Winterhude. Die noch nicht genehmigte Anlage sei viel zu nah an angrenzenden Wohnungen, argumentieren sie. Eine Initiative fordert den Rückbau.
Als Daniela von Geiso Ende August nach einigen Tagen an der Ostsee auf die Terrasse ihrer Dachwohnung in Winterhude trat, bekam sie einen großen Schreck. Auf dem etwas niedrigeren Nachbarhaus, keine 15 Meter von ihr entfernt, ragte ein Mobilfunkmast auf – eine der Sektorantennen auf die Terrasse und die dahinter liegende Wohnung gerichtet, in der sie mit Mann und siebenjähriger Tochter lebt.
Die Handwerker, die noch an dem LTE-Mast der Telekom rumschraubten, konnten der fassungslosen Nachbarin keine Genehmigung für dessen zwei Tage zuvor erfolgte Aufstellung vorlegen. Das zuständige Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt des Bezirks Hamburg-Nord wusste von nichts. Und auch die Anwohner waren nicht über die Maßnahme informiert worden – lediglich auf die damit zusammenhängenden Kranarbeiten.
Offenbar wurde also umgangen, was die Umweltbehörde als üblich beschreibt. Hamburg stehe „in einem regelmäßigen Abstimmungsverfahren mit den Mobilfunkbetreibern“, heißt es in ihrem Internetauftritt. Die Betreiber würden die Bezirksämter frühzeitig über geplante Standorte informieren und sich um eine mit dem Bezirksamt einvernehmliche Standortauswahl bemühen. Dadurch seien „die zuständigen Behörden immer über die aktuellen Bauvorhaben der Mobilfunk-Netzbetreiber informiert“.
Die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulassung ist allerdings – zwei Monate nach Aufstellen der Anlage – laut Bezirksamt Hamburg-Nord „noch nicht abgeschlossen“. „Das Vorhaben wird in etwa zwei Wochen dem zuständigen Bauausschuss in nicht öffentlicher Sitzung vorgestellt“, so eine Sprecherin. Die Nachbarn sind empört. Sie befürchten, dass die Anlage im Nachhinein genehmigt wird, um den Betreibern die Kosten für einen Rückbau nicht zuzumuten.
Mit ihrer Ansicht, der Sendemast sei viel zu dicht an ihren Wohnungen installiert worden, stehen Daniela von Geiso und ihre Nachbarn offenbar nicht allein. Sowohl die Telekom-Mitarbeiter vor Ort als auch ein Informationsmanager des Tochterunternehmens Deutsche Funkturm, der auf ihr Drängen vorbeischaute, hätten eine „ungewöhnliche Nähe zur umliegenden Bebauung“ zugegeben, sagen sie.
Die Telekom will die Anlage Anfang 2016 in Betrieb nehmen. „Dann werden wir nicht mehr ruhig schlafen können“, sagt Daniela von Geiso. Wegen der Sorgen um die Gesundheit, aber eventuell auch, weil Schlafstörungen kritischen Studien zufolge zu den häufigsten Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf den biologischen Organismus gehören – neben Übelkeit, Schwindel, Depressionen, dem Nachlassen der Libido und einem erhöhten Krebsrisiko. Dass es ebenso viele Studien gibt, die die Strahlung beim Einhalten eines Sicherheitsabstands von mindestens 10,85 Metern für unbedenklich erklären, wissen die Anwohner. „Es gibt aber arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen, die Handwerkern einen zu langen Aufenthalt in Sendemastnähe untersagen“, so die Nachbarn.
Auch in der Nähe von Kindern sollen Mikrowellen nicht strahlen. In einem Gutachten von 2001 rät die Umweltbehörde von Sendemasten in der Nähe von Kitas und Schulen ab – jedoch „weniger aus Gründen des Immissionsschutzes, sondern vor allem wegen der Sensibilität der Öffentlichkeit“. „Die Kinder hier halten sich dauerhaft in Nähe des Sendemasts auf, werden aber nicht geschützt“, so Anwohner Ralf Gruber, Er hat mit seinen Nachbarn die Bürgerinitiative „Nein zum Sendemast Flügge 15“ gegründet. Für ihre Forderung, den Rückbau der Anlage, haben sie die ersten 250 Unterschriften gesammelt. Auch Mieter aus dem 15-Parteien-Nachbarhaus, dessen Dachfläche an die Telekom verpachtet wurde, schlossen sich dem Protest an, „Wir fürchten eine Gefährdung unserer Gesundheit durch elektromagnetische Strahlung“, so Gruber.
Durch den Ausbau des LTE- Netzes sollen Besitzer von Smartphones und Mobilgeräten das Internet auch außerhalb des WLANs nutzen können. 1850 Mobilfunkmasten gibt es derzeit in Hamburg; 2001 waren es noch 620. „Mobilfunk ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken“, so ein Sprecher der Umweltbehörde. Um eine lückenlose Versorgung der Bürger sicherzustellen, seien Funkmasten unerlässlich. Ihre elektromagnetische Verträglichkeit müsse aber gewährleistet sein. Bevor ein Sendemast in Betrieb gehe, werde der Standort von der Bundesnetzagentur bewertet und dann „in unregelmäßigen Abständen“ überprüft. Die Agentur überwache auch die Einhaltung der Grenzwerte. Diese wurden 1996 in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegt. „Sie untersuchen, wie sich Körpergewebe unter dem Einfluss von Mikrowellen erwärmt“, so Ralf Gruber „Demnach ist ein Abstand von drei Metern zu gering, elf Meter sind aber in Ordnung.“ Ihnen gehe es aber nicht um thermische Folgen, sondern um biologische Schäden. „Und die kann es laut Studien auch bei einem Abstand von 100 Metern geben.“
Die Telekom beruft sich darauf, dass für den Sendemast an der Flüggestraße eine Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur vorliege. „Dadurch ist die Einhaltung der ermittelten Sicherheitsabstände und somit der gesetzlichen Immissionsschutzgrenzwerte gewährleistet“, so eine Sprecherin. Man achte „immer auf eine räumliche Verträglichkeit und darauf, dass Nachbarrechte nicht berührt werden“. Das können Daniela von Geiso und ihre Nachbarn nicht bestätigen. Auch die einem so sensiblen Thema angemessene Transparenz vermissen sie angesichts der mit Fachausdrücken gespickten Texte in Gutachten oder auf der Internetseite der Bundesnetzagentur. Die Hamburger Umweltbehörde bemüht sich dagegen um Transparenz. Auf ihrer Homepage www.hamburg.de/emf-info/ beantwortet sie verständlich die gängigsten Fragen zu Elektrosmog, verweist auf Informationsquellen, zeigt eine Karte mit den Mobilfunkstandorten in Hamburg und veröffentlicht die Messergebnisse elektromagnetischer Strahlung an öffentlichen Orten – die jüngsten sind allerdings von 2009.