Hamburg. Der neue Bezirksamtsleiter Werner-Boelz verfolgt eine klare Linie: Bauen – aber bitte keine Einfamilien- und Reihenhäuser mehr.

Seit seinem Amtsantritt vor knapp einem Jahr habe er noch keinen normalen Arbeitsalltag gehabt, sagt Michael Werner-Boelz gleichermaßen resigniert und belustigt. Zunächst musste sich der neue Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord erst einmal zurechtfinden mit den Arbeitsabläufen in dem Gelbklinkergebäude an der Kümmellstraße in Eppendorf, von dem er bislang nur den Sitzungssaal der Bezirksversammlung richtig gut kannte.

23 Jahre lang hatte er dort, zuletzt als Fraktionschef der Grünen, in der Bezirkspolitik mitgemischt. Vier Wochen hatte er dann Zeit, bevor die Pandemie Hamburg erreichte. Trotz vorübergehender Lockerungen habe er vieles noch nicht machen können, das ganz oben auf seiner Agenda stand, so 54-Jährige. „Mir war es wichtig, alle Vereine und Verbände im Bezirk kennenzulernen. Aber das muss noch eine Zeit lang warten.“

Hamburg-Nord und Wandsbek bauen die meisten Wohnungen

Dennoch kann Werner-Boelz bei einem Telefonat anlässlich seines ersten Dienstjubiläums schon einige Erfolge vorweisen. Sind auch nicht alle sein Verdienst als Bezirksamtsleiter, so hat der doch als Politiker die Vorarbeit dazu geleistet. Etwa bei dem Bestreben, mehr günstigen Wohnraum zu schaffen. „Wir haben im vergangenen Jahr 1728 Wohneinheiten genehmigt, das sind rund 50 Prozent mehr als mit der Stadt vereinbart.“ Gerade in Zeiten der Pandemie sei das wichtig. „Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen von Corona sind noch gar nicht absehbar“, sagt der Bezirksamtschef. „Günstigen Wohnraum zu schaffen hat da oberste Priorität.“

Hamburg bliebe weiterhin „Hoffnungsstadt“ für viele Zuzügler, daher freue er sich, dass sein Bezirk nach Wandsbek in Hamburg die meisten Wohnungen baue. Wohnungsbau bedeutet aber ja auch oft den Verlust von Grünflächen – wie verträgt sich das mit dem Naturschutzgedanken, der einem Grünen ja im Blut liegen sollte? „Wir leben nicht in einer Traumwelt. Hier muss im Sinne des Gemeinwohls abgewogen werden“, antwortet Werner-Boelz.

Einfamilienhäuser besonders ineffizient bei Energienutzung

Hamburg brauche mehr öffentliches Grün, das müsse bei Neubaugebieten berücksichtigt und eingeplant werden. Zudem müsse mit Flächen effizienter umgegangen werden. „Wir müssen höher bauen, um mehr Menschen unterzukriegen. Die Entscheidung, dass in Hamburg-Nord in neuen Bebauungsplänen keine Einfamilien- oder Reihenhäuser mehr genehmigt werden, war ein wichtiger Schritt.“ Die Vorgabe aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag von 2020, die Werner-Boelz mit diesem Beschluss als erster Bezirksamtsleiter strikt umsetzte, hat noch einen anderen Grund: Die beiden Gebäudetypen gelten in Sachen Energienutzung als besonders ineffizient. Auch etwas, das es aus grüner Sicht zu verhindern gilt.

Ebenso wie den spekulativen Leerstand von 95 Wohnungen in Eppendorf und Winterhude. Im März hatte das Bezirksamt eine Offensive gestartet und diverse Zwangsgelder gegen die HRP Hamburg Residential Properties KG und ihre Nachfolgegesellschaften verhängt. Auf lange Sicht will er dadurch die Vermietung von leeren Wohnungen an der Jarrestadt, an der Sierichstraße und an der Eppendorfer Gustav-Leo-Straße erzwingen. Noch ist keine der Wohnungen vermietet. „Unsere Handlungsmöglichkeiten sind beschränkt, und die rechtliche Auseinandersetzung ist langwierig“, gibt Werner-Boelz zu. Doch immerhin habe man signalisiert, dass man sich nicht „auf der Nase herumtanzen lasse“.

Bezirksamt: Fahrräder, Fahrradstellplätze und Duschen für Mitarbeiter

Auch mit dem Klimaschutz gehe es voran. So lässt das Bezirksamt sich aktuell auch vom Fahrrad-Club ADFC als „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“ zertifizieren. Zu dem Angebot, das noch weiter ausgebaut werden soll, gehören Dienstfahrräder für Mitarbeiter, Fahrradstellplätze und Duschen, um sich nicht verschwitzt an den Schreibtisch setzen zu müssen, zudem einen Servicepunkt mit Luftpumpen und Flickzeug.

Die Otto-Wels-Straße im Stadtpark soll beruhigt werden.
Die Otto-Wels-Straße im Stadtpark soll beruhigt werden. © Unbekannt | Hernandez

Auch in Sachen Carsharing drückt der überzeugte Fußgänger, der als erste Amtshandlung seinen Dienstwagen abgeschafft hat, aufs Tempo. Geplant ist, schon bald mit dem Anbieter Cambio dafür zu sorgen, dass vor dem Bezirksamt entsprechende Autos stehen, die tagsüber bis 18 Uhr den Mitarbeitern dort zur Verfügung stehen – und danach den Menschen aus der Nachbarschaft. Auch das Thema Digitalisierung hat er vorangetrieben. „Wir haben die Zahl der mobilen Endgeräte für unsere Mitarbeiter im Zeichen von Homeoffice von 18 auf mehr als 50 Prozent erhöht“, so Werner-Boelz. „Ende des Jahres sollen es 95 Prozent sein. Dann soll jeder, der ein Laptop braucht, einen bekommen haben.“

Wünsche von Ansässigen sollen in Diskussion über Erweiterung des Stadtparks Gehör finden

Ebenso soll dann feststehen, wie es mit der Erweiterung des Stadtparks vorangehen kann. „Von Anfang an war geplant, die Bürger dabei mitreden zu lassen. Mehr als 10.000 Menschen haben sich im Herbst an unserer Online-Befragung beteiligt“, sagt Werner-Boelz. Demnächst solle es einen Workshop mit allen Ansässigen geben: Gastronomen, Sportvereinen, Planetarium, Stadtparkverein und Kita. „Auch deren Wünsche und Ansprüche fließen in die Diskussion ein.“ Mit Ergebnissen rechne er noch 2021.

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Und wie geht es mit der Eppendorfer Landstraße weiter? Werner-Boelz war vorgeworfen worden, den Beteiligungsprozess zu früh abgebrochen zu haben – weil sich herausstellte, dass die Idee der Grünen, die Straße für Autos und Busse zu sperren, in der Öffentlichkeit keinen Anklang fand. Der Bezirksamtsleiter weist den Vorwurf zurück. „Corona hat die im Frühjahr 2020 geplante Abschlussveranstaltung verhindert. Daher haben wir in einem Bericht die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens zusammengefasst und dem Regionalausschuss vorgelegt. Wie weiter verfahren wird, entscheidet sich dort.“

Gebeten, persönlich eine erste Bilanz zu ziehen, spricht Werner-Boelz vom „tollsten Job der Welt“. Der bewegendste Moment war für ihn bislang, als er auf einer Gedenkfeier anlässlich der Ermordung des Türken Ramazan Avci 1985 durch Skinheads gesprochen habe. „Die Dankbarkeit der Angehörigen, dass sich ein ,Bürgermeister‘, wie sie es nannten, um das Gedenken für Opfer rechter Gewalt kümmert, war berührend.“