Notarzt und Sanitäter nicht von der Schweigepflicht entbunden. Kollege des Angeklagten berichtet von Krampfanfällen von Alexander S. im Büro.

Hamburg. Der Unfallfahrer von Eppendorf schweigt noch immer. Auch bei der Fortsetzung des Prozesses an diesem Montag vor dem Landgericht Hamburg machte der Angeklagte keine weiteren Angaben zum Unfallhergang. Und nicht nur das: Der heute 39-Jährige verzichtete außerdem darauf, seine Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Alle bisher erteilten Befugnisse zog er zurück.

Weder einen Rettungssanitäter noch eine Notärztin, die bei dem Unfall vor über einem Jahr im Einsatz waren, durften zum Gesundheitszustand des Fahrers verhört werden. Nur schleppend kommen deshalb die Nachforschungen der Vorsitzenden Richterin Birgit Woitas voran, die der angeblichen Epilepsie-Erkrankung des Angeklagten auf den Grund gehen möchte. Sie wies den Angeklagten darauf hin, dass sich Informationen über seine Krankheitsgeschichte für ihn durchaus positiv auswirken könnten. Wäre ein Anfall die Unglücksursache, könnte er zum Zeitpunkt des Unfalls schuldunfähig sein.

Laut Anklage hatte der Mann am 12. März 2011 kurz vor einer Kreuzung in Hamburg-Eppendorf einen Krampfanfall erlitten. Mit mindestens 100 km/h schoss er mit seinem Wagen an der Kreuzung Lehmweg/Eppendorfer Landstraße über eine rote Ampel, das Fahrzeug überschlug sich und schleuderte in eine Gruppe Fußgänger und Radfahrer, die an der Fußgängerampel warteten. Vier Menschen wurden getötet, unter ihnen der Sozialforscher Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und dessen Frau Sibylle.

Kollege: "Er hatte einen Krampfanfall im Büro"

Ein angehörter Kollege bestätigte Vermutungen über die Vorerkrankung des Angeklagten: Er war etwa zwei Monate vor dem Horror-Crash im Büro Zeuge eines Anfalls des Fahrers geworden. Als sie im Büro gemeinsam über ein Computer-Problem gesprochen hätten, habe der Angeklagte plötzlich einen "starren Blick" bekommen und den Arm des Kollegen umklammert. "Es war ein sehr fester Griff", sagte der Zeuge; nach wenigen Sekunden sei der Spuk aber vorbei gewesen. Auch andere Kollegen hätten über ähnliche Vorfälle und "Einnässen" des Beschuldigten gesprochen. Der sei zuletzt meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Taxi zur Arbeit gekommen.

Schon am vergangenen Verhandlungstag hatte der Arbeitgeber des Angeklagten diese Beobachtungen bestätigt . Der Angeklagte hatte vor Beginn des Prozesses behauptet, von einer möglichen Unfallgefahr durch seine Erkrankung nichts gewusst zu haben - obwohl er schon drei Unfälle verursacht hatte. Bei zweien sollen auch krampfartige Anfälle schuld gewesen sein.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 39-Jährigen deshalb vor, fahrlässig gehandelt zu haben, indem er sich trotz der Vorerkrankung ans Steuer gesetzt habe: Der Angeklagte steht wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs vor Gericht.

Neben dem Kollegen wurde am Montag ein Unfallzeuge verhört. Er hatte den Fahrer nach dem Unfall aus seinem Wrack gezogen und zu einem Stuhl getragen. „Er wirkte unter Schock, aber klar“, sagte der Zeuge. „Ich hab ihn nicht als verwirrt wahrgenommen.“ Auf Fragen habe der Mann direkt und verständlich geantwortet; auch die Geheimzahl seines Handys konnte er ohne Probleme eingeben, um kurz mit jemandem zu telefonieren.

Ein Polizist, der den Angeklagten kurz nach dem Unfall befragte, sagte, er habe zum Unfallhergang keine Angaben machen können. Der Mann habe eine Erinnerungslücke gehabt: „Er wusste nicht mehr genau, wie er aus dem Auto gekommen ist.“ Er sei zwar sichtlich mitgenommen gewesen, aber nicht verwirrt oder abwesend. Ein Feuerwehrmann hatte dagegen nach dem Unfall erklärt, der 39-Jährige habe etwas neben sich gestanden.

Der Verteidiger warf der Polizei am Montag schwere Fehler vor. Die Beamten hätten seinen Mandanten nach dem Unfall in Eppendorf rechtlich nicht ordnungsgemäß belehrt, bevor sie ihm eine Blutprobe entnahmen. Im Blut des Unfallfahrers war der Wirkstoff THC entdeckt worden, der in Haschisch oder Marihuana enthalten ist. Für die Anklage spielen die Drogen jedoch keine Rolle, weil sich damit das Unfallgeschehen nicht erklären lasse.

Das Gericht verspricht sich von weiteren Zeugenaussagen detaillierte Erkenntnisse über die Krankengeschichte des Angeklagten, ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Mit einem Urteil wird aber nicht vor Mai gerechnet.

Mit Material von dpa