Hamburg. Die Mutter von zwölfjährigen Zwillingsmädchen nimmt es jeden Tag mit dem Sumpf in St. Georg auf. Was sie erlebt, ist schockierend.

  • Nadja C. lebt seit 40 Jahren in St. Georg und sagt: „So schlimm war es noch nie.“
  • Die Drogenabhängigen erleichtern sich mitten auf dem Gehweg, haben dort Geschlechtsverkehr.
  • Junkies aus benachbarter Unterkunft greifen die Hamburgerin regelmäßig an.

Wenn Nadja C. (Name geändert) und ihre Zwillingstöchter durch das Viertel gehen, sehen sie Drogenabhängige, die auf den Gehweg urinieren und die im Sommer schamlos Sex am Straßenrand haben. Dass Junkies Nadja C. belästigen und attackieren, ist trauriger Alltag. „Das ist hier die Bronx und für uns alle die Hölle – aber keiner tut was dagegen“, sagt sie. Nadja C. lebt inmitten der Drogenszene nahe dem Hamburger Hauptbahnhof. Nicht in einem heruntergekommenen Ghetto, sondern mitten in St. Georg in Hamburg.

Wer erleben möchte, wie es sich anfühlt, wenn man sich von der Politik im Stich gelassen fühlt, sollte an einem sonnigen Tag einmal durch St. Georg streifen, sagt die 60-Jährige. „Dann sind hier die Zombies überall. Sie hinterlassen ihr Geschäft ungeniert mitten auf dem Gehweg. Sie haben Sex in Hauseingängen.“ Sie möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, um sich und ihre Familie zu schützen.

St. Georg: Drogenabhängige konsumieren Heroin und Crack offen vor den Augen der Kinder

Nadja C. nennt die Drogenabhängigen vor ihrer Haustür in St. Georg Zombies, weil sie „wie Tote durch die Gegend wanken“. Das liegt an Drogen wie Heroin, Crack und Fentanyl. „Diese Menschen sind hochaggressiv unterwegs. Ich habe Sorge um meine Kinder.“

Nadja C.
Neben der Tankstelle, an der Nadja C. arbeitet, liegt der Dreck der Obdachlosen und Junkies aus der Nachbarschaft. „Im Sommer ist es schlimmer – dann riecht es nach Urin und Fäkalien“, sagt die 60-Jährige. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Nadja C. lebt seit 40 Jahren in St. Georg. „So schlimm wie momentan war es noch nie, die Pandemie hat es weiter verschlechtert“, sagt sie. Mit dem Drogenkonsumraum Drob Inn am Besenbinderhof in der Nähe des Hauptbahnhofs dringt diese Klientel auch in die Wohngebiete ein. „Die sind überall.“ Ihre zwölfjährigen Töchter lässt sie nirgends allein hingehen. „Sie werden immer begleitet, auch zur Schule.“ Als ihr heute 25 Jahre alter Sohn drei Jahre alt war, berichtet Nadja C., sei er von einer drogenabhängigen Frau auf dem Bürgersteig attackiert worden. „Sie hat ihn einfach geschlagen.“

Angst hat Nadja C. jedoch keine. Vor niemandem. Das hat sie längst überwunden. Sie ist einfach nur noch wütend, dass Menschen wie sie und ihre Nachbarn in solch einer Umgebung ihre Kinder aufwachsen lassen müssen. Die Situation, so die Meinung der Menschen in dem Quartier, laufe aus dem Ruder. Wegziehen? Das ist keine Option für Nadja C. Schließlich ist es schwer, in Hamburg bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und am wichtigsten ist der entschlossenen Frau: „Ich lasse mich doch nicht aus meinem Zuhause vertreiben.“

St. Georg: Zweite Drogenhilfeeinrichtung geplant – „einfach zu viel für die Gegend“

Nicht nur ihr Zuhause, auch ihre Arbeitsstelle – eine Tankstelle an der Spaldingstraße in Hammerbrook – ist vom Drogenelend umgeben. Nadja C. erlebt im Job ständig Übergriffe, Diebstahl, Raub, Vandalismus, offenen Konsum und übelste Verunreinigungen. In der Nähe ihres Arbeitsplatzes gibt es eine Tagesunterkunft für wohnungslose Menschen. Und demnächst soll an der Repsoldstraße 27 eine zweite Drogenhilfeeinrichtung entstehen – nur wenige Meter vom Drogenkonsumraum und Beratungszentrum Drob Inn entfernt. Eine Übernachtungsmöglichkeit für obdachlose Abhängige soll es dort geben, eine ambulante Psychiatrie und weitere Angebote

„Das ist einfach zu viel für die Gegend“, sagt Nadja C. Wenn sie an der Tankstelle arbeitet, erlebt sie jeden Tag das Elend. Die Junkies kommen mit Kreditkarten, die ihnen nicht gehören. Sie belästigen und bestehlen Kunden. Und sie greifen auch Nadja C. an. „Ich habe Tritte und Schläge bekommen, wurde mit Messern und Pistolen bedroht.“ Sie zeigt Videos aus der Überwachungskamera. Zu sehen ist, wie eine Frau Nadja C. attackiert. Bei einer anderen Sequenz ist zu sehen, wie eine Kundin beim Tanken von einem Unbekannten angegriffen wird.

Mehrere Konsumenten stehen vor der Drogenberatungs- und Konsumstelle Drob Inn in St. Georg (Archivbild).
Mehrere Konsumenten stehen vor der Drogenberatungs- und Konsumstelle Drob Inn in St. Georg (Archivbild). © Michael Arning | Michael Arning

Drogenelend in St. Georg – Polizei Hamburg „ist doch total machtlos“

Für Nadja C. sind das keine Unbekannten – es sind Menschen aus den umliegenden Hilfseinrichtungen. Die Polizei ruft sie schon lange nicht mehr. „Die sind doch total machtlos. Die Leute sind am nächsten Tag gleich wieder da.“

Sie hat zu oft erlebt, dass weder Politik noch Polizei ihr und den anderen Anwohnern helfen können. Nadja C. hilft sich selbst. Bei der Arbeit hat sie Pfefferspray. Zudem geben ihr die Überwachungskameras ein gutes Gefühl. Und bei Gefahr kann sie in einen kleinen Raum flüchten und sich einschließen. „Die rütteln dann an der Tür“, sagt Nadja C. Und das alles passiert mitten in Hamburg, nur einen Kilometer von der Mönckebergstraße entfernt.

Nadja C. wünscht sich von der Politik, endlich gesehen zu werden. „Die Junkies sollten weggebracht werden. In die Natur, weg von den Drogen“, so ihre Idee. „Es ist falsch, sie in ein Wohngebiet zu bringen.“ Ihr Leben ist ein ständiger Kampf gegen die Drogenabhängigen vor ihrer Haustür. „Die Politik soll endlich in die Puschen kommen, das hier ist mein Zuhause.“

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Die Stadt Hamburg ist sich des Problems in St. Georg bewusst und versucht mit diversen Maßnahmen gegenzusteuern, sagt Wolfgang Arnhold, Sprecher der Sozialbehörde. So führe die Polizei nahezu wöchentlich Schwerpunkteinsätze durch. „Im Rahmen dieser geplanten Schwerpunkteinsätze ist es möglich, schlagartig eine Vielzahl von Personen in einem bestimmten Gebiet zu kontrollieren und deren Fluchtmöglichkeiten zu unterbinden“, so Arnhold.

Drogenelend in St. Georg – „mein Hamburg wird an die Wand gefahren“

Es sei außerdem durchaus sinnvoll, diese Klientel an einem Ort gebündelt zu betreuen, um das Angebot so niedrigschwellig wie möglich zu machen. „Generell gilt die Prämisse, dass die Hilfe dort geleistet werden muss, wo die Hilfebedarfe am größten sind. Zentrales Ziel all unserer Hilfeeinrichtungen rund um den Hauptbahnhof ist es, sowohl obdachlose als auch suchtkranke Menschen möglichst nah an unseren Einrichtungen zu halten.“ Um zu verhindern, dass die Szene weiter in die Wohngebiete von St. Georg eindringt, versucht die Stadt durch den Umbau des Vorplatzes und der angrenzenden Parkfläche zum Drob Inn die Klientel dort zu behalten.

Nadja C. glaubt nicht an eine Besserung. Und auch die stärkste Kämpferin wird irgendwann müde. „Ich habe keine Kraft, keine Worte mehr“, sagt sie. „Es ist ganz schlimm. Mein Hamburg wird an die Wand gefahren.“