Hamburg. Heute ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Ein Spaziergang mit Plan International durch die dunklen Ecken der Stadt.

Das Gefühl, sich in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum unwohl zu fühlen, kennt vermutlich jede Frau. In Unterführungen, auf dunklen Straßen, in Parks – vor allem in der Dunkelheit befürchten Mädchen und Frauen, Opfer von Übergriffen zu werden. Das zeigt eine Umfrage der Kinderrechtsorganisation Plan International in mehreren deutschen Städten.

Gewalt gegen Frauen: Safety Walk in Hamburg von Plan International

Jede vierte Frau, die in einer Großstadt lebt, hat demnach schon Bedrohungen, Beleidigungen und Belästigungen auf der Straße erlebt. Die Zahlen wurden schon 2020 erhoben, doch der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November war für Plan Anlass, mit einem sogenannten Safety Walk in Hamburg erneut auf das Thema aufmerksam zu machen. Auch am Rathaus weht an diesem Freitag die Fahne „Frei leben – ohne Gewalt“.

Treffpunkt für den Spaziergang in der Dunkelheit ist der Steindamm. Die Idee ist, den Weg einer jungen Frau einzuschlagen, die sich nach dem Kinobesuch von der City auf den Nachhauseweg nach Eimsbüttel macht.

Gewalt gegen Frauen: Warum der Steindamm Angst einflößen kann

Vor dem Savoy Kino begrüßt Sarah Koch, Mitarbeiterin bei Plan, mehrere Kolleginnen und Frauen, die über die sozialen Medien von der Aktion erfahren haben. Ein einziger junger Mann ist dabei. Einige kennen sich. Am Steindamm sind noch die vielen Läden geöffnet, der Verkehr rauscht vorbei. Sarah Koch hat früher selbst lange in St. Georg gewohnt. „Hier ist immer was los“, sagt die 27-Jährige. Ab einer gewissen Uhrzeit seien aber kaum noch Frauen auf der Straße. Sie habe noch nie aktiv schlechte Erfahrungen gemacht, sagt sie auch, „aber man kommt ins Grübeln, wenn man plötzlich feststellt, dass überall nur noch Männer oder Gruppen von Männern unterwegs sind.“ Es sei die Unberechenbarkeit mancher, wenn Alkohol und Drogen im Spiel seien, die beängstigend sei, sagt sie.

Wenn es dunkel wird am Hansaplatz, steigt die Unsicherheit.
Wenn es dunkel wird am Hansaplatz, steigt die Unsicherheit. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Beim Spaziergang, den die Gruppe gemeinsam unternimmt, geht es darum, sich in die exemplarische junge Frau hineinzufühlen. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof hält Sarah Koch auf dem Hansaplatz. Dort laufen gerade Polizisten Streife – sie sind zu viert unterwegs. Auf einer Seite des Platzes ist ein Polizeifahrzeug abgestellt. Der Platz, der als Kriminalitätsschwerpunkt gilt, wirkt an diesem Abend mondän und gar nicht beunruhigend. Die Trinker, die den Platz tagsüber häufig bevölkern, sind weg, die hell beleuchteten Restaurants wirken einladend.

Der Hansaplatz wird auch als beängstigend empfunden

Doch zu späterer Stunde habe der Platz eine andere Atmosphäre, sagt Katharina Hofmann. Sie besucht öfter Freunde hier. „Wenn ich unterwegs bin, habe ich eigentlich immer Kopfhörer auf“, sagt die 37-Jährige. Nur in dieser Gegend nehme sie diese immer raus, um alles mitzubekommen, was in der Umgebung passiert. Dass ein Polizeiauto auf dem Platz sei, verunsichere sie eher als dass es ihr Sicherheit gibt.

Der Hansaplatz zählt ebenso zu den Straßen und Plätzen, die bei der Umfrage am häufigsten als Angsträume benannt wurden. Dazu gehören auch Steindamm, Hauptbahnhof, Hachmannplatz, Diebsteich, Isebekstraße, Kieler Straße, Elbgaustraße, Reichsbahnstraße, Hammerbrook und der Stadtpark (im Dunkeln).

Hilke nahm am Rundgang mit Plan International teil.
Hilke nahm am Rundgang mit Plan International teil. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Sie sei gern am Steindamm, sagt Hilke, „aber ich würde auch nie mit Kopfhörern unterwegs sein. Auch die 31-jährige Modedesignerin nennt die „unberechenbaren Menschen“ als größten Faktor für ein gelegentliches Unbehagen.

Die Hauptgründe für unsichere Orte

In der Umfrage wurden als Hauptgründe für unsichere Orte „suspekte Personen“, „schlechte Beleuchtung“ und „sexuelle Belästigung“ genannt. Dabei fühlten sich die Befragten auf der Straße (54 Prozent), in öffentlichen Verkehrsmitteln (19 Prozent) und in Parks (18 Prozent) mit Abstand am unsichersten. Um einen Ort als sicher einzustufen, nannten die Befragten „Belebte Gegend/Hilfe verfügbar“, „Keine schlechten Erfahrungen gemacht“ und „gute Beleuchtung“.

Vom Hansaplatz geht es durch die Baumeisterstraße vorbei am Weihnachtsmarkt Winterpride zum Hauptbahnhof. Die nahe gelegene Lange Reihe schnitt in der Umfrage erheblich besser als als viele andere Ecken von St. Georg. Der Hauptbahnhof dagegen, aber auch der Vorplatz wie auch die Unterführungen zur U-Bahn sorgen bei vielen für ungute Gefühle. „Auf dem Weg zur U-Bahn gibt es wenige Ausweichmöglichkeiten“, sagt Plan-Sprecherin Barabara Wessel. Dabei müsse die gefühlte Unsicherheit nichts mit tatsächlichen Gefahren zu tun haben.

Auch mitten in Eimsbüttel gibt es dunkle Ecken

Aber der Abgang zur U2 ist hell erleuchtet, nur eine zerbrochene Bierflasche fällt auf. In der U-Bahn zur Haltestelle Emilienstraße sind noch viele Menschen unterwegs. Doch als die Gruppe in Eimsbüttel aus der Station tritt und dem imaginierten Nachhauseweg der jungen Frau folgt, fällt auf, dass auch der beliebte und belebte Stadtteil sehr dunkle Ecken hat. Denn der direkte Weg würde durch Wehbers Park, bzw. eine gänzlich unbeleuchtete Trasse – links und rechts Gebüsch – führen. Die meisten Teilnehmerinnen sind zögerlich, nur der eine männliche Teilnehmer würde diesen Weg ohne Bedenken wählen. Der Umweg führt entlang der Fruchtallee, wo es laut ist und nach Abgasen riecht, aber dafür deutlich heller ist.

Erst am Hamburg-Haus Eimsbüttel ist es wieder heller. Danach quert die Gruppe der Spaziergänger den Eppendorfer Weg und endet bei der Christuskirche. Barbara Wessel lobt das nahe gelegene Kaiser-Friedrich-Ufer, wo eine bessere Beleuchtung für ein gesteigertes Sicherheitsgefühl sorgt, als Beispiel, wie Stadtplanung reagieren kann.

Selbstgespräche zur Abschreckung

Eine Teilnehmerin sagt, wenn sie nachts allein auf einer einsamen Straße unterwegs sei und es zu spät sei, jemanden anzurufen, halte sie oft das Handy ans Ohr und führe Selbstgespräche, um potenzielle Belästiger abzuschrecken. Andere erzählen, dass sie ihren Standort per Mail schicken, wenn sie sich verabreden. Damit sich ihr Weg nachvollziehen lässt, sollte ihnen etwas zustoßen.

„Wir wollen junge Frauen und Männer darin bestärken, dass sie das Recht haben, sich frei in der Stadt zu bewegen“, sagt Sarah Koch. Deshalb veranstalte Plan regelmäßig Workshops. Es gehe auch darum, mit Jugendlichen über Geschlechtersterotypen zu sprechen. Viel häufiger seien es ja Mädchen und junge Frauen, die sich unsicher fühlten.

Globale Aktionstage gestartet

Plan International beteiligt sich auch an den „16 Days of Activism“. Die globalen Aktionstage starten am heutigen Freitag. „Sich zu jeder Tageszeit sicher und angstfrei bewegen zu können, das ist für die meisten Mädchen und Frauen auf dieser Welt keine Selbstverständlichkeit“, sagt Kathrin Hartkopf, Sprecherin der Geschäftsführung von Plan International Deutschland.

„Fast 80 Prozent der Mädchen und Frauen fühlen sich in ihrer Stadt nicht sicher. Und zwar unabhängig davon, ob sie in einer deutschen Großstadt leben oder in einer anderen Metropole dieser Welt. Das haben Umfragen gezeigt, die wir in den letzten Jahren in mehreren unserer Projektländer zum Sicherheitsgefühl von Mädchen und Frauen durchgeführt haben. Ob in Berlin oder Hamburg, Delhi, Lima, Kairo, Kampala, Madrid oder Sydney – die Ergebnisse sind fast deckungsgleich.“

Gewalt gegen Frauen: Dunkelfeldstudie des BKA

Dass auch in Deutschland noch viel zu tun ist, damit sich Menschen – vor allem Mädchen und Frauen – auch zu später Stunde in der Öffentlichkeit sicher fühlen, bestätigen die Ergebnisse der aktuellen Dunkelfeldstudie des Bundeskriminalamts (BKA) „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“. Frauen haben demnach weitaus mehr Angst vor Übergriffen als Männer, besonders, wenn sie nachts allein unterwegs sind, zum Beispiel bei der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs: die Differenz zwischen Frauen und Männern beträgt hier rund 33 Prozent.

„Eine hundertprozentige Sicherheit ist leider nicht möglich“, so Kathrin Hartkopf. „Was wir jedoch ändern können, ist der Umgang mit Situationen, die für Mädchen und Frauen bedrohlich oder übergriffig sind. Mit Aktionen wie unseren Safety Walks in den Metropolen dieser Welt wollen wir dafür sensibilisieren, wie beängstigend etwa ein nächtlicher Nachhauseweg sein kann, und was im akuten Fall möglich ist, eine solche Situation für die Betroffenen zu entschärfen. Auch ermutigen wir die Jugendlichen in unseren Safer Cities-Programmen, sich bei den zuständigen Behörden Gehör zu verschaffen, zum Beispiel mit Vorschlägen im Bereich Stadt- und Verkehrsplanung.“

Um den Lebensraum Großstadt für Mädchen und Frauen sicherer zu machen, hat Plan International 2014 gemeinsam mit UN-Habitat das „Urban Programme – Safer Cities for Girls“ ins Leben gerufen. Das Programm wurde bereits in zwölf Ländern umgesetzt. Im Rahmen der „16 Days of Activism against Gender-Based Violence“ startet Plan International gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen eine globale Social Media-Kampagne gegen Gewalt an Frauen.