Hamburg. CSD-Demo mit Rekordbeteiligung: 30 Trucks rollten beim Höhepunkt der Pride Week durch die City. Auch Parteien zeigten Flagge.
Als der in der Tat spektakuläre Demonstrationszug gelaufen war, tanzte in der Nacht zum Sonntag auf dem Kiez der Bär. Beim Pink Pauli Festival in 15 Lokalitäten wurde der famose Verlauf einer stimmungsvollen, turbulenten Parade am Nachmittag gefeiert. Friedlich, schrill, lärmend war die Botschaft durchgedrungen: „Auf die Straße! Vielfalt statt Gewalt“. Die Hansestadt machte ihrem Ruf als Tor zur großen Freiheit alle Ehre. Fröhlich, farbenfroh, frech. Die Polizei bestätigte rund 250.000 Teilnehmer und Zuschauerinnen am Straßenrand.
Dass tatsächlich der Bär los war, lag an einem in jeder Beziehung heiteren Wochenende – und auch an den Nordbären. Dieser Verein schwuler, nach eigenen Angaben bäriger Typen, dessen jährliche „Bärenpaadiie“ in der Szene legendär ist, war während der Parade fulminant präsent. Dutzende dieser Nordbären, überwiegend stabile Männer mit Gewicht, ließen ihren Truck erbeben – im Takt der Rockmusik. Da kam Freude auf. Das Volksfest Dom sorgte mit einem fahrbaren Riesenrad für Fu-rore. Und auch Ben I., schwuler Heide-könig aus Lüneburg, war mit einem Auto zur Stelle.
CSD in Hamburg: Redner fordern Leben frei von Hass
Ohnehin waren Vielfalt und Fantasie Trumpf. Nicht nur beim dreitägigen Straßenfest. Der Demonstrationszug mit 82 Initiativen und 30 Trucks führte über vier Kilometer, von St. Georg zum Jungfernstieg. Es herrschte Volksfeststimmung. Selten zuvor hatte Hamburg eine so bunte, ausgefallene und teilnehmerstarke Parade erlebt. Unabhängig von Remmidemmi und Krach wurden inhaltliche Schwerpunkte transportiert.
Bei der Abschlusskundgebung am Ufer der Binnenalster artikulierten Redner die Forderung nach einem Dasein frei von Diskriminierung und Hasskriminalität. Eine Vertreterin der Kampagne „Liebe kennt keine Grenzen“ trat ebenso ans Mikrofon wie ein Ehrengast aus Belgrad. Serbiens Hauptstadt ist im Oktober Veranstaltungsort der Europride. In einem weiteren Wortbeitrag ging es um Homophobie im WM-Austragungsland Katar.
Hamburg als „Stadt der Freiheit und Toleranz“
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der gemeinsam mit der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) in vorderster Reihe Flagge zeigte, sprach von Hamburg als „Stadt der Freiheit und Toleranz.“ Die Farben des Regenbogens, an diesem Tag allgegenwärtig, wiesen den Weg. „Wir wollen raus aus der Schmuddel-ecke, hin zu selbstbestimmtem Handeln“, sagte Ronny Griepentrog. Der 36 Jahre alte Produktmanager eines Unternehmens für elektronischen Handelsverkehr hatte bei einer Verlosung ein Ticket für Truck Nummer eins gewonnen.
Zur Feier des Tages trug er eine Paillettenhose sowie ein schwarzes, ärmelloses Shirt. Seit 2014 ist er ehrenamtlich in der Hamburger Aidshilfe aktiv. „Als politische Demo verfügen wir über eine unüberhörbare Stimme“, sagte Griepentrog. Später stand er am Stand der Aidshilfe am Ballindamm. Im Regenbogen-Café gab‘s Getränke, Kuchen und Informationen.
CSD in Hamburg: CDU fehlte
Das gewaltige Lkw-Cabrio mit der Startnummer eins, auf dem Ronny Griepentrog im feiernden Pulk stand, wurde vom Verein Hamburg Pride organisiert, dem Veranstalter der offiziell als Demonstration angemeldeten Parade. Den Machern war es geglückt, eine Party mit ernsthaftem Hintergrund auf die Beine zu stellen. Daran änderten auch manchmal minutenlange Pausen zwischen den Umzugsteilen nichts. Während SPD, Grüne und FDP mit eigenen Wagen Präsenz zeigten, verzichtetet die CDU darauf.
Zwar war die LSU (Lesben und Schwule in der Union) an der Binnenalster mit einem Stand dabei, dennoch sorgte die dezent schmollende Partei bei passender Witterung für Erheiterung. Während der Parade beklagte sich ein CDU-Sprecher darüber, dass einem führenden LSU-Vertreter die Zusage verwehrt worden sei, an der Spitze des Zuges mitzulaufen. Wenig später folgte die Entwarnung: „Fünf Minuten nach dem Start“ habe sich der Christdemokrat doch noch nach vorne „durcharbeiten“ können. Noch mal gut gegangen.
CSD in Hamburg: Auch Firmen wie Ikea mit dabei
Firmen wie Ikea, Hapag-Lloyd, Maersk, Rewe, Kellog, die Haspa oder Otto waren ebenfalls mit von der Partie. Beiersdorf wies auf einem gut bestückten und farbenreich geschmückten Truck darauf hin, dass man sich stolz in seiner Haut fühlen solle. Wie auch immer. Die Fluglinie Eurowings hatte ein ähnlich passendes Motto plakativ parat: „Diversifly“.
Als Zugabe zu wummernden Beats aus den Lautsprechern freuten sich die Zaungäste über Seifenblasenmaschinen, jede Menge bunter Luftballons, lila Perücken, über schrille Kostüme und selbst gebastelte Plakate. Wer wollte, konnte sich „free hugs“ abholen, kostenlose Umarmungen. Wem es gefiel, der zeigte Strapse, Stiefeletten, ausgestopfte Oberteile oder textilfreie Bäuche – wahrlich nicht immer im Stil eines Sixpacks. Spendable Teilnehmerinnen reichten den Passanten Bierdosen oder Energydrinks.
CSD in Hamburg: Viele tanzten spontan zur Musik
Eine mit Hundemasken ausstaffierte Gruppe rief auf zum „vereinten Bellen gegen Homophobie“. Frauen in Overalls im Neonlook und mit silberfarbenen Helmen tanzten am Anfang des Zuges professionell auf Stelzen. Applaus. Die Schola Cantorosa, ein schwuler Männerchor, gab lautstark den Ton an. Der Fahrer eines roten Doppeldeckerbusses inmitten der Parade trug eine Weste auf nackter Haut. Einige Verwegene zogen fast komplett blank. In diesen Ausnahmefällen war weniger keinesfalls mehr.
- Wie sich der CSD in Hamburg über die Jahre verändert hat
- Africa Day, Schifffahrt und Co.: Tipps für das Wochenende
- Kultur-Tipps für Hamburg: Der Sommer lockt mit Festivals
Wer Lust hatte, tanzte spontan. Eigentlich ging fast alles. Wie ein Mann mit strammen, tätowierten Waden und hohen, weißen Cowboystiefeln bewies. Eine ganz Harte trug eine Wolfsmaske und plüschige Puschen mit Krallen. Nicht minder kreativ fiel die Devise des Lesbennetzwerks aus: „galactic + trans:tastic“.
CSD in Hamburg: "Wie Karneval, nur mit mehr Sinn"
„Es ist wie Karneval“, meinte Loana Jeritz aus Bergedorf mit Logensitz auf den Stufen der Hauptkirche St. Petri, „nur mit viel mehr Sinn.“ Ein Einsatzfahrzeug der Hamburger Feuerwehr war ebenfalls mittenmang – zur mobilen Demo-Disco umfunktioniert. Blaulicht zuckte, Sirenen heulten. Und aus den Boxen gab ein Schlager vielfältige Hoffnung wieder: „Und alles wird gut.“ Getreu dem bewährten CSD-Credo: Normal ist, wer Menschen achtet.