Inge Hannemann aus Altona hatte auf Wiederbeschäftigung geklagt. Nun hat das Arbeitsgericht entschieden, dass die Hamburgerin suspendiert bleibt. Vorerst.

Der Saal 112 im Hamburger Arbeitsgericht kann die Besuchermenge kaum fassen. Gut die Hälfte der rund 100 Zuhörer steht am Rand oder sitzt auf dem Fußboden. Immer wieder sind aus der Menge lautstarke Aufrufe zu vernehmen, Richterin und Anwälte sollten doch bitte schön etwas lauter sprechen. „Es geht um die Demokratie“, empört sich eine ältere Dame.

Inge Hannemann sitzt derweil ein paar Schritte entfernt neben ihrem Anwalt und lächelt zurückhaltend. Um sie geht es heute, und die meisten der Zuhörer sind gekommen, sie zu unterstützen. Die Mitarbeiterin im Jobcenter Altona ist längst zur „Ikone“ geworden für jene Menschen in unserer Gesellschaft, die sich dem Kampf gegen das Hartz-IV-System verschrieben haben.

In den Medien wird die 45-Jährige inzwischen als „Hartz-IV-Rebellin“ bezeichnet, weil sie sich weigerte, Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen zu belegen, wenn diese nicht zu Beratungsterminen erschienen oder angebotene Jobs ablehnten. Aus Sicht von Hannemann, die Speditionskauffrau lernte, Journalismus studierte und viele Jahre bei Bildungsträgern arbeitete, ist eine Kürzung von Geldzuweisungen an Hartz-IV-Empfänger „menschenunwürdig, weil der Betrag schon am Existenzminimum liegt“.

Am Dienstag musste Inge Hannemann nun in eigener Sache kämpfen. Ende April hatte ihr Arbeitgeber team.arbeit.hamburg die Arbeitsvermittlerin suspendiert und ihr verboten, das Büro im Jobcenter Hamburg-Altona aufzusuchen. Es gebe Zweifel, ob Hannemann ihre Arbeit noch rechtmäßig durchführen könne, hieß es aus dem zuständigen Hamburger Jobcenter zur Begründung.

Gegen diese Suspendierung hatte Inge Hannemann im Rahmen eines Eilverfahrens eine einstweilige Verfügung erwirken wollen. Das Gericht wies diesen Antrag am Dienstag ab. Frau Hannemann sei es nicht gelungen, „das Bestehen eines offensichtlichen Beschäftigungsanspruchs darzulegen“, erklärte das Gericht. In Eilverfahren gelten spezielle Anforderungen. So könne eine einstweilige Verfügung vom Gericht nur erlassen werden, wenn der Anspruch auf Beschäftigung zweifelsfrei feststehe, so das Gericht. Die am Dienstag gefällte Entscheidung ist allerdings nur ein Zwischenschritt. Am 14. August beginnt vor dem Landesarbeitsgericht das Verfahren in der Hauptsache. Dann werden die Richter ein abschließendes Urteil fällen.

Auch wenn der Fall für den Moment entschieden ist, steht die Auseinandersetzung zwischen Hannemann und dem Jobcenter für das deutschlandweit wachsende Unbehagen über die Qualität und den Sinn des Hartz-IV-Systems. Erst jüngst wurde bekannt, dass fast jeder zweite der sechs Millionen Hartz-IV-Empfängern seit mehr als vier Jahren auf diese knappe staatliche Hilfe angewiesen ist. Für viele ist Hartz IV längst zu einem Dauerzustand geworden.

Unmut über sinnlose Beschäftigungsangebote

Zudem wächst bei Betroffenen der Unmut über sinnlose Beschäftigungsangebote oder eine zu strenge Auslegung der Vorschriften. Dass dort wirklich etwas im Argen liegt, scheint die hohe Zahl erfolgreicher Hartz-IV-Klagen zu belegen. Wie das Bundesarbeitsministerium jüngst mitteilte, wird 44 Prozent aller Hartz-IV-Klagen ganz oder zumindest in Teilen stattgegeben.

Inge Hannemann berichtete im Gespräch mit dieser Zeitung beispielsweise von einem Hamburger Angebot, bei dem Hartz-IV-Bezieher Puzzles zusammensetzen müssten. Damit sollten sie - wie es in der Beschreibung des Anbieters heißt - strukturiertes Arbeitsleben wieder erlernen. „Daran wird nur verdient, bringt aber nichts und ist unwürdig.“

Allerdings machte die Arbeitsvermittlerin mit ihrer Kritik auch nicht vor ihren Kollegen halt. Manche Mitarbeiter sprächen ohne Bedenken Strafen, beklagte sie. Zudem würden Chefs auf Sollzahlen drängen. „Wir sollen die Menschen in prekäre Zeitarbeitsjobs oder sinnlose Maßnahmen vermitteln, um Zielzahlen zu erfüllen“, so die Kritik.

Inge Hannemann versucht seit Jahren, das aus ihrer Sicht untaugliche Hartz-IV-System zu reformieren. Immer wieder habe sie im Jobcenter bei ihren Vorgesetzten Missstände angesprochen, sagte sie am Dienstag. Aber Fehlanzeige. „Ich kann nicht verstehen, dass die Verantwortlichen nicht an einer konstruktiven Kommunikation interessiert sind.“

Dabei glaubt die zierliche Frau, „große Angst“ bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausgemacht zu haben. „Sie fürchten, dass die Missstände bekannt werden, die es nur gibt, weil es das Hartz-IV-System gibt.“ Hannemann betreibt im Internet seit zwei Jahren einen eigenen Blog „altonabloggt“ und berichtet dort auch über interne Vorgänge bei der BA.

„Frau Hannemann hat sich den falschen Beruf ausgesucht“

In der Tat reagierte der Arbeitgeber von Inge Hannemann ungewöhnlich harsch auf ihre Äußerungen. „Weder widerspricht die Grundsicherung dem Grundgesetz, noch verletzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter durch ihre tägliche engagierte Arbeit die Würde der Kunden“, erklärte die Agentur für Arbeit Mitte Juni. Zugleich warf man der 45-Jährigen vor, sie handele „nach Gutdünken“ und lebe „persönliche, politische Vorlieben“ aus. Wörtlich hieß es: „Frau Hannemann hat sich den falschen Beruf ausgesucht.“

Es gehe bei der Suspendierung daher auch nicht um persönliche Verfehlungen oder Pflichtverletzungen, sagte ihr Anwalt Raafael Mameghani am Dienstag. „Noch im August vergangenen Jahres wurde meiner Mandantin ein Zeugnis ausgestellt, in dem sie als unentbehrlich, hoch qualifiziert und geeignet für eine Führungsposition beschrieben wird.“ Zudem sei sei nie abgemahnt worden.

Wohl auch deshalb empörte Inge Hannemann sich am Dienstag darüber, dass in der Verhandlung ihre grundsätzliche Kritik am Hartz-IV-System nicht im Mittelpunkt gestanden habe. „Ich wurde nicht angehört!“ Für sie gehe es in der Auseinandersetzung daher um „die Einschränkung meiner Meinungsfreiheit“. Hannemann verbuchte die Erklärung des Gerichts denn auch als einen Erfolg für sich. Das Recht auf freie Meinungsäußerung werde ihr darin nicht abgesprochen.

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping war extra angereist, um der „Hartz-IV-Rebellin“ öffentlichkeitswirksam ihre Solidarität zu bekunden. Befragt nach dem „beredten Schweigen“ der SPD, die in Hamburg mit absoluter Mehrheit reagiert, sagte Kipping mit feinem Lächeln: „Die SPD hätte im Fall Hannemann durchaus zeigen können, wie ehrlich sie es mit ihrem Linksruck meint.“