Alexander S. bricht sein Schweigen vor Gericht. Er entschuldigt sich bei den Angehörigen der vier Todesopfer des Unfalls von Eppendorf.
Hamburg. Der Todesfahrer von Hamburg-Eppendorf hat erstmals vor Gericht sein Schweigen gebrochen. Er leide nicht an Epilepsie, sagte Alexander S., räumte aber ein, vereinzelte Anfälle zu haben. Außerdem bat er die Angehörigen der Unfallopfer um Verzeihung.
„Es tut mir unsagbar leid“, sagte Alexander S. am Montag vor dem Hamburger Landgericht. Er richtete sich vor allem an die drei Söhne des Schauspielers Dietmar Mues, die vor Gericht als Nebenkläger auftreten, aber auch an die Angehörigen des Sozialwissenschaftlers Günter Amendt und der Künstlerin Angela Kurrer. „Ich bitte um Verzeihung, könnte mir an Ihrer Stelle aber nicht verzeihen“, sagte der Angeklagte und blickte dabei Woody Mues, den jüngsten der drei Söhne, direkt an.
Auf die Frage der Richterin, ob er an Epilepsie leide, sagte Alexander S.: "Nein." Die vermeintlichen Anfälle seien gar keine Anfälle gewesen, für viele der von Zeugen geschilderten Vorfälle hatte er andere Erklärungen - und löste dabei Kopfschütteln bei Anwesenden im Zuschauerraum aus. Ein Ereignis im Büro sei auf emotionale Überreaktionen zurückzuführen, so Alexander S.. Außer seinem ersten Epilepsie-Anfall 1993 räumte er insgesamt fünf weitere Anfälle ein, einen davon im Zusammenhang mit dem Unfall in Eppendorf.
Anwalt Wolfgang Römmig, der die Söhne von Schauspieler Mues als Nebenkläger vertritt, sagte nach der Aussage des Unfallfahrers: "Kein Mensch glaubt ihm ein Wort. Ich bin entsetzt und empört. Das ist das Gegenteil eines Geständnisses." Als Folge der Aussage von Alexander S. soll nun an diesem Mittwoch ein weiterer Zeuge aus seinem Freundeskreis vernommen werden. Außerdem kommen noch einmal der Gutachter Günther Thayssen sowie der Rechtsmediziner Peter Püschel zu Wort.
Bei dem Horror-Crash im März 2011 auf einer großen Kreuzung im Stadtteil Eppendorf waren vier Menschen getötet worden. Laut Anklage hatte der Unfallfahrer am 12. März 2011 unmittelbar vor einer großen, mehrspurigen Kreuzung im Stadtteil Eppendorf einen Krampfanfall und war mit mindestens Tempo 100 über eine rote Ampel gerast. Sein Wagen schleuderte in eine Gruppe von Fußgängern und Radlern. Es war einer der schlimmsten Verkehrsunfälle in der Geschichte der Hansestadt.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 40-Jährigen vor, dass er sich trotz seiner Epilepsie-Erkrankung ans Steuer gesetzt hat. Er habe das Risiko eines jederzeit möglichen Anfalls gekannt, heißt es in der Anklage. Schließlich habe er bereits zuvor drei Unfälle verursacht, bei mindestens zweien davon hätten Krampfanfälle eine Rolle gespielt. Nach dem dritten Unfall Ende 2008 war ihm zunächst der Führerschein entzogen worden, er erstritt ihn aber vor Gericht zurück.
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Für zwei medizinische Sachverständige ist die Diagnose Epilepsie unstrittig. Nach Ansicht des neurologischen Gutachters Günther Thayssen leidet der Angeklagte seit fast 20 Jahren an Epilepsie. Er sei seit Jahren in Behandlung und nehme Medikamente. „Der Sachverhalt stellt sich so dar, dass wir hier tragischerweise einen jungen Mann haben, der sich mit seiner Krankheit nicht auseinandersetzt.“
Auch nach Darstellung des rechtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Klaus Püschel war der 40-Jährige ungeeignet, ein Fahrzeug zu führen. Beide Mediziner erklärten, er habe von seiner Krankheit gewusst und sei mehrfach vor dem Autofahren gewarnt worden. Aus seiner Patientenakte gehe etwa hervor, dass der Hausarzt ihn wiederholt aufgefordert hatte, sich nicht ohne weitere Untersuchungen ans Steuer zu setzen. „Auto gewarnt. Auch bei gleicher Dosis gefährlich“, ist in der Akte vermerkt.
Der Verteidiger hat dagegen erklärt, der 40-Jährige leide nicht an Epilepsie. Auch die Verlobte des Angeklagten – die beiden sind seit 15 Jahren ein Paar – sagte als Zeugin, sie habe nichts von der Erkrankung mitbekommen. Frühere Arbeitskollegen berichteten aber von regelmäßigen Krampfanfällen im Büro. Nach schwereren Anfällen, bei denen sich der Mann auch eingenässt habe, hätten sie seine Freundin informiert, sagte etwa eine 62-Jährige. „Sie hat ihn dann abgeholt und andere Sachen mitgebracht.“ Gegen die Verlobte ermittelt die Staatsanwaltschaft inzwischen wegen Verdachts der Falschaussage.
Der Angeklagte hat seinen Ärzten verboten , vor Gericht über seine Epilepsie auszusagen – und damit die Aufklärung der Krankheitsgeschichte erschwert. Sein Verteidiger entband weder Mediziner noch Rettungssanitäter von ihrer Schweigepflicht – und widerrief auch alle bisher erteilen Schweigepflichtsentbindungen. Der 40-Jährige schickte dann allerdings – ohne Wissen seines Anwalts – an einem Wochenende ein Fax an das Gericht, in dem er einigen Ärzten doch eine Aussage erlaubte. Das widerrief der Verteidiger jedoch prompt – und erklärte, sein Mandant habe „aufgrund einer Pressekampagne“ absolut panisch reagiert.
Bisher hat der Angeklagte den Prozess nahezu regungslos verfolgt, während der Verhandlung schaute er fast stoisch vor sich hin. Was in ihm vorging, war nicht zu erkennen. Nur bei der Aussage der medizinischen Sachverständigen bat er einmal um eine Pause. Vor Beginn des Prozesses hatte er in einem Interview gesagt: „Es vergeht kein Tag, keine Stunde, an der ich nicht an das furchtbare Ereignis denke. Ich würde alles tun, um es ungeschehen zu machen.“
(jeb/dpa)