Hamburg. Über Geld spricht man nicht? Lea Göde und Nicolas Geerdts schon. Sie bieten eine Plattform für anonymisierte Lohnabrechnungen.

Lea Göde und Nicolas Geerdts können ihren Erfolg selbst kaum fassen. Erst seit Kurzem sind sie als Influencer im Internet unterwegs. Und schon jetzt schauen Millionen Menschen den Hamburgern zu, wenn sie über das Thema Gehälter informieren.

Ein Architekt, 29 Jahre alt, verdient demnach bei 40 Wochenarbeitsstunden in Hamburg 2870 Euro netto, ein Maschinenbauingenieur, 29 Jahre alt, mit zwei Jahren Berufserfahrung, bekommt in Bayern 2818 Euro netto (Steuerklasse 1). Auch Zahlen zum Einkommen von Chefärzten und Bankern veröffentlicht das Paar.

Gehalt in Deutschland: Hamburger veröffentlichen detaillierte Informationen

Solche sonst gern geheim gehaltenen Daten erscheinen seit wenigen Monaten auf ihrem Kanal „GehaltinDeutschland“, der in den sozialen Netzwerken Instagram, TikTok und YouTube zu finden ist. Dabei zeigen die Hamburger einzelne Gehaltsabrechnungen, nennen Alter, Bundesland, Wochenstunden und Berufserfahrung. Namen der jeweiligen Angestellten und die Arbeitgeber bleiben anonym.

Sonst aber sind die Informationen wesentlich detaillierter, als es sie andere Berufs- oder Jobseiten im Netz anbieten, die Einkünfte einzelner Frauen und Männer werden, meist mit einem Video von der Gehaltsabrechnung, auf den Cent genau veröffentlicht.

Mit Informationen zu Gehältern: Hamburger erreichen 224.000 Follower auf Instagram

Gestartet im September 2023, haben die beiden Hamburger mit ihren Kanälen eine erstaunliche Erfolgsstory hingelegt: Sie haben mittlerweile 224.000 Follower auf Instagram. Das erfolgreichste Reel, also ein kurzes Video, erzielte beachtliche 9,1 Millionen Aufrufe. Und auch mit seinen Beiträgen auf TikTok hat das Paar bisher 40.000 Follower gewonnen.

Das Thema Gehalt haben die beiden zum roten Faden ihrer Beiträge gemacht. Sie stellen immer neue Entgeltabrechnungen ins Netz – von Staplerfahrern oder Systementwicklern, von Assistenzärzten oder kaufmännischen Angestellten. Inzwischen werden sie überrollt mit Einsendungen von Nutzern, die den Hamburgern von sich aus ihre Abrechnungen schicken. „Die Leute wollen wissen, wo sie stehen“, erklärt Lea Göde das Phänomen.

Hamburger sind überrascht von eigener Prominenz im Internet

Allerdings sind die beiden ziemlich überrascht von ihrer neuen Prominenz im Netz. Beim Gespräch mit dem Abendblatt berichten sie davon, wie plötzlich Likes, Kommentare und Reichweite auf Instagram anstiegen. Denn die Deutschen gelten ja bei Finanzfragen ansonsten nicht als besonders mitteilsam. „Selbst unter Freunden oder in der Familie ist das ein Tabu“, findet Nicolas Geerdts, der in Jeans und T-Shirt zum Treffen mit dem Abendblatt ins Café in St. Georg gekommen ist.

Aber große Neugier herrscht eben dennoch. Tatsächlich lässt das Thema niemanden kalt, sagt Lea Göde, weder diejenigen, die ihre Einkünfte offenlegen, noch die Internetgemeinde, die sich die Beiträge anschaut. Entweder reagieren die Leute – etwa bei hohen Gehältern von Chefärzten – mit Neid oder – bei niedrigen Einkünften – mit abfälligen Sprüchen. „Dafür würde ich doch gar nicht aufstehen“, heißt es dann.

Gehälter lösen auf Instagram Neid und hitzige Debatten aus

Unter vielen der Gehaltsabrechnungen erscheinen schnell Hunderte Kommentare und hitzige Diskussionen. Bei den durchschnittlich 8000 Euro eines jungen Investmentbankers heißt es von einem Nutzer, „das verdiene ich im Controlling in einem Großkonzern auch, allerdings mit 20 Jahren Berufserfahrung“.

Und auch das Ansehen der Branche spiegelt sich in den Reaktionen der Nutzer wider. „Kein Wunder, dass die Landwirte auf die Straße gehen“, schreibt ein Mann aus Bremen unter eine Abrechnung aus Thüringen, die eine Auszahlung von 1500 Euro an einen angestellten Landwirt zeigt, der zudem mit Überstunden und Wochenendarbeit zu rechnen hat.

„Wir wollen den Leuten helfen, ihre Chancen in den Verhandlungen zu steigern“, sagt Nicolas Geerdts über ihre Motivation. Für ein paar Hundert Euro die Firma zu wechseln kommt für die beiden Internetstars selber allerdings nicht infrage. Das Thema Geld steht bei ihnen weniger im Mittelpunkt, als es ihre Auftritte im Netz vermuten lassen. Sie wohnen gemeinsam mit ihrem Pudel Elli eher sparsam, erzählt das Paar beim Gespräch mit dem Abendblatt.

Influencer aus Hamburg: Sie arbeiten als SAP-Berater und in der Personalentwicklung

Beide arbeiten bei einem großen IT-Unternehmen in Hamburg, sind fest angestellt und mit ihren Jobs durchaus glücklich. Auch wenn ihre Beiträge auf Social Media mittlerweile so viel Geld einbringen, dass Nicolas Geerdts komplett auf sein Gehalt von 4000 Euro als SAP-Berater verzichten könnte – die sichere Anstellung möchte er nicht aufgeben.

Auch Lea Göde, die als studierte Psychologin in der Personalentwicklung derselben Firma arbeitet, hängt an ihrem Angestelltendasein. Mit ihrem Arbeitgeber ist die Nebentätigkeit auf Social Media abgesprochen. Etwa 20 Wochenstunden investieren sie dafür.

Wegen ihrer Berufstätigkeit verlegen die beiden Influencer Interviews und Recherchen für Instagram und Co. meist auf das Wochenende. Dann sichten sie in ihrem eigens dafür angemieteten Büro die Reaktionen der Nutzer und produzieren die Beiträge.

Gehalt in Deutschland: Interviews vor dem Hamburger Rathaus

Oft steht das Paar, das in seiner Freizeit gern im Fitnessstudio trainiert, aber auch mit einem Mikro vor dem Hamburger Rathaus oder an anderen Orten in der Innenstadt. Hier spricht es Passanten an. „Meist wollen nur zwei von zehn Leuten mitmachen“, sagt Nicolas Geerdts.

Schließlich geht es in den kurzen Videobeiträgen darum, zu sagen, in welchem Bereich man arbeitet, etwa als Zahntechnikerin, was man verdient und wie viele Wochenstunden der Vertrag umfasst. Die Firma, also den Namen des Arbeitgebers, muss niemand preisgeben. Diese Beiträge präsentiert das Paar zusätzlich zu den Abrechnungen im Netz und gibt den Gehältern damit auch ein Gesicht.

Meist seien es Süddeutsche, die den Influencern bei ihren Interviews Rede und Antwort stehen, sagt Lea Göde. Die Touristen wären offener als die Hamburger. Aber es sei eben nicht nur eine Frage der Mentalität, warum das Gehalt oft ein Tabuthema darstelle. „Das Hauptproblem ist doch, dass Unternehmen diese Transparenz nicht wollen“, beklagt Nicolas Geerdts.

Mehr zum Thema

Der studierte Wirtschaftsingenieur findet es geradezu „grausam“, dass insbesondere junge Leute dadurch oft nicht wüssten, wie viel Geld sie verlangen könnten. Auch die Tatsache, dass immer mehr Firmen aus dem Tarifsystem ausscheren, macht gerade Berufsanfängern den Einstieg schwer.

„GehaltinDeutschland“-Macher in Hamburger Berufsschule eingeladen

Nicht nur im Internet, auch in der realen Welt kommt das Engagement der „GehaltinDeutschland“-Macher für Lohntransparenz gut an. Eine Hamburger Berufsschule hat die beiden eingeladen. Sie sollen in einer Klasse für angehende Außenhandelskaufleute über die verschiedenen finanziellen Chancen in einzelnen Branchen berichten. „Meist lernen die Schüler darüber ja sonst nichts“, sagt Nicolas Geerdts. Dass er jetzt, nach wenigen Monaten erfolgreicher Präsenz im Internet, eine solche Möglichkeit bekommt, macht ihn besonders stolz.

Jetzt geht es für die beiden Durchstarter im Netz allerdings erst mal in den Urlaub nach Bali. „Reisen ist unsere Leidenschaft“, sagt Lea Göde und lacht, „dafür geben wir auch gerne Geld aus, es ist so schön, die Welt kennenlernen zu können.“