Hamburg. An der Bonifatiusschule Wilhelmsburg gibt es ein Zimmer mit 10.000 Edelsteinen, Fossilien und Modellen. Wie es dazu gekommen ist.

Es klingelt. Bereits wenig später strömen die ersten Jungen und Mädchen herein. Einige schüchtern, andere forsch. Einige setzen sich an Mikroskope, andere bestaunen die ausgestellten Steine. Vorsichtig und respektvoll bewegen sie sich. Fragen immer wieder ihren Lehrer um Erlaubnis oder Hilfe. Alle eint die Faszination, die von diesem Raum im ersten Stock am Ende des langen Ganges ausgeht.

Der Raum, in den die Kinder der katholischen Bonifatiusschule in Wilhelmsburg in der sogenannten kreativen Pause strömen, ist etwas ganz besonders. Geosystem Erde heißt er und wurde entwickelt und ausgestattet von Hans-Martin Gürtler, einem Lehrer der Schule.

Schule Hamburg: 10.000 Exponate an der Bonifatiusschule in Wilhelmsburg

Auf den ersten Blick wirkt er wie eine Art Museum, überall sind Erklärschilder angebracht, verschiedene Exponate stehen auf Regalen, in Vitrinen oder sogar auf Podesten. Auf 150 Quadratmetern sind hier Tausende Edelsteine, Fossilien, Versteinerungen, große Dinosauriermodelle, ausgestopfte Tiere, aber auch berühmte Gebäude in Miniaturformat ausgestellt. Rund 10.000 einzelne Stücke sind hier zu sehen.

Die Schüler der Bonifatiusschule in Hamburg-Wilhelmsburg dürfen in dem Raum alles entdecken. Lehrer Hans-Martin Gürtler ist überzeugt: „Wenn die Kinder Freude haben an Dingen, dann lernen sie auch mit absoluter Leichtigkeit.“
Die Schüler der Bonifatiusschule in Hamburg-Wilhelmsburg dürfen in dem Raum alles entdecken. Lehrer Hans-Martin Gürtler ist überzeugt: „Wenn die Kinder Freude haben an Dingen, dann lernen sie auch mit absoluter Leichtigkeit.“ © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Dazwischen Tische mit Mikroskopen und Laptops. Schubkästen mit verschiedenen Projekten der Schüler. An den Wänden Regale mit unzähligen Fachbüchern. Auf den zweiten Blick ist der Raum Geosystem Erde auch eine Art Labor oder Mitmach-Museum.

Schule Wilhelmsburg: Projekt soll bald 400 Quadratmeter zur Verfügung haben

Erst vor gut einem Jahr ist das Projekt aus Hamm an die Schule in Wilhelmsburg gezogen und hat am Ende des Flurs eine neue Heimat gefunden. Doch schon bald sollen zumindest Teile der Ausstellung wieder umziehen. Ein weiterer Raum soll umgebaut werden, damit Exponate und Schüler mehr Platz zum Entdecken und Forschen haben. Ein eigener Werkraum soll von den Schülern genutzt werden können. Zudem wird der Flur neu gestaltet.

Faszination Erde: Lehrer Hans-Martin Gürtler lässt die Pausen an der Bonifatiusschule in Wilhelmsburg zu einem echten Erlebnis werden. Die Schüler sind begeistert.
Faszination Erde: Lehrer Hans-Martin Gürtler lässt die Pausen an der Bonifatiusschule in Wilhelmsburg zu einem echten Erlebnis werden. Die Schüler sind begeistert. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Insgesamt werden dann 400 Quadratmeter für das Projekt Geosystem Erde zur Verfügung stehen. „Es soll ein wenig luftiger und großzügiger werden“, so Gürtler.

Dinosaurier in der Schule: Gerade sind zwei Modelle in den Raum eingezogen

Und mehr Platz wird dringend gebraucht. Gerade erst sind zwei große Dinosaurier-Modelle in den Raum eingezogen. Einen Flugsaurier mit einer Spannweite von 2,15 Metern, bestehend aus 250 Einzelteilen, hat beispielsweise der 14-jährige Max zusammengebaut. Er soll schon bald an der Decke hängen.

Zuvor haben sich die Kinder, um Bau-Experten Max, um einen riesigen Tyrannosaurus rex gekümmert. Er bestand aus rund 100 Teilen und ist etwa 1,70 Meter hoch. Dieses große Modell wurde auf einen extra angefertigten Stahltisch montiert, damit er hin- und herbewegt und von allen Seiten angeschaut werden kann.

„Ich übergebe den Kindern ganz bewusst diese Aufgaben und die Verantwortung für solche Projekte, nur so können sie etwas lernen“, sagt Gürtler.

Hans-Martin Gürtler wurde 2012 mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet

Der 60-Jährige hat all dies selbst entwickelt und angeschafft. Für sein Engagement für die Jungen und Mädchen der Stadt wurde er bereits 2012 mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet. Gürtler lebt für das Projekt und für seine Schüler. Jede freie Minute steckt er in das Geosystem Erde und seine Weiterentwicklung.

Der Pädagoge ist von dem großen Nutzen für die Schüler überzeugt. „Es ist faszinierend zu beobachten, was das Arbeiten hier mit den Kindern macht“, sagt er. Seine Begeisterung übertrage sich auf die Kinder. „Und wenn die Kinder Freude haben an Dingen, dann lernen sie auch mit absoluter Leichtigkeit.“

Tausende Exponate sind im Raum Geosystem Erde zu bestaunen. Sie alle gehören Lehrer Hans-Martin Gürtler persönlich.
Tausende Exponate sind im Raum Geosystem Erde zu bestaunen. Sie alle gehören Lehrer Hans-Martin Gürtler persönlich. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Schule Hamburg: Das Projekt hat Lehrer Gürtler vor 29 Jahren begonnen

Angefangen hat alles vor 29 Jahren, berichtet Gürtler. Da habe er erstmals mit einer Schulklasse die Mineralienmesse in Hamburg besucht. „Ich hatte einen Jungen dabei, der nicht gern geschrieben hat.“ Den hätten aber die Mineralien auf der Messe sofort fasziniert. Eineinhalb Stunden lang habe er eine Versteinerung aus einem großen Stein herausgearbeitet. Wenig später habe er aus eigener Initiative im Deutschunterricht einen „gigantischen Aufsatz“ über diesen Tag geschrieben, erzählt Gürtler.

Diese Begeisterung habe ihn nachdenklich gestimmt. Und ihm gezeigt, dass man andere Wege gehen müsse, um Kinder für das Lernen und die Schule zu begeistert.

Hamburg-Wilhelmsburg: 200.000 Euro hat der Lehrer in das Projekt gesteckt

So sei Stück für Stück das Geosystem Erde entstanden. Gürtler hat all die Exponate selbst erworben. Viele im Ausland auf seinen Reisen. Rund 200.000 Euro seines privaten Vermögens stecken in den verschiedensten Stücken, die er der Schule und seinen Schülern als Leihgabe zur Verfügung stellt. Vereinzelt haben Gürtler Stiftungen und Privatpersonen Gürtlers Projekt unterstützt. „Allerdings können wir sehr gut weitere Unterstützung gebrauchen“, sagt Gürtler, der immer wieder sein eigenes Geld investiert. Die Schule selbst stellt dem Geosystem Erde Räume, Möbel und Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Und sie gibt Gürtler die Möglichkeit, hier recht frei an dem Projekt zu arbeiten.

Schülerin Fiona betrachtet ein Exponat aus dem Raum Geosystem Erde an der Bonifatiusschule in Wilhelmsburg am Mikroskop.
Schülerin Fiona betrachtet ein Exponat aus dem Raum Geosystem Erde an der Bonifatiusschule in Wilhelmsburg am Mikroskop. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Im Zentrum vom Geosystem Erde stehen die Themen Entstehung der Erde und des Lebens – dafür sind die Steine und Fossilien gut. Außerdem geht es um die Evolution und die kulturelle Entwicklung der Menschheit und den Umgang mit den Ressourcen des Planeten. Der Raum ist für alle Kinder zugänglich und geeignet, von der ersten Klasse bis zum Oberstufenschüler. „Hier findet jeder etwas zu entdecken, egal welches Alter“, so Gürtler.

Unterricht zum Erleben: Unterstützt wird Gürtler von fünf Kollegen an der Schule

„Ich bin überzeugt davon, dass wir die Kinder heute nur noch mit Projekten wie diesem begeistern können“, sagt die Schulleiterin der Bonifatiusschule, Bianca Neugebauer. Sie arbeitet eng mit Gürtler zusammen und ist froh, dass er vor rund zwei Jahren nach Wilhelmsburg an die Schule wechselte.

„Wir machen hier das Wissen erlebbar, greifbar. Das ist nach unserer Überzeugung der einzige Weg, Kinder für Bildung begeistern zu können.“ Gemeinsam entwickelt sie mit Gürtler nun das Geosystem Erde weiter. Fünf Lehrer aus dem Kollegium unterstützen sie dabei.

Auch in der Pause: Jeder Schüler darf den Raum benutzen oder besuchen

Und der Initiator des Geosystems Erde erklärt, dass hier in dem Raum viel mehr drinnen steckt als Geografie, Geschichte oder Biologie. „Hier steckt Mathematik und Deutsch drin, hier erleben wir Chemie, ach, eigentlich alle Fächer, die in der Schule unterrichtet werden.“ Das Schulprofil sei schlicht fächerübergreifend. Und das auf spielerische und leichte Weise.

Nutzen darf den Raum jeder Schüler. Die elfjährige Merle hat extra kleine Karten entworfen und gebastelt, es sind die sogenannten Clubmitgliedskarten für den Raum. Stolz zeigt sie sie herum. In den Pausen, in bestimmten Unterrichtsstunden oder nach dem Ende der Schule dürfen die Kinder hier entdecken und forschen. „Es gibt keine Beschränkung.“

Mehr zum Thema

Schule Hamburg: Schüler in Wilhelmsburg gehen respektvoll mit Exponaten um

Doch, eine gibt es, so Gürtler. Und das sei die Voraussetzung, respektvoll mit den Exponaten umzugehen. „Aber ich muss zugeben, dass ich in all den Jahren noch nie etwas anderes erlebt habe.“ Auch deshalb vertraue er Schülern und Kollegen, ohne zu zögern, diese wertvollen Objekte an.

Geosystem Erde steht aber nicht nur den Jungen und Mädchen der Bonitatiusschule offen. Auch andere Schulen aus dem Norden können hierherkommen, für Kurzbesuche oder auch ganze Projektwochen. Zudem bietet Gürtler immer wieder Lehrerfortbildungen an (Interessierte können sich unter hans-martin.guertler@erzbistum-hamburg.org melden.). „Wir wollen, dass möglichst viele Menschen von diesem Konzept profitieren können“, sagt er. Schließlich seien es die Kinder und ihre Bildung, die ihm am Herzen liegen.