen, würden die Kinder entführt und getötet, heißt es in dem Schreiben.

Der Autor der Zeilen beginnt den Text mit der Anweisung, die bedrohte Familie solle sich „nicht erschrecken“. Er fordere das Geld, weil er dies zur Finanzierung einer Herzoperation seines sehr kranken Sohnes benötige, schreibt der Erpresser. Die betroffene Familie solle sich in die Situation des besorgten Vaters versetzen und die Zahlung deshalb als „Wohltat“ ansehen und nicht als Unheil.

Erpresser nennt sich „einen Mann, der nichts mehr zu verlieren hat“

Er selber, so der Verfasser des Briefes, sei ein „sehr verletzter Mann, der nichts mehr zu verlieren hat“. Er sei heimlich in die Villa der Familie eingedrungen, um das Foto zu machen, das die von einer Pistole bedrohten schlafenden Kinder zeigt. Das Bild ist aus der sogenannten Ego-Shooter-Perspektive aufgenommen, im Vordergrund ist die Hand mit der Waffe zu sehen. Zusammen mit dem Foto und dem Brief hinterließ der Täter einen Strauß mit weißen und roten Rosen.

In dem Schreiben deutet der Erpresser weiter an, er könne die Unternehmerfamilie unter anderem auch auf Sylt „aufsuchen“, wo sie ein Anwesen habe. Auch von einem weiteren Domizil auf einer Mittelmeerinsel ist die Rede. Offenbar will der Erpresser damit zeigen, dass er die Lebensumstände der Familie gut kennt. Er droht darüber hinaus, sie stünden „unter Beobachtung“ und spricht von „Vergeltung“.

Angeklagter gehört offenbar zum erweiterten Freundeskreis der Opfer

Wo die Opfer das Geld hinterlegen können, werde ihnen später per SMS mitgeteilt. Der Erpresserbrief schließt mit den Worten: „Seien Sie vernünftig und tun Sie etwas Gutes.“ Die Familie ließ sich indes nicht auf die Erpressung ein, sondern schaltete die Polizei ein, die schließlich Luka R. als mutmaßlichen Täter ermittelte.

Der Angeklagte gehört offenbar zum weiteren Freundeskreis der Familie des Opfers. Die Vorsitzende des Schöffengerichts, vor dem er sich verantworten muss, wies den 36-Jährigen darauf hin, dass ihm eine mehrjährige Freiheitsstrafe drohen könnte. Ein Geständnis würde sich erheblich strafmildernd auswirken. Doch zum Prozessauftakt wollte Luka R. keinerlei Angaben zu den Vorwürfen machen.

Ins Visier der Ermittler war der Angeklagte unter anderem geraten, weil er sich in der Villa der Unternehmerfamilie aufgehalten hatte, als der Erpresserbrief gefunden wurde. Auch zu der Zeit, als sehr wahrscheinlich das Erpresserfoto von den schlafenden Kindern aufgenommen wurde, soll er Gast der Familie gewesen sein. Es wurden keine Spuren gefunden, dass der Täter ins Haus eingedrungen sein könnte.

Todkrankes Kind oder Geldschulden – was ist das Motiv?

Eine Polizeibeamtin sagte zudem als Zeugin, man habe zurückverfolgen können, dass das Erpresserschreiben in einem Copyshop in Berlin fotokopiert worden sei. Der Angeklagte wohnt ganz in der Nähe dieses Copyshops. Als Motiv des Angeklagten kämen – anders als es im Erpresserschreiben formuliert wird – schlicht Geldprobleme in Betracht. Der Angeklagte habe bei mehreren Menschen aus seinem Umfeld Schulden gehabt, so die Zeugin.

Ein Polizeibeamter, der seinerzeit als einer der Ersten in der Villa der betroffenen Unternehmerfamilie angekommen war, bezeichnete das Erpresserfoto als „sehr schockierend“. So ein Bild, auf dem eine Handfeuerwaffe auf zwei schlafende Kinder gerichtet wird, sei „selbst für uns nichts Alltägliches“, sagte der Polizist.

Die Familie habe das Erpresserschreiben nach seinem Eindruck zwar „Ernst genommen“, aber die Stimmung sei relativ „entspannt“ gewesen. Allerdings habe die Großmutter der bedrohten Kinder die Bereitschaft signalisiert, die geforderte Erpressersumme zu zahlen. „Geld ist nicht das Problem bei uns“, habe die Frau gesagt.

Weiße und rote Blumen am Tatort sollen für „Tod und Leben“ stehen

Besonders auffällig sei gewesen, wie sich der Lebensgefährte der Mutter der bedrohten Kinder benommen habe. „Das ganze Haus war voller Polizei, und er tätschelt seiner Freundin immer am Hintern rum“, sagte der Zeuge. Dieser Mann sei offenbar mit dem späteren Angeklagten Luka R. befreundet gewesen. Beide hätten darüber hinaus unterschiedliche Geschäftsbeziehungen gehabt.

Als die Polizei seinerzeit im Haus der Unternehmerfamilie war, sei auch Luka R. anwesend gewesen. Er habe sich allerdings „im Hintergrund“ gehalten. Über die am Tatort zurückgelassenen roten und weißen Blumen habe der 36-Jährige gesagt, dass weiße und rote Blumen in seinem Heimatland für „Tod und Leben“ stünden.

Prozess Hamburg: Fremde Person im Haus wäre wohl aufgefallen

Das Foto von den mit der Waffe bedrohten schlafenden Kindern müsse sehr wahrscheinlich um Weihnachten 2017 herum aufgenommen worden sein, zu einer Zeit also, als auch Luka R. in Hamburg zu Gast war, berichtete eine Ermittlerin der Polizei.

Das ungefähre Entstehungsdatum der Aufnahme gehe aus einem Hinweis der Haushälterin der betroffenen Familie hervor, die die Bettwäsche, in der die Kinder schliefen, jener Zeit zuordnen konnte. Dass jemand Fremdes das Bild habe aufnehmen können, sei unwahrscheinlich. „Es war immer jemand vor Ort, dem eine fremde Person aufgefallen wäre.“ Der Prozess wird fortgesetzt.