Hamburg. In St. Georg wird erstmals eine Software getestet, die in brenzlichen Situationen Alarm schlagen soll. Wie das funktioniert.
Zwei Strichmännchen in grüner, blauer und roter Farbe tänzeln über den ansonsten schwarzen Bildschirm eines Laptops. Es sind die Bewegungsmuster zweier Männer auf dem Hansaplatz in St. Georg, die sich gerade prügeln. Umgesetzt wurde das von einer der dort installierten Überwachungskameras aufgenommene Bild durch eine spezielle Software.
„Es ist ein erster Blick in die Zukunft der Polizeiarbeit“, wie Innensenator Andy Grote (SPD) sagt. Der Clou des Systems ist künstliche Intelligenz, kurz KI, die durch die Umsetzung von Bewegungsabläufen der gefilmten Menschen Auseinandersetzungen erkennen und gezielt die Polizei informieren soll. Der Einsatz erfolgt im Rahmen eines Pilotprojekts. Grote kann sich eine deutliche Ausweitung des Einsatzes von KI bei Kameraüberwachung vorstellen.
Polizei Hamburg: KI-Videoüberwachung auf dem Hansaplatz – mit Strichmännchen
„Hamburg hat seit 2016 die Videoüberwachung im öffentlichen Raum aufgebaut“, sagt Grote, der zur Inbetriebnahme der KI zum Hansaplatz gekommen ist. Zwar gab es schon vor seinem Amtsantritt Videoüberwachung, die war aber ausgeschaltet worden. „Wir haben dann zuerst die Kameras auf der Reeperbahn wieder in Betrieb genommen. Dann kam Anfang 2018 der Jungfernstieg dazu und zuletzt 2019 der Hansaplatz.“
Gerade die Maßnahme auf dem Hansaplatz findet Grote gelungen. „Der Platz ist ein gutes Beispiel dafür, wie man die Sicherheit und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum deutlich stärken kann.“
Der Hansaplatz war ein Drogen-Hotspot – und ist immer noch ein Brennpunkt
Der Hansaplatz war in den 1990er-Jahren und auch nach der Jahrtausendwende ein Drogen-Hotspot. Dealer gingen ihren Geschäften nach. Süchtige bevölkerten den Platz und die Stufen des prächtigen, 1878 eingeweihten Hansabrunnens. Prostituierte warteten rund um den Platz auf Freier.
„Das war ein richtiger Brennpunkt hier. Heute haben wir eine ganz andere Situation“, sagt Grote über den Hansaplatz, blickt um sich und befindet: „Es könnte immer noch ein bisschen besser sein.“
Das findet auch Markus Schreiber, der von 2002 bis 2012 Bezirksamtsleiter in Mitte und damit zuständig für St. Georg war. Er wohnt heute mit seiner Frau direkt am Hansaplatz in einem der prächtigen Altbauten. Die Videoüberwachung habe die Dealer vertrieben, sagt Schreiber. Das Problem sei der Alkohol, ganze Völkerschaften kämen, um hier ungezügeltem Konsum nachzugehen – mit allen Begleiterscheinungen.
„Morgens kommt die Stadtreinigung. Abends ist der Platz wieder voll Müll“, sagt Schreiber. Ein Brennpunkt ist der Hansaplatz auch heute noch. Nur eben anders.
KI erkennt Bewegungsmuster von Personen auf dem Hansaplatz in St. Georg
Die Kameraüberwachung, jetzt gepaart mit KI, soll die Situation noch einmal verbessern. „Wir machen jetzt den nächsten Schritt“, sagt Grote, und zwar mithilfe der „technischen Weiterentwicklung“. Man wolle die Videoüberwachung „wirksamer“ und „effektiver“ machen. Und natürlich „intelligenter“.
Bislang sind es ganz normale Videobilder, die direkt in den Wachraum der Polizeiwache 11 am Steindamm übertragen werden und dort über eine ganze Batterie von Bildschirmen in verschiedensten Größen flimmern. Das Problem: Man muss schon ganz genau hinschauen, um bei den Aufnahmen, die auch nicht in bester Qualität daherkommen, schnell auf eine heikle Situation aufmerksam zu werden.
„Die Software, die wir einsetzen, analysiert das Geschehen auf dem Platz“, sagt Grote zum neuen System. „Sie kann auffällige Bewegungsmuster erkennen.“ Dazu gehören Schläge, Tritte oder auch, wenn jemand hinfällt. Dann bekommen die Beamten in der Wache so etwas wie einen Alarm. Erst dann springt der Bildschirm an und zeigt die Szene. „Die Beamten entscheiden dann, ob eine polizeiliche Intervention nötig ist“, so Grote.
Innensenator Grote: Videoüberwachung mit KI hat auch Potenzial an Bahnhöfen
Bereits seit September hatte man den Einsatz der KI im Rahmen der Kameraüberwachung auf dem Hansaplatz vorbereitet. Dass es der zentrale Platz in St. Georg ist, bei dem die KI-basierte Kameraüberwachung getestet wird, habe laut Grote nichts mit einem „Bedarf“ zu tun. „Es ist eine besonders geeignete Testumgebung“, so der Innensenator.
„Wir versprechen uns davon viel Potenzial.“ Auch in Zügen und Bahnhöfen, wo es bereits sehr viele Kameras gebe. Dort könne die Vielzahl der Bilder gar nicht ständig von Sicherheitskräften überwacht werden. „Gerade in so einer Situation sind die Warnhinweise durch das System besonders wertvoll“, findet Grote.
Hansaplatz: Idee für KI-Videoüberwachung kommt nicht aus Hamburg
Die Idee, KI bei der Videoüberwachung einzusetzen, kommt jedoch nicht aus Hamburg. „Wir tauschen uns bundesweit mit Kollegen aus“, sagt Polizeivizepräsident Mirko Streiber. „Dabei sind wir auf Mannheim gestoßen, wo zusammen mit dem Fraunhofer Institut die in die Kameraüberwachung integrierte KI entwickelt wurde.“ Dort läuft das Projekt seit fünf Jahren.
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„Es hat einen Status entwickelt, bei dem wir gesagt haben, dass wir es auch in Hamburg ausprobieren können.“ Damit kam der Hansaplatz ins Spiel. Er ähnelt der Umgebung, in der die Software in Mannheim eingesetzt wird.
Polizei Hamburg: Videoüberwachung mit KI wird drei Monate getestet
Doch ganz so intelligent, wie der Name vermuten lässt, ist die KI nicht. Streiber bezeichnet es als „sehr niedrige Stufe der künstlichen Intelligenz“. „Dem System muss alles antrainiert werden“, sagt er. Sie entwickle sich nicht selbst ständig fort, lerne also nicht von selbst dazu. Das wäre vielleicht ein nächster Schritt. Die Bewertung und die Entscheidung über einen Polizeieinsatz bleibt ohnehin bei den Beamten.
In den kommenden drei Monaten wird vor allem getestet, wie gut die Erkennung von heiklen Situationen funktioniert.
Und dann ist da ja auch noch der Datenschutz. „Wir haben vom Datenschutzbeauftragten grünes Licht bekommen“, sagt Streiber. Das liegt auch am System. „Die Software erzeugt keine eigenen Aufzeichnungen. Es wird nichts biometrisch erfasst. Es ist ein Warnsystem, das den Einsatz hier noch effektiver machen soll“, sagt Grote. Das Okay vom Datenschützer kam fast als Punktlandung vor eineinhalb Wochen.