Hamburg. Das Museum an der Rothenbaumchaussee zeigt lebendige Geschichten: Fotos von 1868 werden in einen aktuellen Kontext gestellt.
Manchmal kann ein Blick von außen die Perspektive auf ein Kulturgut ganz zauberhaft verändern und ins Heute transportieren. So auch in diesem Fall: Normalerweise wäre das Fotoalbum aus dem Jahre 1868, das der Hamburger Kaufmann Egmont Hagedorn an seine Schwester Jenny Hagedorn und ihren Ehemann Georg Dunker schickte, nur eines von vielen schönen Zeitdokumenten.
Hagedorn war seinerzeit beruflich für viele Jahre in Singapur und Südostasien unterwegs. Die 352 Aufnahmen des Albums zeigen sehr anschaulich den Geist der damaligen Studiofotografie. Mit ernsten Gesichtern, aber sehr würdevollen Haltungen und in einfacher bis prachtvoller Garderobe, sind Menschen aller sozialen Schichten dargestellt. Sie geben Einblicke in den kosmopolitischen Charakter Singapurs als Heimat von Menschen aus Indien, China und Malaysia. Auch zahlreiche Landschafts- und Architekturaufnahmen sind zu sehen.
MARKK macht Schenkung zum Teil einer Ausstellung
116 Jahre später gelangte das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) durch eine Schenkung in den Besitz des Albums. Hier ist es nun Teil eines besonderen Ausstellungsprojektes anlässlich der 8. Triennale der Photographie zum Thema „Currency“ (Währung). Der ghanaische Foto-Künstler Kelvin Haizel hat das Album anlässlich einer mehrmonatigen Residenz in den Kontext einer eigenen, vierteiligen Kunst-Installation gestellt. Und die fügt aktuellen Fragestellungen rund um die Fotografie einige schöne Ebenen hinzu.
Haizel, Jahrgang 1987, hat in Kumasi Fotografie studiert, zahlreiche Stipendien und Preise gewonnen und in Ghana, Mali, Südafrika, aber auch der in der Schweiz, in Dänemark und den USA ausgestellt. Er sieht sich weder als Maler noch als Fotograf. Sondern als Künstler, der an der Grenze von Video, Fotografie, Installation und Objekt agiert. Wichtig ist ihm, dass das Ergebnis erst einmal offen bleibt. Für die Arbeit mit dem Fotoalbum wählte er als jemand, der nie Singapur bereist hat, einen universellen, humanistischen Zugang. Ihm geht es um das Dargestellte einerseits, die Bedeutung der Handelswege, die zugleich auch von Kolonialvergangenheit erzählen und die Materialität.
Negative der Fotografien unter rotem Licht präsentiert
In seiner Installation hat er sich zum einen aus ökologischer Sicht mit Albuminabzügen beschäftigt. Albumin oder Eiklar galt in den 1860er-Jahren als wesentlicher Bestandteil in der Fotografie. In der Ausstellung sind nun großformatige Abzüge zu sehen, die Haizel mit Großaufnahmen von Eiklar ergänzt und verfremdet hat. Sie geben den Bildern etwas sehr Zeitloses, rücken aber die Menschen ganz dicht ans Heute heran.
Im Zentrum der Schau präsentiert Haizel Negative der Fotografien unter rotem Licht in Anlehnung an das traditionelle Fotolabor. Durch die Negative erhalten die Arbeiten etwas Überzeitliches, öffnen sich für eine Neudefinition der mit ihrer Hilfe abgebildeten Geschichten. Eine weitere Arbeit gibt einen Überblick über die Kartierung der Handelsrouten, die Europa und Südostasien vor der Eröffnung des Suezkanals 1869 verbanden und offenbart, wie sehr die Handelsrouten mit den Wegen der Kolonialisierung übereinstimmten.
MARKK: Haizel schafft neue Kontexte
Schließlich hat Kelvin Haizel ein Foto, das einzige, auf dem drei dargestellte Frauen ihre Hände zu Gesten in die Luft recken, auf leichten Stoff gedruckt und per Windmaschine in Bewegung versetzt. Und es wirkt tatsächlich so, als würden sie tanzen.
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Auf sehr kluge Weise nähert sich Kelvin Haizel hier dem historischen Dokument, und es gelingt ihm in seiner vielschichtigen Installation tatsächlich mehrere neue Kontexte zu schaffen – und eine hochspannende Geschichte zu erzählen, die den Blick auf die kosmopolitische Stadt Singapur schärft.
„Archiv der Erfahrungen“ bis 16.10., MARKK (U Hallerstraße), Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 8,50/4,50 (erm.), www.markk-hamburg.de, phototriennale.de