Die Güteverhandlung im Fall der Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann endete zunächst ohne Vergleich. Der Richter gibt den Kontrahenten noch zehn Tage Zeit. Die Fronten sind aber verhärtet.
Hamburg. Arbeitsrichter Ilbert Albers hat ein Ziel. „Ich will, dass beide Parteien miteinander reden“, sagt er am Donnerstag beim Hinausgehen aus dem Saal 112 des Hamburger Arbeitsgerichts. Zehn Tage Zeit für einen Vergleich hat er deshalb der „Hartz-IV-Rebellin“ Inge Hannemann und der Arbeitsagentur (BA) gegeben.
Wer aber in die Gesichter der Kontrahenten schaut, mag an eine gütliche Einigung nicht glauben. „Ich bin gesprächsbereit, wenn es um die Rückkehr an meinen alten Arbeitsplatz als Arbeitsvermittlerin geht“, sagt Hannemann, wohl wissend, dass die Gegenseite vor wenigen Minuten in der Verhandlung gerade das ausgeschlossen hat.
„Eine andere Stelle zu akzeptieren, würde bedeuten, dass ich die Missstände in der Arbeitsverwaltung oder gar das Hartz-IV-System akzeptiere“, fügt sie hinzu und kündigt an: „Notfalls werde ich bis zum Bundesverfassungsgericht gehen und um mein Recht kämpfen.“ Auch eine Abfindung lehnt sie ab: „Ich bin nicht käuflich.“
Hintergrund des Rechtsstreits ist die Weigerung der Arbeitsvermittlerin, Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen zu belegen, wenn diese nicht zu Beratungsterminen erscheinen oder angebotene Jobs ablehnen. Hannemann hält eine Kürzung von Geldzuweisungen für „menschenunwürdig, weil der Betrag schon am Existenzminimum liegt“. Zudem wirft sie der Arbeitsagentur vor, die Statistik zu schönen.
Die 45-Jährige betreibt unter dem Namen „altonabloggt“ im Internet einen eigenen Blog, in dem sie mit scharfen Worten das Hartz-IV-System kritisiert. „Wie viele Tote, Geschädigte und geschändete Hartz IV-Bezieher wollen Sie noch auf ihr Konto laden?“, heißt es beispielsweise in einem auf dem Blog veröffentlichen Brief an die Bundesagentur für Arbeit.
Die Arbeitsagentur hatte die Arbeitsvermittlerin Ende April suspendiert und ihr untersagt, das Büro im Jobcenter Hamburg-Altona aufzusuchen. Als Arbeitgeber müsse man nicht akzeptieren, wenn Hannemann öffentlich ankündige, sie werde das Hartz-IV-System „von innen heraus angreifen“, sagte der Anwalt der Arbeitsagentur in der Gerichtsverhandlung.
Auf Nachfrage von Richter Albers bestätigte der Vertreter der Arbeitsagentur, dass eine Weiterbeschäftigung von Hannemann, beispielsweise in einer Hamburger Behörde, möglich sei und es bereits ein Angebot gegeben habe. „Beschäftigungsmöglichkeiten sind ja da: Frau Hannemann muss nur zugreifen.“ In einem Punkt blieb der Vertreter der Arbeitsagentur allerdings kompromisslos: „Eine Rückkehr an ihren Arbeitsplatz bei team.arbeit.hamburg wird es nicht geben.“ Zudem machte der Vertreter der Arbeitsagentur klar, dass Inge Hannemann ihre kritischen Äußerungen öffentlich widerrufen müsse.
Die Arbeitsvermittlerin hatte das Angebot, auf einen Arbeitsplatz im Bezirksamt Eimsbüttel zu wechseln, abgelehnt. „Es ging darum, dass ich nur noch Daten eingeben sollte.“ Zwar würde sie wie bisher bezahlt, die Einstufung liege jedoch niedriger. „Das Entscheidende aber ist, dass ich keinen Kundenkontakt mehr hätte“, sagte Hannemann am Rande der Verhandlung.
Richter Albers machte am Donnerstag deutlich, dass eine Versetzung von Hannemann möglicherweise durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt sein könnte. Zudem sei die Klägerin von der Stadt in das Jobcenter „abgeordnet“ worden. Deshalb müsse auch geklärt werden, ob die Stadt eine Abordnung zurücknehmen könnte.
Zugleich sprach der Richter das Recht auf freie Meinungsäußerung an. Es müsse geprüft werden, inwiefern Hannemanns Kritik dadurch gedeckt sei. Damit verwies Albers auf einen Punkt, der Hannemann und ihrem Anwalt Jussi Raafael Mameghani besonders wichtig ist. Seine Mandantin solle nicht wegen Pflichtverletzung bei der Arbeit versetzt werden, sondern weil sie öffentlich Kritik an den Hartz-IV-Strukturen geübt habe, sagte Mameghani in der Verhandlung. Daher gehe es in dieser Auseinandersetzung eigentlich um das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Hannemann ist für viele, die sich dem Kampf gegen das Hartz-IV-System verschrieben haben, längst zu einer Ikone geworden. Das zeigte sich auch am Donnerstag. Vor dem Gerichtssaal hatte sich gut 100 Sympathisanten versammelt. „Gerechtigkeit geht alle an - Support für Inge Hannemann“, stand auf einem Plakat. Im Gerichtssaal wurde bei der einen oder anderen Äußerung des Anwalts der Arbeitsagentur Unmut laut.
Die Auseinandersetzung zwischen Hannemann und der Arbeitsagentur reicht inzwischen weit über die konkreten Vorgänge in Altona hinaus. Der Gerichtsstreit steht für das sich deutschlandweit ausbreitende Unbehagen über die Qualität und die Nachhaltigkeit des Hartz-IV-Systems. Erst jüngst wurde bekannt, dass fast jeder zweite der sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger seit mehr als vier Jahren auf diese staatliche Unterstützung angewiesen ist. Für viele ist das Arbeitslosengeld II zu einem Dauerzustand geworden.
Insbesondere klagen Betroffene häufig über sinnlose Beschäftigungsangebote beziehungsweise eine zu strenge Auslegung der Vorschriften. Dass in der Tat einiges im Argen liegt, scheint die hohe Zahl erfolgreicher Hartz-IV-Klagen zu belegen. Wie das Bundesarbeitsministerium vor einigen Wochen mitteilte, wird 44 Prozent aller Hartz-IV-Klagen ganz oder zumindest in Teilen stattgegeben.
Der Bundesrechnungshof übte im vergangenen Jahr heftige Kritik an der Arbeit der Arbeitsagenturen. Sie würden in erster Linie die wenig problematischen Fälle vermitteln, weil man diese rasch aus der Arbeitslosigkeit herausbekomme, monierten die Richter. Dadurch würden Statistiken poliert.
Gegen ihre Suspendierung hatte Hannemann im Rahmen eines Eilverfahrens eine einstweilige Verfügung erwirken wollen. Das Gericht wies diesen Antrag am 31. Juli ab. Frau Hannemann sei es nicht gelungen, „das Bestehen eines offensichtlichen Beschäftigungsanspruchs darzulegen“, erklärte das Gericht die Entscheidung.