Für einen Sexualstraftäter blieben 69 Verstöße gegen die Führungsaufsicht zunächst folgenlos. Jetzt wurde er verurteilt. Politik hat Lehren aus dem Fall gezogen.

Hamburg. Der Vorfall am Bahnhof Barmbek scheint den Angeklagten noch heute, sieben Monate später, zu amüsieren. Wie er, damals sturzbetrunken, bei einer der zahllosen Polizeikontrollen eine Beamtin duzte, sie Süße und Schatzi nannte. Andreas B. versucht ein verschmitztes Grinsen. Eines wolle er klarstellen: „Ich habe sie nicht Süße, sondern Schnucki genannt.“

Diese Haltung, die Andreas B. am Dienstag vor dem Amtsgericht zeigt, ist bezeichnend für seinen dreist-sorglosen Umgang mit den Weisungen der sogenannten Führungsaufsicht – gegen sie verstieß er fortlaufend und ungestraft, sie waren ihm offensichtlich egal.

Dabei war B. nicht irgendein Betrüger, sondern ein verurteilter Sexualstraftäter. Während des WM-Fanfestes hatte er 2006 ein zwölf Jahre altes Mädchen in den Wallanlagen vergewaltigt, kam ins Gefängnis und nach seiner Entlassung im August 2013 unter Führungsaufsicht. Die Weisungen umfassten ein Alkoholverbot, da er betrunken als hochgefährlich galt, und das Tragen einer elektronischen Fußfessel, die er ständig betriebsbereit halten musste. So sollten die Behörden jederzeit darüber informiert werden, wo sich Andreas B. aufhält. Tatsächlich führte der 44-Jährige das Prinzip der lückenlosen Überwachung ad absurdum, indem er die Akkus seiner Fußfessel wieder und wieder nicht auflud und so mitunter stundenlang nicht zu orten war. B. war mindestens 15-mal außer Kontrolle.

Es hagelte diverse Anzeigen, Strafen blieben aber lange aus

Insgesamt 69 Verstöße gegen die Führungsaufsicht legt die Staatsanwaltschaft dem Sexualstraftäter zur Last. Meist, weil er das Alkoholverbot ignorierte, mehrfach erwischte ihn die Polizei in deliriösen Zuständen auf der Reeperbahn. Oder er kam bereits betrunken auf die Polizeiwache 34 in Langenhorn, wo er sich täglich zur Suchtkontrolle melden musste. War der Akku der Fußfessel leer, lief sofort ein Alarm in der Gemeinsamen Überwachungsleitstelle der Länderpolizeien im hessischen Bad Vilbel (GÜL) auf. Die GÜL alarmierte dann die Hamburger Polizei, die dorthin ausrückte, wo sich der 44-Jährige mutmaßlich gerade aufhielt, um ihn zum Aufladen der Fußfessel aufzufordern. Das Spiel wiederholte sich mehrfach.

Obgleich es Anzeigen hagelte, blieben Sanktionen aus. Zwar begann ein erster Prozess gegen Andreas B. im Januar, doch weil das Gericht ein psychiatrisches Gutachten abwarten wollte, zog sich die Sache über Monate hin. Und in dieser Zeit drehte der 44-Jährige richtig auf. Für die zwei Wochen zwischen Mitte April und Anfang Mai 2014 erfasste die Polizei 17 Fälle.

So schlug einmal die leere Fußfessel Alarm, als B. gerade in einer Karaoke-Bar auf dem Kiez feierte. Die GÜL rief darauf auf dem Handy von Andreas B. an, der lallend zu Protokoll gab, er habe „hier noch einige Zugaben zu spielen“ und im übrigen gebe es „Theater“, wenn die Polizei auftauche. Kurios: Aus rechtlichen Gründen war eine Inhaftierung von Andreas B. nicht möglich.

Erst nach einem geplatzten Gerichtstermin im Mai beantragte die Staatsanwaltschaft die Unterbringung in einer Entziehungsklinik. Begründung: Das WM-Fanfest stehe vor der Tür, und es sei zu befürchten, dass die Situation B. zu einer ähnlichen Straftat verleite wie 2006, als er das Mädchen vergewaltigte.

Für seine Versäumnisse machte der Täter seine Alkoholsucht verantwortlich

Der 44-Jährige räumte die Verstöße ein und machte seine Alkoholsucht dafür verantwortlich. „Im nüchternen Zustand hätte ich die Fußfessel aufgeladen, da wäre ich zur Steckdose gegangen.“ In der Entziehungsklinik mache er Fortschritte, auch die Akkupunktur und Ergotherapie helfe ihm. Er strebe einen Platz in einer betreuten Wohngruppe an.

Daraus wird vorerst nichts: Das Gericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung, zunächst muss er aber in eine Entziehungsklinik. Auch die Politik hat Lehren aus dem Fall gezogen: Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) will sich im Bund dafür einzusetzen, dass Fußfessel-Träger leichter in Haft genommen werden können, falls sie mehrmals gegen die Auflagen verstoßen haben.