Hamburg. Ob Blockaden oder Sitzprobleme: UKE-Orthopädin hilft Reitern. Warum das auch fürs Pferd wichtig ist.
Pferde gehören zu ihrem Leben, seitdem sie ein kleines Kind ist. Als Jugendliche ritt sie Deutsche Meisterschaften, und noch immer schafft sie es ab und zu aufs Pferd. Das Verständnis für Reiter und Reiterinnen liegt der Orthopädin und Sportmedizinerin Julia Schmidt also – und ist sogar Teil ihres Berufes.
Seit 2015 leitet die 47-Jährige am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine Sprechstunde extra für für Pferdesportler. Das Angebot ist deutschlandweit einzigartig.
Reiten: UKE bietet Sprechstunde für Pferdesportler an
Rainer Schwiebert ist wieder in der Sprechstunde. Der 72-Jährige ist professioneller Reiter aus der Nähe von Kaltenkirchen. Der Pferdewirtschaftsmeister reitet Dressur Grand Prix, hat Preise gewonnen. Aber auch Profis werden älter.
„Mein Knackpunkt ist das Kreuzdarmbeingelenk“, so Schwiebert. Damit er seinen Sport wieder unbeschwert ausüben kann und durch eine Fehlhaltung seinen Pferden nicht schadet, lässt er sich von Julia Schmidt engmaschig betreuen.
„Wenn ich Schmerzen habe, weicht der Körper automatisch aus, und ich sitze dann schief. Dann muss ich mich nicht wundern, wenn mein Pferd nicht so läuft, wie es soll. Ich muss ja die Schwingung des Pferdes abfedern können“, sagt Schwiebert. Er merkt es seinen Tieren sofort an, wenn der Fehler bei ihm liegt, wenn er nicht so sitzen kann, wie er sollte. Zu seiner Behandlung gehört neben der Physiotherapie vor Ort im Athleticum auch ein eigens erstellter Trainingsplan.
Reiten: UKE-Expertin rät zum Ergänzungstraining
Denn: „Ein Ergänzungssport ist beim Reiten wichtig“, sagt Julia Schmidt. „Reiten allein reicht nicht.“ Klar, Jugendliche haben kaum Zeit neben Reiten und Schule noch einen weiteren Sport auszuüben. Das weiß die Mutter eines Elfjährigen. Und daher sieht die Ärztin – die selbst bis Klasse S geritten ist – es als ihre Aufgabe, ihre Patienten gemeinsam mit ihrem „Medical Team Reitsport“ an die Hand zu nehmen.
„Ergänzungstraining bedeutet nicht, dass Reiter dreimal die Woche ins Fitnessstudio gehen müssen. Zwei- oder dreimal die Woche 20 Minuten zu Hause genügen.“ Das individuelle Ergänzungstraining zielt auf die jeweiligen Schwachstellen ihrer Patienten ab. Sehr häufig sind das die fehlende Rumpfmuskulatur, ein verkürzter Hüftbeuger oder Blockaden im Kreuzdarmbeingelenk. „Man muss schauen, wo das Problem liegt und was derjenige tun kann.“
Pferd und Reiter bilden Einheit – Blockaden stören das Gleichgewicht
Das ist wichtig – nicht nur für den Reiter, auch für das Tier: „Der Reiter kann das Pferd ordentlich stören. Wenn beispielsweise das Iliosakralgelenk blockiert ist, dann wird der Reiter auf der rechten Hand nur schwer mitschwingen können. Und dann fällt es dem Pferd auch schwer, kraftvoll von hinten nach vorn durchzutreten. Das kann so weit gehen, dass das Pferd ebenfalls blockiert ist.“
Das Pferd hat dann weniger Schwung, lässt sich schlechter stellen bis hin zu Taktunreinheiten. Alles kann sich direkt aufs Pferd übertragen.
UKE: Sprechstunde für Jung und Alt, für Profis und Freizeitreiter
Zu ihr und ihrem Team aus Physiotherapeuten, Sportmedizinern und Sportwissenschaftlern – fast alle ebenfalls Reiter – kommen Alt und Jung, Profis und Freizeitreiter. Der jüngste Reiter ist neun Jahre alt, Rainer Schwiebert mit seinen 72 Jahren einer der ältesten. Es ist eine Sprechstunde für jeden jeglicher Disziplin – unabhängig, ob die Beschwerden durch das Reiten verursacht werden, vor allem dabei auftreten oder ob das richtige Sitzen auf dem Pferd schwerfällt.
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Es war Schmidts Idee, eine eigene Sprechstunde für Reiter anzubieten – gemeinsam mit dem Landesverband der Reit- und Fahrvereine Hamburg. „Mir sind im Laufe meines Werdeganges zur Medizinerin immer wieder Mitreiter begegnet, die ein orthopädisches Problem hatten und mir dann erzählt haben, ihr Arzt habe ihnen gesagt, Reiten sei kein richtiger Sport“, so Schmidt. Das hat sie genervt. Denn: „Jeder, der schon einmal auf einem Pferd saß, weiß, wie komplex Reiten ist.“
Reiten beansprucht achtmal mehr Muskeln als Joggen
Reiten beansprucht achtmal mehr Muskeln als das Joggen. „Das reicht vom Handmuskel, über die man Paraden gibt, bis hin zur hinteren Oberschenkelmuskulatur, über die man das Pferd vorantreibt. Es ist zwar nicht so fokussiert auf eine Muskelgruppe wie zum Beispiel Tennis, aber es ist sehr vielschichtig.“
Auch hätten Kollegen manchmal geraten, bei orthopädischen Problemen mit dem Reiten aufzuhören. Für Julia Schmidt völlig unverständlich, trägt die gemeinsame Zeit mit dem Tier und die Bewegung doch eher zur Genesung bei. Es gibt nur wenige Beschwerden, wie etwa einen akuten Bandscheibenvorfall oder Frakturen, bei denen vorübergehend nicht geritten werden darf.
Reiten: Gesund, aber auch mit hohem Unfallrisiko verbunden
1,6 Millionen Reiter gibt es schätzungsweise in Deutschland. „Es ist ein gesundheitsfördernder Sport, aber er ist leider auch kein ganz risikofreier Sport“, sagt die Orthopädin. Immerhin lässt sich das Unfallrisiko auch durch das entsprechende Ergänzungstraining weiter minimieren. Julia Schmidt: „Wer keine Ausdauer hat, wird schnell müde, und dadurch steigt das Unfallrisiko. Wer fit und beweglich ist, hat ein geringeres Verletzungsrisiko.“
Die Spezialsprechstunde für Pferdesportler am Athleticum des UKE wird nicht von allen Krankenkassen übernommen, die Kosten für Selbstzahler belaufen sich auf etwa 180 Euro, inklusive Arzt- und Physiocheck sowie Behandlung in eineinhalb Stunden.