Ohlsdorf . Initiative aus Hamburg bewirbt sich um Eintragung in die Liste. Auf dieser stehen bereits deutsche Brotkultur und rheinischer Karneval.
„An den Gräbern“, sagt Tobias Pehle, „werden unsere persönlichen Lebenslinien genauso sichtbar wie die Geschichte unserer Stadt.“ Und erst an den Gräbern werde vielen Menschen deutlich, wo sich ihre Wurzeln befindeten und wo ihr Platz in der Welt sei. „Der Friedhof ist also viel mehr als ein Ort der Trauer und des Verlustes“, sagt Pehle. „Er ist ein Ort der Kultur.“ Damit das so bleibt, bewirbt sich die deutsche Friedhofskultur jetzt um die Eintragung in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.
Worum geht es? Das immaterielle Kulturerbe umfasst Sitten, Gebräuche und Rituale ebenso wie Fertigkeiten, Tänze und Handwerkskunst (siehe Infokasten). Anders als das Welterbe, mit dem die Unesco rund um den Globus schützenswerte Kulturgüter und Baudenkmäler, wie zuletzt die Hamburger Speicherstadt, auszeichnet. Mit einer Entscheidung wird kommendes Jahr gerechnet.
Für Tobias Pehle von der Initiative Kulturerbe Friedhof ist Hamburg mit dem Ohlsdorfer Friedhof, dem weltweit größten Parkfriedhof, eine Hochburg der deutschen Friedhofskultur. Bestes Beispiel sei der Garten der Frauen. Auf dieser beliebten Gedenkstätte sind mehr als 50 Grabsteine bedeutender Frauen aus Hamburg aufgestellt. Widerstandskämpferinnen wie Käthe Tennigkeit, Politikerinnen wie Emmy Beckmann oder Hanna und Olga Stolten, Mitbegründerinnen der Arbeiterwohlfahrt. Damit ihre Lebensgeschichten nicht in Vergessenheit geraten, finden Führungen und Ausstellungen statt. Der Garten der Frauen lebt.
Und genau darum geht es der Initiative. Den Friedhof als einen höchst lebendigen Ort zu begreifen. „Friedhöfe sind Orte der Hoffnung, deren Bedeutung oft unterschätzt wird“, sagt Nadia Reumann vom Verein zur Förderung der deutschen Friedhofskultur. Ja, es gehe zuerst um Trauer und Erinnerung. Aber dann eben auch um Begegnung und Leben. Und die Kultur eines Volkes erkenne man auch daran, wie es mit seinen Verstorbenen umgeht.
Die deutschen Garten- und Parkfriedhöfe, die es in dieser Form seit rund 150 Jahren gibt, seien zwar ziemlich einzigartig, sagt Nadia Reumann. „Aber es ist eine Kultur der leisen Töne.“ Und deshalb komme diese Bewerbung, die von allen Mitwirkenden des Friedhofswesens wie Bestattern und Gärtnern, Steinmetzen und Verwaltern getragen wird, wie gerufen.
„Mit der Bewerbung soll unser über Jahrhunderte gewachsenes Friedhofswesen als prägendes Element der Gesellschaft gewürdigt werden“, sagt Tobias Pehle. Es sei eine herausragende Säule unserer Identität. „Im Zentrum steht das Erinnern und das Würdigen.“ Aber daneben seien Friedhöfe auch lebendige Geschichtsbücher, vielseitige Gartenlandschaften und grüner Seniorentreff.
Die rund 30.000 deutschen Friedhöfe stehen zudem vor großen Herausforderungen. Der Rückgang der Familie, die zunehmende Mobilität, die Zunahme von Urnengräbern und eine wachsende interkulturelle Gesellschaft erfordern neue Ideen, um den Wandel zu gestalten. „Viele sehen den Friedhof nur noch unter pragmatischen und finanziellen Aspekten, Gräber werden als teuer und pflegeintensiv betrachtet“, sagt Pehle. „Deshalb ist es so wichtig, die Bedeutung der Friedhofskultur wieder in den Vordergrund zu rücken.“