Hamburg. Polizei leitet 23 Verfahren gegen junge Menschen ein. Politiker aller Fraktionen kritisieren Modefirma für Werbeaktion.

Nach dem stundenlangen Großeinsatz wegen der geplatzten Werbeaktion des Modelabels Reternity  steht die Frage im Raum, wer dafür die Verantwortung trägt – und möglicherweise auch für den finanziellen Schaden aufkommen muss. Die Polizei schreibt nach solchen Einsätzen einen Kostenbericht, in dem genau aufgelistet ist, wer und was eingesetzt wurde.

Das passierte etwa im Zusammenhang mit dem Klimacamp in Hamburg. Ein Polizist wird beispielsweise mit 30 Euro pro halbe Stunde berechnet. In dem aktuellen Fall dürfte die Firma als sogenannter „Zustandsstörer“ eingestuft werden. Das bedeutet, dass sie verantwortlich dafür ist, dass ein Zustand geschaffen worden ist, aus dem eine Gefahr hervorgeht.

TikTok-Randale in Hamburg – wer ist verantwortlich?

Ob die Firma für die Ausschreitungen und den damit verbundenen Aufwand der Polizei verantwortlich gemacht werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings macht man bei der Polizei geltend, dass sich die Beamten bei einer Vorabinformation auf die Situation eingestellt hätten und Krawalle im Keim erstickt worden wären. Am Ende müsste der Fall vermutlich zivilrechtlich geklärt werden.

Haftbar könnten auch die Krawallmacher gemacht werden. Die Polizei hat 23 Verfahren unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs eingeleitet. Beschuldigt sind 15 Jugendliche, drei Heranwachsende unter 21 Jahren und auch fünf Kinder, die zumindest strafrechtlich nicht belangt werden können. Elf der Beschuldigten kommen aus Hamburg, die anderen zwölf aus dem Umland.

Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sieht in den Ausschreitungen einen allgemeinen Trend. „Es ist spürbar, dass gerade junge Leute, die ihren Willen nicht bekommen, schnell aggressiv werden“, sagt Jungfer. „Ich frage mich auch, ob es heute zum Shoppingverhalten von jungen Leuten gehört, dass man Böller dabeihat.“

Sprecher der Modefirma widerspricht Polizei: „Wir waren vor Ort“

Die genaue Rolle, die das Label Reternity in der Gemengelage spielt, ist offenbar noch nicht geklärt. Unklar ist auch, ob Vertreter der Firma in Hamburg vor Ort waren. Laut Angaben des Lagedienstes der Polizei sei der Initiator nicht erschienen. Ein Unternehmensvertreter sagte hingegen: „Wie geplant waren wir vor Ort und wollten das Treffen stattfinden lassen. Allerdings konnten wir aufgrund des enormen Andrangs und auch das Fehlverhalten einiger Personen vor Ort das Treffen nicht stattfinden lassen. Zur Sicherheit aller Beteiligten haben wir den Kontakt zur Polizei aufgenommen, um die Versammlung kontrolliert aufzulösen.“

Klar ist, dass die Aktion zu einem großen Schaden geführt hat. Am frühen Nachmittag hatten sich Hunderte Jugendliche im Bereich des Mönckebergbrunnens versammelt, weil Reternity auf der Plattform TikTok angekündigt hatte, dort Markenkleidung zu verschenken. Als klar wurde, dass dies nicht passieren würde, kippte die Stimmung: Becher, Flaschen und Böller seien geflogen, teils auch Außenmobiliar der dortigen Gastronomie, so die Polizei. Am Ende gab es diverse Platzverweise, beschädigte Streifenwagen und drei verletzte Beamte. Reternity meldete sich danach zu Wort, erneut auf TikTok: Man habe das geplante Event „völlig falsch eingeschätzt“.

TikTok-Randale in der Hamburger City: Harte Kritik aus der Politik

Aus der Hamburger Politik kam harte Kritik. „Dass eine als Verschenkaktion getarnte PR-Aktion eines Modelabels viele Jugendliche anspricht, wundert mich nicht – und sollte auch nicht das Modeunternehmen überraschen“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Das Unternehmen habe „eine Eskalation bewusst in Kauf genommen und verantwortungslos gehandelt“. Was die Jugendlichen angehe, sei es „natürlich frustrierend, auf eine vermeintlich freudige Aktion mit Geschenken ergebnislos zu warten“, sagte Kienscherf. Aber: „Die Gewalteskalation gegenüber der Polizei und den Passanten ist besorgniserregend und darf nicht konsequenzenlos bleiben.“

Die Grünen-Abgeordnete Sina Imhof sagte: „Wir sehen das Unternehmen nun in der Pflicht, diesen Vorfall aufzuarbeiten. Der Ablauf einer solchen Werbeaktion muss in Zukunft detaillierter an alle Interessierten und auch an die Behörden kommuniziert werden, zudem braucht es Sicherheitskonzepte, Ordner und eben auch einen geeigneten Ort.“

CDU nach TikTok-Randale in Hamburg: "So was darf sich nicht wiederholen"

CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte, Reternity habe die Folgen durch den Abbruch der Aktion völlig falsch eingeschätzt. „So was darf sich nicht wiederholen.“ Veröffentlichte Bilder und Videos zeigten eine allerdings „völlig überzogene Reaktion einzelner Jugendlicher“, so Thering. „Das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Da der Respekt gegenüber den Sicherheits- und Rettungskräften insgesamt immer weiter zurückgehe, müsse bundesweit über eine Verschärfung der Strafen diskutiert werden.

Auch nach Ansicht des Linken-Abgeordneten Deniz Celik ist vor allem Reternity für die Eskalation verantwortlich. „Die Aktion des Unternehmers war absolut unverantwortlich und wurde auf dem Rücken der Jugendlichen und der Polizei ausgetragen.“ AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann sagte: „Es ist erstaunlich und erschreckend, wie fragil die öffentliche Sicherheit geworden ist. Da will ein Modeunternehmen Klamotten verschenken und schon bricht Anarchie und Chaos aus.“ Die Innenbehörde müsse schnell und belastbar prüfen, „ob die Modefirma für ihr fahrlässiges und naives Handeln für den Polizeieinsatz aufkommt“.

Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein nannte es „erschreckend zu sehen, wie einige Jugendliche selbst geringfügige Anlässe vermehrt für Gewalttätigkeiten nutzen“. Das werfe Fragen auf zu Gewalt-Präventionsprojekten, die Schulsenator Ties Rabe (SPD) so gern zitiere. „Und es stellt Innensenator und Polizei vor die Herausforderung, ihren Fokus auf neue Gruppen und Motivationen potenziell gewaltbereiter Personen zu richten.“

Krawall im Kino und ein möglicher Videodreh, der tödlich endete

Das Ereignis am Sonnabend reiht sich in mehrere Vorfälle ein, bei denen die Plattform TikTok, die insbesondere bei jungen Menschen beliebt ist, eine Rolle gespielt hat. Am Donnerstagabend kam es bei einer Kino-Premiere im Cinemaxx am Dammtor zu Randale, die Polizei spricht von 60 Störern. Auch in diesem Fall soll der Auslöser ein Trend auf TikTok gewesen sein, nämlich dass sich Jugendliche filmen, wie sie Vorstellungen des US-Films „Creed III“ – ein Spin-off der Rocky-Reihe – in Kinos stören. Für Bestürzung hatte auch der Fall von zwei Schwestern gesorgt, die im Januar von einem Regionalzug nahe dem Bahnhof Allermöhe erfasst wurden. Eines der Mädchen starb. Hier gab es den Verdacht, dass die Mädchen auf den Bahngleisen TikTok-Video aufnehmen wollten.