Hamburg . Thomas Domres sieht keine Schuld bei sich, will aber SPD nicht schaden. Er hatte das Konzert im Stadtpark mit seiner Frau besucht.

Die Korruptions-Ermittlungen rund um die Vergabe von 100 Frei- und 300 Vorzugs-Kaufkarten für das Rolling-Stones-Konzert 2017 im Stadtpark haben einen weiteren SPD-Politiker praktisch das Amt gekostet. Der bisherige Chef der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord, Thomas Domres, teilte am Montag mit, dass er sein Amt ruhen lasse. Grund sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Abgeordneten-Bestechlichkeit. Zuvor hatte der geschäftsführende SPD-Kreisvorstand ihn nach Abendblatt-Informationen Ende vergangener Woche aufgefordert, sich über einen möglichen Rückzug Gedanken zu machen.

Die Art dieses Rückzugs sorgte am Montag zunächst für Verwirrung. SPD-Fraktionsvize Alexander Kleinow sagte dem Abendblatt, Domres sei „nicht mehr das Gesicht der Fraktion nach außen“. Da er aber nicht formal zurücktrete, werde er weiter die höhere Aufwandsentschädigung eines Fraktionschefs erhalten, die laut Finanzbehörde bei 1107 Euro monatlich liegt. Am Abend dagegen teilte das Bezirksamt mit, Domres habe dem Amt erklärt, er verzichte auf die erhöhte Entschädigung.

Domres hatte das Stones-Konzert zusammen mit seiner Ehefrau Anja Domres besucht, die als Nachfolgerin von Bürgermeister Peter Tschentscher zugleich SPD-Kreisvorsitzende in Hamburg-Nord und auch Vizechefin des Hamburger Verfassungsschutzes ist. Dafür hatte Domres Gratiskarten in Anspruch genommen, die der damalige Bezirksamtsleiter Harald Rösler (SPD) an Parteifreunde, Mitarbeiter und Abgeordnete nach eigenem Gutdünken verteilt hatte. Angeblich hatte Rösler sich vor der Genehmigung des Konzerts im Stadtpark die Zustimmung der Fraktionsvorsitzenden der Bezirksversammlung geholt. Die Staatsanwaltschaft bestätigte dem Abendblatt am Montag, dass aufgrund einer Anzeige gegen Domres persönlich ermittelt werde. Auch gegen seine Frau habe es Ermittlungen gegeben, diese seien jedoch mangels Tatverdacht eingestellt worden.

„Aktuell wird aufgrund einer Anzeige gegen meine Person staatsanwaltschaftlich ermittelt“, schreibt Domres in einer persönlichen Erklärung. „Ich selbst habe von diesem Verfahren erst über die Presse erfahren und kenne den genauen Tatvorwurf noch nicht. Ich habe Respekt vor der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft. Nichtsdestoweniger bin ich der festen Überzeugung, dass die Ermittlungen eingestellt werden, denn der anscheinend erhobene Vorwurf der Bestechlichkeit trifft nicht zu und entbehrt jeder Grundlage.“ Und weiter: „Es war im Nachhinein sicher ein Fehler, die Karten anzunehmen. Aber dies stand in keinerlei Zusammenhang mit der Entscheidung des Bezirksamtes zur Genehmigung des Konzertes, die ausschließlich in der Kompetenz des Bezirksamtes lag, nicht in der der Bezirksversammlung.“

Domres will sich aus Wahlkampf heraushalten

Im Bezirkswahlkampf wolle er aber „dass in der Öffentlichkeit die politischen Inhalte im Mittelpunkt der Diskussion stehen und unsere politischen Mitbewerber keinen Vorwand haben, um sich der inhaltlichen Auseinandersetzung zu entziehen“, so Domres weiter. Die SPD habe viel im Bezirk Nord erreicht und er werde „nicht zulassen, dass der Blick darauf durch die drohende Fokussierung auf die Konzert-Angelegenheit und meine Person verbaut wird“. Deswegen werde er den Fraktionsvorsitz „bis auf Weiteres ruhen lassen“. Das Gleiche gelte für seine „öffentlichen Aktivitäten im laufenden Wahlkampf zur Bezirksversammlung“. Antreten will Domres bei der Wahl am 26. Mai aber offenbar auch weiterhin. Die SPD Hamburg Nord hat ihn auf Platz 2 ihrer Liste nominiert. Er ist daher auch auf vielen Plakaten zu sehen. Noch am Wochenende war Domres ausweislich von Fotos in sozialen Netzwerken im Straßenwahlkampf aktiv. Ein neuer Fraktionschef solle vor der Bezirksversammlungswahl nicht mehr gewählt werden, hieß es aus der Fraktion. Die Stellvertreter Alexander Kleinow und Angelika Bester übernähmen die Aufgaben von Domres bis dahin.

Das Verfahren gegen Domres ist eine von Dutzenden Ermittlungen wegen Vorteilsgewährung, Vorteilsannahme, Verleitung von Untergebenen zu Straftaten, Bestechung oder Bestechlichkeit gegen städtische Mitarbeiter, Abgeordnete, Senatsmitglieder und Mitarbeiter des Konzertveranstalters. Bisher gibt es sieben Anklagen. Elke Badde, frühere Staatsrätin unter dem damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), eine Genehmigung zur Kartenvergabe nachträglich erstellt und rückdatiert haben soll, wurde wegen der Anklage in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Das Verfahren gegen sie soll in den nächsten Wochen beginnen. Auch die zwischenzeitliche Bezirksamtsleiterin Yvonne Nische (SPD) musste wegen einer Anklage zurücktreten. Die Verfahren gegen die Staatsräte Andreas Rieckhof (SPD) und Matthias Kock wegen der Nutzung von reservierten Kaufkarten wurden gegen Zahlungen von je 3000 Euro eingestellt.

CDU Nord will Rechnungshof einschalten

Es geht bei dem Ganzen vor allem um die Frage, ob das Konzert womöglich nur gegen die Zuteilung einer hohen Zahl von Frei- und Vorzugskarten im Stadtpark genehmigt wurde – oder ob die letztlich kassierten Gebühren von 255.000 Euro womöglich deswegen besonders niedrig ausfielen. Es heißt bisweilen, die Stadt hätte gemäß Gebührenordnung ein deutlich höheres Nutzungsentgelt verlangen können. Auch diese Frage wird derzeit noch von der Staatsanwaltschaft geprüft. Die Stadt hat zwar den Vertrag mit dem Konzertveranstalter mittlerweile im Transparenzportal online veröffentlicht. Weitere schriftliche Absprachen, etwa den Letter of Intent, hielt man allerdings bisher unter Verschluss.

Die CDU hatte die Veröffentlichung aller Unterlagen gefordert und will nun in der Sache den Landesrechnungshof einschalten. „Die öffentliche Diskussion über die Nutzungsgebühr für das Konzert im Stadtpark reißt nicht ab“, sagt Andreas Schott, der Fraktionsvorsitzende in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord. Darum sei es jetzt besonders wichtig, auch bei der Gebührenhöhe für das Konzert auf der Stadtparkwiese Transparenz zu schaffen. Dies wolle die CDU mit ihrem Antrag im kommenden Hauptausschuss am 7. Mai erreichen.

Zusätzlich zu den Ermittlungsverfahren gibt es nun auch 29 Disziplinarverfahren gegen städtische Bedienstete, darunter auch zwei gegen Staatsräte und eines gegen eine ehemalige Staatsrätin. Das hat der Senat jetzt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Vorsitzenden der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Michael Kruse, mitgeteilt. Die betroffenen Staatsräte dürften Rieckhof und Kock sein, außerdem die beurlaubte Staatsrätin Badde, gegen andere Staatsräte sind jedenfalls keine Ermittlungen oder die Annahme von Karten bekannt. Zudem wurden laut der Senatsantwort in drei Fällen arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen städtische Bedienstete geprüft, in einem Fall führten diese zur Freistellung, in einem anderen wurde das Verfahren ohne Konsequenzen für den Betroffenen abgeschlossen. Ein Verfahren läuft noch.

FDP wirft Tschentscher Führungsschwäche vor

Die FDP fragte auch danach, wann der damalige für die Bezirksaufsicht zuständige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Tschentscher von den Plänen für das Konzert erfahren habe. Antwort: „Der damalige Präses der Finanzbehörde war mit der Planung, Vorbereitung und Durchführung des Konzertes nicht befasst. Der genaue Zeitpunkt der erstmaligen persönlichen Kenntnisnahme ist nicht dokumentiert und lässt sich nach zwei Jahren nicht mehr im Einzelnen rekonstruieren.“ Ebensowenig lasse sich heute noch feststellen, wann der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) oder der damalige Leiter der Senatskanzlei, Christoph Krupp (SPD), davon erfahren hätten, dass es Kauf- und Freikartenkontingente unter anderem für städtische Bedienstete gegeben habe.

„Die Affäre um die Vergabe von Tickets für das Konzert der Rolling Stones zieht immer weitere Kreise", sagte FDP-Fraktionschef Kruse. "Dass der heutige Bürgermeister und damalige Finanzsenator Peter Tschentscher erst aus der Zeitung von den Vorgängen erfahren haben soll, zeugt nicht von einer starken Führung. Wer sich die Antworten des Senats durchliest, stellt fest: Der Senat hat kein Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts. Wenn Rot-Grün nicht für vollständige Transparenz sorgt, werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln dafür sorgen."

Anmerkung: In einer ersten Fassung dieses Artikels hieß es, Thomas Domres habe sein Amt "niedergelegt". Die SPD Nord betonte dann aber, dass er es lediglich "ruhen", lasse, und "die Funktion nicht wahrnehme". Daher werde er auch weiter die volle (dreifache) Aufwandsentschädigung eines Fraktionsvorsitzenden bekommen, sagte Fraktionsvize Kleinow dem Abendblatt am Mittag. Am Abend berichtete das Bezirksamt dann auf Nachfrage, Domres habe nun mitgeteilt, auf die erhöhte Aufwandsentschädigung zu verzichten. Aufgrund dieser zunächst widersprüchlichen Aussagen ist der Artikel mehrfach aktualisiert worden.