Hamburg. Asklepios-Mediziner über seinen Alltag und Herausforderungen in Wilhelmsburg. Warum die Sorgen oft andere sind als in Eppendorf.
Keine Termine bei akuten Beschwerden wie Fieber oder Durchfall, Aufnahmestopp für neugeborene Patienten: Der Mangel an Kinderärzten ist in Hamburgflächendeckend ein großes Thema – besonders schwierig ist die Versorgungslage aber in Stadtteilen wie beispielsweise Wilhelmsburg.
Dort arbeitet Dr. Martin Rustige seit fünf Jahren als einer von fünf Kinderärzten im Asklepios Gesundheitszentrum Wilhelmsburg, er hat sich bewusst für das Quartier entschieden: „Ich mag das interkulturelle Miteinander, den Umgang mit Familien, die teils eine Migrationsgeschichte haben.“ Es schärfe den Blick für die Unterschiede in der Gesellschaft: „Man bewegt sich ja sonst gern nur in der eigenen Blase“, sagt der zweifache Vater, der mit seiner Familie in Eppendorf lebt.
Kinderarzt Hamburg: In Wilhelmsburg sind Sorgen andere als in Eppendorf
Die Kinderkrankheiten seien überall die gleichen: meist gehe es um Husten, Schnupfnase, Erbrechen und Durchfall. Aber die übergeordneten Themen seien eben doch ganz andere. „Etwas sehr überspitzt formuliert, würde ich schon sagen: In unserer Praxis in Wilhelmsburg geht es sehr viel häufiger um gesunde Ernährung, den Verzicht auf Cola und um Bewegung als um die Frage, ob es sinnvoll ist, dass das vierjährige Kind in der Kita schon einen Mandarin-Kursus besucht“, sagt er.
Doch insbesondere diese „Basis-Arbeit“ mache ihm Freude, sagt der Kinderarzt, der diesen Berufswunsch schon im Grundschulalter entwickelt hat: „Ich war immer schon mehr daran interessiert, wie der Mensch an sich funktioniert als daran, wie die Geldströme laufen oder wie man eine erfolgreiche Werbekampagne entwirft.“
Kinderarzt Hamburg: Manchmal müssen Geschwister der Patienten dolmetschen
Ein guter Tag sei einer, an dem er den Eltern und vor allem den Kindern medizinisch helfen könne und entspannt in den Feierabend gehe, ohne sich um einen seiner kleinen Patienten zu sorgen. „Teilweise sind wir in Wilhelmsburg mit anderen Herausforderungen konfrontiert als beispielsweise in Eppendorf oder Winterhude“, sagt der Mediziner. „Immer wieder sitzen bei uns Eltern, die gar kein Deutsch sprechen. Da dolmetschen dann ältere Geschwister.“
Es helfe, dass ein Kinderarztkollege türkischstämmig sei und das Team, zu dem in der Regel auch eine Psychologin/Psychologe gehört, selbst multikulturell sei. „Das baut Hemmschwellen ab und vereinfacht die Kommunikation.“ Eine psychologische Mit-Betreuung sei manchmal vorteilhaft. „Denn Themen wie übermäßiges Daddeln, Übergewicht, Depressionen, Cybermobbing sind ja nicht mit Medikamenten zu behandeln.“
Kinderarzt: „Die kleinen Patienten aus unserem Stadtteil gehen vor“
Doch nehmen seine Kollegen und er noch neue Patienten auf? „Natürlich brauchen wir in Hamburg mehr Kinderärzte, das ist gar keine Frage“, sagt Dr. Martin Rustige. Ja, neue kleine Patienten seien willkommen. „Aber wir müssen ehrlich sein: Die Postleitzahl spielt eine Rolle. Wenn verzweifelte Eltern aus Eimsbüttel auf der Suche nach einem Kinderarzt bei uns anrufen, dann müssen wir leider sagen: Die Kinder aus unserem Stadtteil gehen vor.“
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Ob er einem jungen Mediziner raten würde, sich in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg niederzulassen? „Ich glaube, es gibt immer Menschen, die genau hierhin passen und das im Zweifel dann auch selbst merken“, sagt der leidenschaftliche FC St. Pauli-Fan. „So wie es Ärzte gibt, die genau wissen, dass sie dafür eben nicht gemacht sind.“