Hamburg. Am Flughafen landen jede Woche ausgesetzte Hunde aus Süd- und Osteuropa, die in ganz Norddeutschland ein neues Zuhause finden.
Die Vorfreude ist kaum auszuhalten. Sarah Kellisch sitzt in einem Café in der Ankunftsebene am Terminal 1 am Hamburger Flughafen und ist aufgeregt. Es ist ein besonderer Tag: Die 30-Jährige erfüllt sich einen Herzenswunsch und bekommt einen Hund, ein neues Familienmitglied, das per Flugzeug kommt und von dem die Studentin aus Flensburg nur Fotos und Videos kennt.
Jede Woche warten Hundefreunde aus Norddeutschland am Flughafen Hamburg auf Hunde aus Europas Süden, um ihnen ein Zuhause zu schenken. Statt Hunde aus Tierheimen in der Umgebung zu sich zu nehmen, entscheiden sie sich für Tiere aus Süd- und Osteuropa. Und wer Hundehalter ist, kennt das von der Hundewiese: In Hamburg gibt es jede Menge tierische Migranten aus Rumänien, Griechenland, Zypern oder den Kanaren.
An diesem Vormittag sind es acht Hunde, die aus einem Tierheim auf Zypern kommen und in ein neues Leben starten. Sarah Kellisch hatte sich in Flip verliebt, einen schwarz-weißen Mischling, vier Monate alt. Ein aufgewecktes Kerlchen soll er sein, mit einem Jagdtrieb, und er wird wohl ein eher größerer Hund werden. Das haben ihr Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins „Hundeliebe – grenzenlos“ auf Zypern am Telefon erzählt. Es wurden E-Mails ausgetauscht, um so viel wie möglich über Flip und seinen Charakter zu erfahren. „Drei Jahre habe ich gesucht“, so Kellisch. Eigentlich sollte es ein Rhodesian Ridgeback sein, doch sie hatte das Gefühl, dass es den Züchtern nur um Profit ginge. Im Tierheim habe sie mehrmals geguckt, aber keinen passenden Vierbeiner gefunden.
Um 11.03 Uhr ist es so weit. Jutta Schlotfeldt vom Flensburger Verein „Hundeliebe – grenzenlos“ öffnet die fünf Transportboxen mit den Hunden. Das Ehepaar Vollrath aus Magdeburg hatte sich für Finni entschieden, Camela Liedtke aus Hameln wird den Jack-Russell-Mischling Jasper mitnehmen. Auch andere Hundefreunde sind da, um den Neuankömmlingen als Pflegestelle ein Zuhause auf Zeit zu schenken und sie später weiterzuvermitteln. Günstig ist es für den Tierschutzverein nicht, Hunde nach Deutschland zu holen: 300 bis 400 Euro kostet ein Transport für alle Hunde. Außerdem müssen sich Paten finden, die solche Flüge begleiten – das hat Manfred Kulemann übernommen, der auf Zypern wohnt und nach Eckernförde fährt. In anderen Fällen muss der Verein 500 Euro für einen Flugpaten zahlen.
Am Flughafen selbst ist alles provisorisch. Es gibt keinen gesonderten Bereich, damit sich alle Beteiligten in Ruhe beschnuppern können. Stattdessen bauen die Hundeliebhaber zwischen einem Geschäft für Lederreparatur und einem Stand, der für Kochboxen mit frischen Zutaten wirbt, Trink- und Fressnäpfe auf. Als Flip, Polly, Leyla, Maja, Lia, Fiona, Jasper und Finni aus den Boxen hinausgelassen werden, wedeln acht Hundeschwänze, die Freude ist groß und die Erleichterung nach der fünfstündigen Reise auch. Das zeigt sich in Pfützen und Häufchen direkt neben einem Werbestand für gesundes Essen.
Jutta Schlotfeldt und Tina Arndt von „Hundeliebe – grenzenlos“ engagieren sich ehrenamtlich für die Hunde, die in Tötungsstationen oder in Tierheimen auf Zypern und in Rumänien landen. Heute sind keine Straßenhunde dabei. „Diese Hunde hatten alle einmal ein Zuhause“, sagt Arndt. Der Verein vermittelt die Hunde und versucht vor Ort auf Zypern, das Bewusstsein für den Tierschutz zu wecken.
„Wir können Gutes tun, indem wir einem Hund ein Zuhause bieten“, sagt Bärbel Klussmann, die Polly mit nach Oyten in ihre Pflegestelle nimmt. Hat sich ein Halter gefunden, wird sie die Mischlingshündin wieder abgeben. Bei der Auswahl der Halter sind Jutta Schlotfeldt und ihre Mitstreiter wählerisch. „Wir gucken, welcher Hund zu wem passt.“ Familien mit kleinen Kindern kommen nicht in Frage. 300 Euro Schutzgebühr plus 150 Euro Flugkostenanteil zahlt ein neuer Halter. Ob es sinnvoll ist, Hunde aus dem Ausland zu holen? „Tierschutz hört nicht vor den Grenzen auf“, sagt Bärbel Klussmann. Sie ist überzeugt, das Richtige zu tun und hat nur gute Erfahrungen gemacht. „Hunde aus dem Tierschutz sind die besten, die sind sehr dankbar.“
Tierärzte sehen das zunehmende Engagement von Tierschützern für die Rettung von Hunden aus Süd- und Osteuropa dagegen häufig kritisch. 44.000 Hunde kommen pro Jahr legal nach Deutschland. Die Dunkelziffer geht in die Hunderttausende. „Teilweise wird unter dem Deckmantel des Tierschutzes mit Hunden gehandelt“, sagt Daniela Rickert von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz.
Das Hamburger Tierheim kooperiert mit einer rumänischen Organisation
Ein weiteres Problem: Welchen Hund man bekommt, bleibt offen: „Häufig werden Hunde mit Versprechungen angepriesen, die dann nicht erfüllt werden.“ Üblicherweise lerne man seinen Hund vorab kennen. Das sei bei der Vermittlung übers Internet nicht möglich. Rickert: „Da entpuppt sich ein angeblicher katzen- und kinderfreundlicher Hund als das Gegenteil.“ Straßenhunde nach Deutschland zu holen sei häufig nicht im Sinne des Tierschutzes. „Die haben häufig eine Scheu vor Menschen und fühlen sich dort wohler als auf der Couch in der Großstadt.“ Ein Hund aus dem Ausland sei zudem ein Hund weniger, der aus dem Tierheim geholt wird.
Dabei kooperiert das Hamburger Tierheim selbst mit der rumänischen Tierschutzorganisation „Pro Dog Romania“, um kleine und junge Hunde zu vermitteln. Die Erklärung: „Wir haben eher größere und ältere Hunde, auch schwierige Charaktere. Wir richten mit den rumänischen Hunden unser Angebot nach der Nachfrage“, sagt Tierheimsprecher Sven Fraaß. Diese Hunde seien gechipt, geimpft und kastriert. Ein Teil kommt von der Straße, ein anderer aus Familien. Seit April 2014 kamen 200 rumänische Hunde ins Tierheim an der Süderstraße. Fraaß macht deutlich: „Es geht beim Auslandstierschutz nicht nur um die Rettung einzelner Tiere, sondern auch darum, vor Ort Tiere zu kastrieren, Wissenstransfer zu leisten und ehrenamtliche Arbeitseinsätze zu ermöglichen.“ Auslandstierschutz, ob vom Tierheim Süderstraße angeschoben oder von „Hundeliebe – grenzenlos“ soll immer auch Entwicklungshilfe in Sachen Tierschutz sein.
Für Sarah Kellisch spielt das in diesem Moment keine Rolle. Sie lässt Flip, der später in McKenzie umgetauft wird, nicht mehr vom Arm herunter. „Genauso einen habe ich mir gewünscht.“ Ihre Erwartungen seien voll erfüllt worden. „Es ist der schönste Hund der Welt!“