Hamburg. Hamburgs Zukunftsstadtteil ist in der Gegenwart angekommen, größere Baustellen gibt es noch im Osten. Ein Stadtbummel mit Andreas Kleinau.

Stadtentwicklung erinnert ein bisschen an einen Marathon – und ausgerechnet auf den letzten Kilometern kommt die HafenCity etwas ins Straucheln. Der Elbtower steht vor einer ungewissen Zukunft, das Überseequartier hat sich mehrfach verzögert, das Kongresshotel wurde verworfen. Die Krise aus Zinssteigerungen, Preisexplosion und veränderter Nutzung haben auch Hamburgs Vorzeigeprojekt getroffen.

Die HafenCity aber auf die Krise zu reduzieren, wäre so unfair wie falsch. Denn in besseren Zeiten ist die ambitionierte Stadterweiterung auf immerhin 159 Hektar teilweise stürmisch gewachsen – und noch immer drehen sich Dutzende Kräne.

Das Interesse an der HafenCity wächst

Von den 122 Baufeldern ist nur noch ein gutes Dutzend nicht vergeben, auf vielen entstehen Häuser, die nicht nur auffallen, sondern Neues wagen. „Die Neugier, die dieser Stadtteil auslöst, ist riesig“, sagt Andreas Kleinau, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH. „Der Besucherstrom nimmt nicht ab, sondern wächst weiter.“

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Andreas Kleinau, der Vorsitzende der Geschäftsführung der HafenCity GmbH, bei Rundgang mit dem Abendblatt. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Das ist mehr als Zweckoptimismus. Wer sich dieser Tage in den Osten des Stadtteils aufmacht, sieht überraschend viele Passanten. Ein paar Touristen mischen sich unter die ersten Bewohner, Schüler laufen fröhlich am Wasser entlang, Jogger ziehen ihre Runden, und Stadtangler bringen Ruhe in die Szenerie.

Wenn alles klappt, bekommt der Stadtteil mit der Oper ein weiteres Highlight

Zwischen den Neubauten muss man die freien Baufelder fast suchen. Das spektakulärste trägt die Nummer 85 und ist bislang nur ein Provisorium. Hier auf dem Baakenhöft, genau zwischen Elbphilharmonie und Elbtower gelegen, steht das Lighthouse, ein innovativer Wohnpilz mit fantastischem Blick auf das Wasser und alte Hallen. Es sind Immobilien mit Halbwertszeit.

Läuft alles wie erhofft, könnte genau hier am Baakenhafen bald die neue Oper entstehen. Im Abendblatt hatte Klaus-Michael Kühne eine Summe von 300 Millionen Euro als Spende in Aussicht gestellt, damit wäre ein Großteil, aber eben nur ein Teil des Baus, schon finanziert.

Mit der Oper würde die HafenCity europaweit einzigartig

„Der Stand bei der Oper ist unverändert: Wir sprechen mit Herrn Kühne regelmäßig darüber, ob es ein Modell gibt, in dem er der Stadt eine Oper stiftet“, hatte Kultursenator Carsten Brosda kürzlich im Abendblatt erklärt. „Kulturorte neu zu schaffen, ist für eine Stadt immer ein Aufbruchssignal. Aber wir sind noch nicht an einem Punkt, an dem wir wissen, ob es gelingt.“ Brosda bestätigt, dass es bereits eine gemeinsame Reise mit Kühne und seiner Stiftung nach Nordeuropa gab, um sich anzuschauen, wie ein solches Projekt aussehen könnte. Kleinau hofft, dass es gelingen wird: „Wenn die Oper noch dazukommt, hat Hamburg einen Stadtteil, den man sonst nirgendwo in Europa findet.“

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Blick auf die Baustelle des Westfield-Überseequartiers, das nun am 17. Oktober eröffnen soll. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Unweit davon geht das Westfield Überseequartier am Platz am 10. Längengrad seiner Vollendung entgegen. 2025 soll dann auch der neue vierstöckige Kreuzfahrtterminal fertig sein. Es wird das XXL-Einkaufszentrum mit 200 Flächen für Einzelhandel, Gastronomie, Unterhaltung, das sechstgrößte zusammenhängende Einzelhandelsumfeld der Bundesrepublik, komplettieren.

Immobilien Hamburg: Im Oktober soll das Überseequartier eröffnen

Das Überseequartier bietet mehr als einkaufen: Hier locken zehn Kinosäle im größten Lichtspielhaus der Stadt oder Ausstellungsräume wie das Legoland Discovery Center oder der Port des Lumières, der Hafen der Lichter, nach dem Vorbild des französischen Ateliers des Lumières. Es entsteht eine Stadt in der Stadt mit 579 Wohnungen, 80.500 Quadratmeter Ladenfläche, Büros für 4000 Arbeitsplätze, drei Hotels mit 819 Zimmern.

Nur ein Bau ist zurückgestellt und wartet auf bessere Immobilienzeiten: Das Skysegel aus Glas nach Entwurf von Christian de Portzamparc soll in einigen Monaten 73 Meter in die Höhe wachsen und den Komplex komplettieren. Im Erdgeschoss entsteht ein öffentliches Restaurant, dessen Terrasse einen Blick auf die Promenade bietet.

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Das Baufeld an der Ecke Überseeallee/Osakaallee © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die HafenCity ist mehr als das Überseequartier. Viel mehr. Und wächst fortlaufend. Die Baufelder 48 und 51 harren noch ihrer Entwicklung, Kleinau spricht von „verbleibenden Perlen“. Bislang nimmt die Grube zwischen der Überseeallee, der Shanghaiallee und der Hongkongstraße nur das überschüssige Wasser von der Baustelle des Überseequartiers auf, noch sind das Spektakulärste die beiden Kunstwerke an den Brandmauern.

Auch das Naturkundemuseum „Evolutioneum“ soll in die HafenCty ziehen

An der Hongkongstraße hat Stefan Kiefer Fensteröffnungen mit Wellen und Wolken platziert, daneben an der Shanghaiallee 20 erinnert das Straßenmagazin „Hinz und Kunzt“ mit einem großen Wandgemälde an den Verkäufer Uwe. Es soll Leute geben, die diese beiden Fassaden für die schönsten der Häuser halten.

Bald werden sie verschwinden: Auf dem dreieckigen Grundstück könnte das Evolutioneum und das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels entstehen. Es wäre die Rückkehr einer Legende – bis zu den Bombennächten der Operation Gomorrha beherbergte die Stadt die zweitgrößte naturkundliche Sammlung des Landes, nun soll sie ihre Ausstellungsflächen zurückbekommen. Das neue, idealerweise als nachhaltiger Holzbau konstruierte Forschungsmuseum soll sich über fünf oberirdische und zwei unterirdische Stockwerke erstrecken, insgesamt bis zu 60.000 Quadratmeter groß.

Bis das neue Naturkundemuseum seine Pforten öffnet, wird noch viel Zeit vergehen

Wann das Evolutioneum seine Tore öffnet, steht noch nicht fest: „Es wird derzeit an der Architektur und den Inhalten gearbeitet – denn es soll Forschung und Präsentation verbinden“, sagt Ehrenbürger Michael Otto, der sich seit Langem für das Haus engagiert. Das neue Museum werde ein attraktives Ziel für die Bürger in Hamburg, aber auch für Touristen.

Auf einen Eröffnungszeitpunkt will sich Otto nicht festlegen – nur so viel: In diesem Jahrzehnt soll es noch klappen. Ursprünglich war das Jahr 2027 angepeilt worden – aufgrund der Größe des Projektes und der Probleme in der Bauwirtschaft spricht davon niemand mehr. Möglicherweise wird auch noch einmal über das Grundstück nachgedacht.

Manchmal erinnert die Immobilienentwicklung an die Gezeiten - es gibt Ebbe und Flut

Entsprechend vorsichtig ist auch Kleinau – er hat in den vergangenen Jahren zu oft erlebt, dass Zeitpläne hinfällig wurden, weil immer wieder etwas fehlte: während Corona erst die Materialien und die Fachkräfte, später mitunter die Kredite, die Mieter oder gleich die Perspektiven. „Die Investoren sind weiterhin sehr interessiert, aber wir können die Rahmenbedingungen nicht ändern“, sagt er. Die Zeiten sind knifflig. Die Immobilienwirtschaft erinnert an die Gezeiten, die auch hier in der HafenCity zwischen Brooktorhafen und Baakenhafen wirken – erst kommt die Ebbe, dann die Flut, dann die Ebbe. Nun scheint das Wasser langsam wieder aufzulaufen.

Beim Bummel durch die HafenCity zeigt der neue Stadtteil zwei Seiten: Oftmals eine ruhige, fast promenadenartige Wasserseite; und eine laute, manchmal fast unwirtliche Straßenseite, die wie aus der Zeit gefallen wirkt – aus der Zeit der autogerechten Stadt. Der Knoten an der HafenCity Universität etwa wirkt überdimensioniert, breite Straßen, die auf noch breitere Straßen münden.

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Mitunter erinnert die HafenCity wie hier an der Kreuzung vor der Hafencity Universität an die autogerechte Stadt. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

„Heute würde man das weniger mächtig machen“, sagt Kleinau. Aber die Verkehrsplanungen liegen rund zwei Jahrzehnte zurück. Bisher weiß noch keiner, wie viele Autos hier eines Tages fahren werden, wenn die HafenCity vollendet ist. Bis zur Vollendung des großen Wurfes benötigen die Hamburger noch Geduld. „Ein Jahrzehnt dürfte es noch dauern, bis der Stadtteil ganz fertig ist“, sagt Kleinau.

2027 soll die Campus-Schule fertig sein, dann können die Kinder die Container verlassen

Das Wachstum lässt sich baumringegleich an den Schulen erkennen. Die Campus-Schule der HafenCity soll eines Tages gut 1500 Schüler aufnehmen – in diesem Sommer werden die neuen Fünftklässler begrüßt. Allerdings müssen sie wie die drei Jahrgänge zuvor in Container ziehen, die jedes Jahr weiter aufgestapelt werden müssen.

Die aktuelle Hoffnung: 2027 soll der Campus fertig werden. Für 100 Millionen Euro ist ein Bau mit viel Glas und viel Licht geplant, aufgeteilt in drei miteinander verbundene Einzelgebäude, die bis zu sechs Geschosse hoch werden. Eine umlaufende Terrasse bildet im ersten Obergeschoss ein „erweitertes Klassenzimmer“, auf dem die Schulgebäude schweben sollen.

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Auch so kann eine Schule aussehen: Noch werden die Kinder der Campus-Schule in Containern unterrichtet. 2027 soll das Schulgebäude fertig sein. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die Schule versteht sich wie der Stadtteil als „demokratisch, vernetzt, bewegt, vielfältig und verantwortungsbewusst“: Zum Lohsepark gibt es einen direkten Zugang wie auch zum Gedenkort, der an die Deportation der Juden, Sinti und Roma ab 1940 erinnert. Sie wurden vom Hannoverschen Bahnhof aus in Ghettos und dann in den Tod geschickt. Zukunft und Vergangenheit, Erholung und Grauen liegen nebeneinander. Das Leben, es ist nicht nur schön.

Noch wirkt die Versmannstraße wie eine Grenze

Dem Container entwachsen ist die Grundschule am Baakenhafen – ein Bau mit markanten Rundbögen. Hamburgs bis dato kleinste Schule hat ihr Gebäude 2023 beziehen können und wächst nun von Jahrgang zu Jahrgang. Die HafenCity wird mehr und mehr ein ganz normaler Stadtteil.

Allerdings zeigt er noch immer unvermittelt Brüche. Eben noch herausgeputzte Architekturmoderne, dann vergessene Peripherie, in der vor allem das Unkraut wächst. Die Versmannstraße ist eine Straße im Übergang, wie die dortige U-Bahn-Station.

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An dieser Stelle soll die HafenCity mit dem Oberhafenquartier zusammenwachsen. In der U-Bahn zeigt HafenCity-Chef Andreas Kleinau, wo der zukünftige Durchgang liegt. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Der östliche Zugang zur U-Bahn-Haltestelle HafenCity Universität führt in eine gewaltige Tiefe. Hier steigt kaum jemand hinab – aber das dürfte sich eines Tages ändern. Wer genau hinsieht, erblickt einen noch versperrten Tunnelzugang. Von hier können Fußgänger, Bahnfahrer und Radler voraussichtlich ab 2025 unter den Gleisen ins Oberhafenquartier und weiter nach Hammerbrook gelangen. Ein kleiner Tunnel, der ein großer Brückenschlag für die Stadt wird.

Im Osten der HafenCity wirkt alles höher, größer, voluminöser.

Wer vom Westen der HafenCity nach Osten bummelt, den mag die Masse der Baukörper verstören. Anders als die kleinteiligere Gestaltung in City-Nähe wirkt hier alles höher, größer, voluminöser. Kleinau kennt die Vorbehalte, es bedarf aber einer Dichte, um den Stadtteil mit Leben zu füllen. „Dafür benötigen wir eine gewisse Masse.“

Zumal die Versmannstraße immer amputiert bleiben wird – auf der anderen Straßenseite rollen, donnern und quietschen über mehrere Parallelgleise die Züge gen Süden. Diese Verkehrslandschaft verschwindet hinter grauem Beton. Wo sind die Graffiti-Sprayer, wenn man sie mal benötigt?

An der Elbchaussee spottet man je nach Wasserblick über eine Margarine- und eine Butterseite. Die Häuser am Versmannkai haben beides: eine Margarine- und eine Schokoladenseite. Letztere grenzt direkt zum Wasser des Versmannkais. Das Leben muss über die Südseite kommen, der Flaneur im Norden kommt noch nicht auf seine Kosten: Hier finden sich bislang vor allem Büros, das Jufa-Hotel und der neue Marktplatz der Manufakturen – eine so großartige wie mutige Idee, besonderes Handwerk zu präsentieren.

Der Sports-Dome sollte eigentlich 2025 eröffnen

Dazwischen gähnen noch leere Baufelder in der Straßenfront. Auf einem soll der Sports-Dome entstehen. Schon seit Jahren befindet sich das innovative Konzept in der Ankündigungsphase: Dort sollen Trendsportarten auf sieben Etagen und 23.000 qm Bruttogeschossfläche zelebriert werden wie Eisklettern, Snowboarden, Bouldern, Skydiving, das Surfen auf stehender Welle verbunden mit Fitness und Wellness sowie einem Sporthotel und Gastronomie. Vor Corona hieß es, der Sports-Dome werde Anfang 2024 eröffnen. Laut Website soll es 2025 so weit sein – allerdings ist die Baufläche im Sommer 2024 weiterhin nur ein Parkplatz.

Mehr Betrieb und Menschenauflauf könnten indes trotzdem bald kommen. Anders als die Innenstadt ist die HafenCity keine Büro- und Handelsmonokultur, sondern Wohnort. In den kommenden Jahren werden sich hier Tausende Menschen niederlassen – Quantum realisiert beispielsweise im Wohnquartier Neuhavn auf dem Baufeld 84 a+b im Baakenhafen bis Ende 2024 genau 206 Mietwohnungen. Mittlerweile leben schon mehr als 8000 Menschen in über 4000 Wohnungen in der HafenCity, insgesamt sollen es einmal 16.000 Einwohner werden.

Mit der Ausstellung der Wildtierstiftung gibt es eine weitere Attraktion

Sie finden Heimat in einem Stadtteil der Attraktionen. So eröffnet die Deutsche Wildtier Stiftung Ende August im Roots, dem höchsten Holzhochhaus Deutschlands, eine interaktive Erlebnisausstellung. Handwerker bereiten derzeit alles für den großen Tag vor – es wird gehämmert, geschleift, gebohrt. Jenifer Calvi, Pressereferentin der Deutschen Wildtier Stiftung, führt durch eine Ausstellung im Embryonalstadium. „Die Inhalte werden spielerisch und interaktiv vermittelt. Die Besucher dürfen mitmachen, anfassen, aktiv werden“, verspricht sie.

Auf zwei Etagen geht es um die heimische Tierwelt zwischen Küste und Wald, Stadt und Feld. Die Lebensräume sprechen alle Sinne an – sie werden in ihrer natürlichen Form präsentiert, aber auch als agrarindustrielle Karikatur wie etwa als Rapsfeld-Monokultur.

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Im Roots eröffnet die Deutsche Wildtierstiftung eine Ausstellung. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Einige Tiere stehen schon etwas verloren auf der Baustelle – ein Schweinswal, ein Adler, ein Fischotter, alle „nachhaltig aus dem 3-D-Drucker“, sagt Calvi. Die große Fensterfront zu der kleinen Landspitze, die in den Baakenhafen ragt, ist schwarz gepunktet. „Das machen wir aus Gründen des Vogelschutzes – da sollte jeder drauf achten.“ Hinter den schwarzen Punkten öffnet sich ein spektakulärer, neuer Blick auf Hamburg.

Ein Hochhaus fast ganz aus Holz - auch das gibt es in der HafenCity

Das Roots, wie die „Wildspitze“ vermarktet wird, ist Aushängeschild und Ausnahmeprojekt zugleich. 65 Meter ist das Holz-Hybridhaus hoch und verfügt über 19 Geschosse, 5500 Kubikmeter Nadelholz wurden verbaut. „Alles, was wir dort lernen, können wir auch im Wohnungsbau anwenden“, sagt Fabian von Köppen, Geschäftsführer beim Bauherrn Garbe. Er gibt zu, dass man für ein solches Projekt immer auch Lehrgeld bezahle. „Das Schlimmste ist bei Holz nicht Feuer, sondern Wasser.“

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Das Roots ist das höchste Wohnhochhaus aus Holz in Deutschland. Hier zieht auch die Ausstellung der Wildtierstiftung ein. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Das gilt für Bau und Betrieb gleichermaßen. Er plädiert dafür, ökologisches Bauen endlich konsequenter zu denken. „Die meisten Häuser konzentrieren sich auf Energiesparen, aber das ist nur ein kleiner Teil der gesamten Öko-Bilanz“, sagt er. „Wir wollen die gesamte Lebenszeit unter ökologischen Aspekten betrachten, vom Anfang bis zum Ende. Die Produkte, aus denen unsere Häuser sind, müssen nachhaltig sein.“

Im Osten der HafenCity wird der Städtebau innovativ

Hier im Osten der HafenCity wird es noch einmal spannend – auch ohne den Elbtower, der seine Baupause so rechtzeitig eingelegt hat, dass der Torso nicht mehr alles zu überstrahlen vermag. Denn im Elbbrückenquartier wächst Hamburg noch einmal über sich hinaus. Ökologie und Nachhaltigkeit spielen bei der Planung überall eine Rolle: Als Innovationsquartier sollen die Bauherren beweisen, wie ökologisch die als Öko-Dinosaurier verschrienen Hochhäuser sein können. „Wir müssen uns die Frage stellen, welchen ökologischen Fußabdruck ein Gebäude hinterlässt“, sagt Kleinau.

Der Entwickler Edge hat zwei Zwillingstürme neben den Amerigo-Vespucci-Platz gesetzt. Das Edge HafenCity und das Edge Elbside tragen beide das Umweltzeichen HafenCity Platinum. In das 15-stöckige Gebäude zur Elbe hin ist der Energieversorger Vattenfall eingezogen – bis vor Kurzem residierten die Schweden in einem Büro am Dammtor und im preisgekrönten Arne-Jacobsen-Hochhaus in der City Nord, nun sind sie in eine neue Ikone gezogen.

Ein Büro wie eine Utopie von übermorgen

Zumindest fühlt es sich so an, denn das Bürogebäude wirkt wie eine Utopie von morgen. „Wir haben hier die Zukunft der Bürowelten geschaffen“, sagt Vattenfall-Sprecherin Nina Burkhardt. „Deutschland ist in unserem Konzern jetzt ein Vorreiter.“

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Büro, Lounge oder beides? Ein Blick in das neue Vattenfall-Gebäude im Elbbrückenquartier © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Hier zeigt sich, wie sehr der Hunger auf Quadratmeter schrumpft. Corona war ein Gamechanger. Im Vergleich zu den spektakulären Scheibenhochhäusern des Versorgers in der City Nord, wirkt das Edge Elbside überschaubar. Einen festen Arbeitsplatz gibt es für die Vattenfall-Beschäftigten nicht mehr, alle persönlichen Dinge müssen in quadratischen Schließfächern Platz finden.

Ein jeder kann sich seinen Arbeitsplatz nach Lust und Laune auf einer der Etagen selbst aussuchen oder einen der Konferenzräume buchen, die nach Hamburger Größen benannt sind. Dann lässt es sich beispielsweise mit Udo Lindenberg zusammenarbeiten, dessen Motto an der Wand prangt „Die Spinner von gestern sind die Erfinder von morgen.“, oder eben mit Loki oder Helmut Schmidt. Nur ohne Zigarette!

Die Büros ähneln eher Lounges und Kuschelecken

Die Büros ähneln eher Lounges und Kuschelecken; Laufwege und Arbeitsflächen sind geschickt voneinander getrennt, eine Wendeltreppe verbindet gleich zwei Etagen. Alles ist hell, hip und großzügig. Und bescheiden zugleich: Selbst die Vorstände nennen kein Büro mehr ihr eigen – „alle Kollegen sollen sich auf Augenhöhe begegnen“, sagt Burkhardt. Selbst das Parkplatzprivileg ist gefallen, die 95 Parkplätze sind nur für Gäste, Schwerbehinderte und den Fuhrpark reserviert, nicht für die 1400 Beschäftigten.

In der schönen neuen Welt kommen alle zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Bahn via die gegenüberliegende Station Elbbrücken. Selbst Geschlechter haben sich bei Vattenfall überlebt – auf den meisten Etagen gibt es drei Toiletten (m/w/d), hinzu kommt eine „Diversity“-Ecke unter dem modischen Regenbogen. Die Etagen sprechen englisch, die Abteilungen heißen „Generation Nuclear“ oder „Risk Management“. Nur der Betriebsrat und der Medizinische Dienst tragen noch deutsche Namen.

Die vielleicht größte Stärke des Gebäudes ist sein Panorama

„Es ist beeindruckend, was man mit der Fläche machen kann, wenn nicht jeder Mitarbeiter einen eigenen Platz beansprucht“, sagt Kleinau. Die vielleicht größte Stärke des Gebäudes bleibt sein Panorama. Der alte Dreiklang: Lage, Lage, Lage! Der Blick hinaus auf die HafenCity, die Elbe, die Hafenkräne und die Köhlbrandbrücke ist noch neu und unverbraucht – er lässt erahnen, warum die Aussichtsplattform des Elbtowers – wenn er denn kommt – ein Highflyer wird.

Das wohl innovativste Projekt liegt in Sichtweite stadteinwärts und hört auf den klangvollen Namen Moringa – nach einer indischen Pflanze, die als Heil- und Wundermittel populär ist. Hier soll das Bauen noch einmal neu erfunden werden, hier errichtet das Familienunternehmen der Landmarken Familie das erste Wohnhochhaus, das sich voll dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtet fühlt.

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Im Osten der HafenCity entsteht eines mit dem Moringa eines der ambitioniertesten und ökologischsten Häuser © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

„Wir bauen die Zukunft. Über 100 Jahr Lupp“, hängt am Bauzaun. Die Unternehmensgruppe, die mangels Bezahlung die Arbeiten am Elbtower im Oktober 2023 stoppen musste, ist eine Baustelle weitergezogen. „Wir bauen hier ein Haus, das jederzeit umnutzbar ist“, sagt der Bauleiter Jörg Hansel von Lupp. „Und wir denken das Gebäude zugleich rückwärts – das macht sonst keiner.“

Das Moringa ist das erste Haus, das fast komplett wiederverwertet werden kann

Damit umschreibt er das „Cradle-to-Cradle“-Prinzip. Dahinter steckt das Ziel einer dauerhaften Nachhaltigkeit – 80 Prozent der Bau- und Ausstattungsmaterialien sollen sich nach Gebrauch demontieren, sortenrein trennen und wiederverwenden lassen. Ein Kreislauf, von der Wiege bis zur Bahre – und neu zur Wiege. So gibt es beim Moringa schon jetzt mit den Herstellern und Lieferanten Rücknahmevereinbarungen.

Die Fertigstellung des Hauses mit 192 Mietwohnungen, davon 83 öffentlich gefördert, ist für 2026 geplant. Dabei geht es nicht nur um höchste ökologische Standards, sondern auch um soziale Nachhaltigkeit. Die klima- und ressourcenschonende Bauweise soll am Ende bezahlbares Wohnen ermöglichen.

Andreas Kleinau spricht von einem „wunderbaren Signal“

„Wir wollen zeigen, dass die konsequente Anwendung des Kreislaufwirtschaftsprinzips die passende Antwort für unsere Umweltprobleme und Klimaziele ist“, sagt Vanja Schneider, Geschäftsführer der Moringa GmbH.

Moringa plant dort Gemeinschaftsflächen, ein modernes Co-Living-Konzept und Co-Working, Gastronomie und eine große Kita. Als eines der ersten Gebäude in der HafenCity überhaupt bekommt es eine begrünte Fassade und einen Dachgarten. „Das Projekt erklärt sich von selbst, wenn man das Gebäude sieht: Dort wächst so viel Grün, als würde man das ganze Grundstück bepflanzen“, sagt Kleinau. Die Idee, die lange nur auf dem Papier existierte, wird nun Wirklichkeit. „Es ist ein wunderbares Signal, dass ein so anspruchsvolles Bauvorhaben auch in diesen schwierigen Zeiten in die Realisierung geht.“

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Im östlichen Teil wurde ein Fehler aus der Frühzeit der HafenCity-Entwicklung behoben. Wie hier an der Baakenallee sind deutlich mehr Wohnungen entstanden. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Andreas Kleinau verweist darauf, dass Hamburgs Prestigeobjekt HafenCity eben mehr als Stadterweiterung ist. Es geht um neue ökologische und soziale Maßstäbe, um Gedankenanstöße – damit hebt sich Hamburg ab von vielen anderen renditeoptimierten Großprojekten in den Toplagen Europas. „Das macht die HafenCity aus“, sagt Kleinau. „Aufgrund der besonderen Lage können wir die Investoren bewegen, neu zu denken. Die HafenCity muss auch ein Zukunftslabor sein.“

Ein neuer Stadtteil ist immer auch ein Experimentierfeld

Quersubventionen machen Experimente finanzierbar – die teure Wohnung finanziert dann den geförderten Wohnungsbau mit. So entsteht beispielsweise im Schatten des hochattraktiven Wohnhochhauses Roots eine Mantelbebauung, wo der Preis gedämpft werden kann. Luxus und Soziales müssen keine Antipoden sein, sie können auch Hand in Hand marschieren.

Hier im Osten besinnt sich die Stadt auf die Stärken der ersten Entwicklungen in der HafenCity und wagt Individualität. „Rund um den Baakenhafen entsteht ein grünes, sozial gemischtes Quartier mit einem breiten Wohnungsangebot, darunter ein hoher geförderter Anteil, aber auch Vorhaben für Baugemeinschaften und besondere Gruppen“, sagt Kleinau.

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Blick aus dem Vattenfall Gebäude auf das Elbbrücken-Quartier. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Der größte Platz der HafenCity ist schon seit Sommer 2021 fertig. Mit 10.000 Quadratmetern ist der geschwungene Platz fast so groß wie der Rathausmarkt und dürfte eines Tages ähnlich belebt sein. Seine grünen Inseln, die Holzmöbel, das Großsteinpflaster und sein Design harmonieren mit dem Wasser des Baakenhafens. So wie die Magellan-Terrassen längst zum beliebten Postkartenmotiv und Cover-Star wurden, dürfte auch der Amerigo-Vespucci-Platz einst die Stadt prägen.

Mit dem Digital Art Museum bekommt die HafenCity einen Publikumsmagneten

Gleich daneben entsteht eine der Attraktionen, die Hamburg weiter in die Top 10 der beliebtesten Destinationen Europas schießen könnte. Im Projekt „The Tide” entstehen nicht nur rund 580 hochwertige Miet- wie Eigentumswohnungen in doppelter Wasserlage und ein Wohnheim für 370 Studierende, sondern auch eine Kindertagesstätte, Gewerbe und Gastronomie. Der Clou aber wird das Digital Art Museum des Künstlerkollektivs teamLab.

In Tokio ist das digitale Museum ein Millionen-Erfolg geworden, nun soll es in Hamburg zum Magneten werden. Das UBS Digital Art Museum verspricht ab 2025 auf 6500 Quadratmetern einen Kunstgenuss der neuen Dimension – ein Museumsbesuch für alle Sinne: Die Besucher bewegen sich durch eine Ausstellung voller optischer Überraschungen, sie tauchen ein in eine Spiegelwelt, einen Irrgarten der Installationen, ja, sie werden Teil der Schau. Auch die Kunstwerke bewegen sich, kommunizieren, fließen ineinander.

Andere Stadtteile blicken neidisch auf die HafenCity

„Als ich zum ersten Mal die teamLab Ausstellung in Tokio besucht habe, war ich überwältigt. Seitdem war mir eins klar: Das möchte ich in Hamburg, Deutschland und Europa erlebbar machen!“, sagt der Hamburger Initiator Lars Hinrichs. Erwartet werden rund 700.000 Gäste. Es gibt aber auch Optimisten, die das Doppelte für möglich halten – das wäre die Besucherzahl im Miniatur Wunderland.

Auch das liegt nur zweieinhalb Kilometer entfernt – angesichts der Ballung von Sehenswürdigkeiten blicken andere Stadtteile verständlicherweise neidisch auf die HafenCity, die zudem mit innovativer Architektur punktet.

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Die HafenCity fasziniert immer wieder durch ihre Wasserbezüge, wie hier im Baakenhafen am Versmannkai. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

So entstehen im Baakenhafen drei Wasserhäuser, die per Steg mit dem Petersenkai verbunden sind. Dieses Wohnturm-Trio wird im Hafenbecken platziert, ein technologisch ambitioniertes wie faszinierendes Projekt: Die erste Baugenehmigung ist erteilt, ab 2025 könnte der erste Turm westlich des Baakenparks in die Höhe wachsen. Insgesamt werden dort 240 Wohnungen entstehen, die Kinderspielflächen in die Gebäude integriert. Ursprünglich waren sogar sechs Wasserhäuser geplant, die architektonischen und städtebaulichen Kompromisse wären aber zu groß gewesen, die Blickachsen zugestellt worden.

Noch haben sich nicht alle Hoffnungen erfüllt

Zugleich zeigt sich hier, dass noch nicht alle Pläne aufgegangen, nicht alle Träume Wirklichkeit werden. Die Erdgeschosszonen am Versmannkai liegen noch meist leer und öde da, Corona und Home-Office haben sie zu Problemzonen gemacht. Aber je mehr Menschen in den Osten ziehen, umso belebter werden sie. Alles hat seine Zeit. Und alles braucht seine Zeit.

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Bummelt man durch diese HafenCity, die noch im Werden ist, kann man fast wehmütig werden, dass dieser große Abenteuerspielplatz der Architektur bald fertig sein soll. Der orange Aussichtspunkt wird dann ein weiteres Mal umziehen, dieses Mal über die Elbe auf den Grasbrook springen.

Die gute Nachricht: Hamburg ist eben nie fertig.