Hoheluft-Ost. Fünf Jahre kämpften sie um preiswerte Wohnungen. Jetzt hat der Eigentümer einen Bauvorbescheid für einen sechsgeschossigen Neubau.
Helga Dohms sagt, sie komme sich jetzt manchmal so vor wie die letzte Mohikanerin. Die 86-jährige Hamburgerin steht auf dem Balkon ihrer kleinen Mietwohnung in der Hegestraße und blickt auf den Isebekkanal. Als sie vor 55 Jahren mit ihrem Mann aus Finkenwerder hierher gezogen ist, weil ihre Wohnung von der großen Flut 1962 weggespült worden war, nannten sie das Gewässer noch den „schwarzen Kanal“. So dreckig war die Isebek. Im Laufe der Jahre wurde aus Eppendorf ein schicker Stadtteil und der Gebäudekomplex an der Hegestraße zum Filetgrundstück, um das im Sommer 2012 ein erbitterter Kampf entbrannte.
Fast fünf Jahre dauert die Auseinandersetzung um die alten Terrassenhäuser an der Hegestraße in Hoheluft-Ost nun schon. Jetzt steht fest: Die historische Wohnanlage am Isebekkanal soll abgerissen werden. Die beiden Flügelbauten um den Innenhof verschwinden komplett, das Gebäude direkt am Kanal wird entkernt und aufgestockt.
Sechs Stockwerke hoch, darauf noch ein Staffelstockwerk. Hier entstehen mehr als 30 moderne und große Wohnungen mit Blick aufs Wasser und Tiefgarage. So sehen es die Pläne des Investors vor, der die Wohnanlage im Mai 2009 für 4,7 Millionen Euro von einer Erbengemeinschaft erworben hatte und den verbliebenen Mietern im Sommer 2012 die Kündigungen schickte – und jetzt nach Abendblatt-Information einen Bauvorbescheid vom Bezirksamt erhalten hat.
Eigentümer hat völlig neue Pläne entwickelt
Im Sommer 2013 hatte das Abendblatt in einem Dossier erstmals über den Häuserkampf in der Hegestraße 46 berichtet. Damals lebten noch acht Mieter in dem Altbaukomplex mit insgesamt 36 Wohnungen. Ein marodes Gebäude auf einer begehrten Fläche, in dem frei werdende Wohnungen nicht mehr neu vermietet wurden. Der jahrelange Leerstand von bezahlbarem Wohnraum aber wurde vom Bezirksamt nicht geahndet. Stattdessen erhielt der neue Eigentümer im Juni 2012 die Baugenehmigung für umfangreiche Umbauten.
Inzwischen aber ist der drei Jahre lang gültige Bauvorbescheid abgelaufen. Eine Verlängerung hat das Bezirksamt abgelehnt. Und der Eigentümer hat völlig neue Pläne entwickelt, die jetzt zum Kanal hin eine wesentliche höhere Bebauung vorsehen. Das ist möglich, weil auch der Neubau nebenan sechs Stockwerke plus Staffelbebauung hat. Diesen Plänen hat jetzt der Bauausschuss im Bezirksamt zugestimmt. Und auch das Denkmalschutzamt hat keine Einwände mehr.
Es könnte also losgehen. Zumal von den ehemals acht Mietern nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen nur noch zwei übrig geblieben sind: Makbule Can und Helga Dohms. Sie waren auch die Ersten, die vor mehr als 50 Jahren in die kleinen Wohnungen an der Hegestraße eingezogen sind.
Helga Dohms will nicht weichen
Helga Dohms zog im Frühjahr 1962 mit ihrem Mann und den zwei Kindern nach Eppendorf. Am 1. August 2012 bekam sie das Kündigungsschreiben. Die Anwälte des neuen Eigentümers schrieben: „Für unsere Mandantin besteht ein überwiegendes berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, da sie anderenfalls an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.“
So etwas nennt man „Verwertungskündigung“. Doch die juristischen Hürden für solch eine Kündigung sind hoch. Der Eigentümer muss nachweisen, dass eine Renovierung des Objekts total unwirtschaftlich ist. „Eine Verwertungskündigung ist nur im Extremfall möglich“, sagt der Jura-Professor Markus Artz, Experte für Mietrecht.
Helga Dohms wohnt noch immer in ihrer Zweizimmerwohnung. 43 Quadratmeter, Balkon zum Kanal, 300 Euro warm. Die resolute ältere Dame hat bisher die Räumungsklagen abgewehrt. Genau wie die Angebote des Eigentümers, ihre Wohnung gegen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme zu verlassen. Die Rede ist von anfangs 20.000 Euro Belohnung für Mieter, die sich früh entschieden haben, ihre Wohnungen aufzugeben oder in Ersatzwohnungen zu ziehen. Mittlerweile dürfte die Summe um ein Vierfaches darüber liegen.
Experten sprechen von „Entmietung“
Nach und nach haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren sechs von acht verbliebenen Hegestraßen-Mietern den Kampf – und ihre Wohnungen – aufgegeben. Zuletzt ist Maggi Willer im Juni 2016 ausgezogen. Ihr Anwalt sagte zum Abendblatt: „Ich kann bestätigen, dass sich meine Mandantin mit dem Vermieter auf ein für beide Seiten befriedigendes Ergebnis geeinigt hat.“
Es gibt ein Foto aus dem Abendblatt vom 14. Juni 2013. Sechs Mieter im Innenhof, bereit und entschlossen, um ihren preiswerten Wohnraum in bester Lage zu kämpfen. Schon damals wurden leerstehende Wohnungen nicht neu vermietet, die verbliebenen Mieter führten Protokoll: „EG rechts: Nach dem Auszug der letzten Mieterin wurde die Wohnung total zerstört, die Heizung herausgenommen, die Fußböden herausgenommen und alle Wände zerschlagen.“ Oder 2. OG rechts: „Die Wohnung steht seit 2007 leer und ist danach (...) zerstört worden.“ Oder 1. OG links: „Diese Wohnung, die ab 2004 leer stand, wurde total zerstört.“
Experten sprechen von einer „Entmietung“. Helga Dohms sagt, dass der gemeinsame Widerstand „einfach langsam zerbröckelt“ ist. „Wir saßen doch mal alle in einem Boot.“ Aber nach und nach sind ihre Mitstreiter verschwunden. „Manche haben sich noch verabschiedet, andere sind von heute auf morgen einfach ausgezogen.“ Das habe sie verärgert. Aber andererseits auch stärker gemacht.
Eigentümer will sich nicht äußern
Sie will nicht den Leuten weichen, „die meinen Lebensabend zerstören“. Die Ersatzwohnungen, die ihr angeboten wurden, entsprachen nicht ihren Erwartungen. „Wissen Sie“, sagt sie, „ich müsste doch so viel aufgeben.“ Ihre Familie wohnt in der Nähe, ihre Ärzte sind hier, dazu die vielen Einkaufsmöglichkeiten direkt vor der Tür.
Wie also geht es weiter? Der Eigentümer wollte sich gegenüber dem Abendblatt nicht äußern. Helga Dohms wird wohl bald erneut eine Räumungsklage erhalten.