Hamburg . Nie war eine so große Fläche von Fluglärm betroffen wie 2016, zeigen neue Daten. Streit um die richtige Interpretation der Zahlen.

Noch nie war die vom Fluglärm betroffene Fläche in Hamburg größer als im vergangenen Jahr. 13,9 Quadratkilometer wurden im Durchschnitt vom Lärm der startenden und landenden Flieger beschallt. Zu Beginn der Lärmaufzeichnungen 1999 waren es 12,6 Quadratkilometer. Das melden die Fluglärmschutzinitiativen unter Berufung auf Zahlen des Flughafens und der Umweltbehörde.

Letztere messen, wie eine große Fläche in der Airport-Umgebung mit einem durchschnittlichen Dauerlärmpegel von mehr als 62 Dezibel (db (A)) beschallt wird. Ein ebenso hoher Wert wie 2016 wurde bisher nur 2007 erreicht. 2015 lag er bei 13,8 Quadratkilometern, 2014 bei 13,3. Den niedrigsten Wert gab es 2003 mit 11,2 Quadratkilometern. In dieser Hinsicht zumindest haben die von der Bürgerschaft 2015 erbetenen Lärmschutzmaßnahmen und die „Pünktlichkeitsoffensive“ des Flughafens bisher nicht den gewünschten durchschlagenden Erfolg gebracht.

Lärmkontingent nicht verringert

Die Fluglärmschutzbeauftragte Gudrun Pieroh-Joußen bestätigte den hohen Lärmwert für 2016 in einer E-Mail an einen privaten Beschwerdeführer, die dem Abendblatt vorliegt. Darin bedauert sie, dass sich das „Lärmkontingent in den letzten Jahren leider nicht verringert“ habe. Offiziell spricht aber die Umweltbehörde für die Lärmschutzbeauftragte. Und sie verwies auf eine Antwort des Flughafens.

Der Airport Hamburg hatte auf Anfrage erklärt, dass der „Wunsch nach Mobilität weiter wächst“. Man habe aber „die Geräuschbelastung in den vergangenen zehn Jahren auf einem gleichbleibenden Niveau halten können – mit kleineren Schwankungen“. Die Zahl der Passagiere sei im gleichen Zeitraum um 26 Prozent gestiegen, die der Flugbewegungen aber um 7 Prozent zurückgegangen. „Das zeigt, dass der Luftverkehr mit immer größeren Fliegern immer effizienter wird“, sagte Flughafen-Sprecherin Stefanie Harder.

Die Lärmschutz-Initiativen fordern die Einhaltung der gesetzlichen Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr und bemängeln, dass die Stadt als Mehrheitseigner des Flughafens beim Airport auf Wachstum setze. Das unterlaufe das Bemühen um eine bessere Verträglichkeit des innerstädtischen Flughafens mit den Interessen der umliegenden Bevölkerung. Der Flughafen hat für 2016 mit 16,2 Millionen Passagieren (plus 3,9 Prozent gegenüber 2015) einen Rekord gemeldet.

Daten werden unterschiedlich interpretiert

Dass 2016 das Lärmkontingent von 13,9 Quadratkilometern mit deutlich weniger Flugbewegungen erreicht wurde als 2007, wertet die „BAW Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein“ als Indiz für das Anwachsen des Lärms: „Das heißt ja, dass das einzelne Flugereignis lauter geworden ist, weil mit weniger Flügen der gleiche Pegel erreicht wird“, sagte BAW-Sprecher Martin Mosel. Der Flughafen betonte dagegen, dass die geringere Gesamtzahl an Flügen die Lärmbelastung senke und das Passagierwachstum durch größere Flieger mit mehr Sitzplätzen aufgefangen werde. Neue Flieger sind leiser als alte, große, aber lauter als kleine.

Aus dem Umweltbundesamt war zu hören, dass beide Interpretationen von der Datenlage nicht gedeckt seien. Die Größe des Lärmkontingents lasse keine Rückschlüsse über Verschiebungen der Lärmereignisse und die belastete Personenzahl zu. Thomas Myck, „Leiter des Fachgebietes Lärmminderung bei Anlagen und Produkten, Lärmwirkung“ plädierte allerdings für ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr.

Myck erklärte auch, dass der Lärm „idealerweise“ an der Quelle bekämpft werde. „Lärmschutzfenster an Gebäuden einzubauen zum Beispiel, ist die Ultima Ratio.“ Das legt nahe, stattdessen zu bestimmten Zeiten Flugverbote zu erlassen oder schneller leisere Flugzeugantriebe vorzuschreiben. Bei den 160.650 Flügen im Jahr 2016 in Fuhlsbüttel liegt der Anteil der leisen Flugzeugmodelle Airbus A320 neo, Boeing 737 Max und Bobardier CS 3200 bei rund 1 Prozent, erklärte der Flughafen auf Nachfrage.

Fluglärm begünstigt Erkrankungen

Die Zahl der Beschwerden über Fluglärm ist in den vergangenen Jahren gestiegen. 2014 waren es 4000, 2015 schon rund 10.000 Beschwerden. 2016 gingen bis Juli bereits 25.000 Beschwerden ein. Eine Gesamtzahl für 2016 gibt es laut Umweltbehörde noch nicht. Die Wissenschaft schreibt Gesundheitsschäden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck, Schlafstörungen und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern dem Fluglärm zu. Dagegen steht der wirtschaftliche Betrieb des Flughafens und das Interesse vieler Hamburger, häufiger schnell und günstig in die Sonne reisen zu können.

Die Bürgerschaft hatte Anfang 2015 zur Senkung des Fluglärms einen 16-Punkte-Plan verabschiedet. Der darin vorgesehene runde Tisch von Fluglärmbetroffenen und -verursachern hat bisher dreimal getagt. Während der Flughafen von einer „umfänglichen Erreichung des Ziels“ sprach, ist er für die BAW gescheitert. In der Präambel stehen zwei schwer vereinbare Ziele unkommentiert nebeneinander. Das der Initiativen, die den Lärm verringern wollen, und das des Flughafens, der dies nur „unter Berücksichtigung seiner Wachstumsziele“ anstrebt. Fuhlsbüttel strebt 2017 mit 16,7 Millionen den vierten Passagierrekord in Folge an.

Fluglärmschutzbeauftragte Pieroh Joußen selbst äußerte im genannten Schreiben die Hoffnung, dass die Gebühren für Verspätungen bald gestaffelt und nach 23 Uhr im 15-Minuten-Takt steigen würden, um mehr Wirkung zu entfalten. Es sei aber „schwierig, mit Entgelten allein den Einsatz neuer Flugzeugmodelle zu forcieren“. Die Umweltbehörde meldete für November und Dezember einen Rückgang der Verspätungen nach 23 Uhr und kündigte eine Landegebührenerhöhung für laute Flugzeuge an.