Hamburg. Trotz Hamburger Schietwetter pilgern die Menschen durch die Straßen. Nach der Corona-Pandemie ein völlig neues Gefühl.
Das beste Wetter für den Neustart hat das Stadtfest St. Georg nicht erwischt: Graue Wolken und Nieselregen hängen am Sonntag über der Langen Reihe, mehr als 14 Grad geben auch die Temperaturen nicht her. Davon lässt sich an diesem Wochenende aber niemand abhalten, das Event zu genießen. Junge Familien mit Kinderwagen, Paare und Freundesgruppen spazieren über eines der ersten Straßenfeste, das in Hamburg wieder unter annähernd normalen Bedingungen stattfinden kann. Vorbei am Flohmarkt, der sich bis zum Hansaplatz erstreckt, und den beiden Bühnen am Carl-Von-Ossietzky-Platz und an der Ecke Baumeisterstrasse.
Stadtfest: Gute Laune trotz Regenwetter
Hier moderiert Deborah Tabiri, die zum Veranstaltungsteam von Ahoi Events gehört, die Show der Newcomer, die sich beim Fest auf St. Georg präsentieren. Sie bereitet sich um kurz nach zwölf am Sonntag noch auf den Tag vor, während auf der Bühne die letzten Kabel umgesteckt werden, Mikros, Boxen und Schlagzeug aber schon bereitstehen. Bis 22 Uhr wird es an diesem Tag offiziell Programm unter freiem Himmel geben. Am Sonnabend habe sie das Wetter noch etwas frustriert, erzählt Tabiri. „Es hat eigentlich in Strömen geregnet, mal doller, mal weniger doll. Aber alle waren gut drauf, auch die Bands waren sehr zufrieden, weil die Leute trotzdem Stimmung gemacht haben.“
Tabiri war überrascht von dem Zulauf. Am Sonnabend seien es schätzungsweise 20.000 Besucherinnen und Besucher gewesen, geplant hatte ihr Team für insgesamt 60.000 Menschen über das Wochenende hinweg. „Es wirkte so, als wenn die Leute nach zwei Jahren endlich wieder raus wollten“, sagt Tabiri. Einen Unterschied zu vor Corona bemerke sie kaum noch, wenn sie über die Fläche gehe. „Es ist auch eine geringere Hemmschwelle da, weil es draußen stattfindet und man Abstand halten kann, wenn man möchte“, meint Tabiri.
Buntes Programm beim Stadtfest in St. Georg
Über 100 Beschickerinnen und Beschicker bieten auf der Langen Reihe am Sonntag ihre Waren an: Cocktails neben Crêpes, Langos und Haribo, Armbänder und Schmuck neben kleinen elektronischen Spielzeughunden. Auf dem Fest informieren auch CDU, SPD, Grüne und FDP über ihr Programm, die Aids-Hilfe, der Bürgerverein zu St. Georg und die LSBTI*-Ansprechstelle der Polizei Hamburg (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter*) sind ebenfalls vertreten. „Die Leute lassen sich vom Wetter nicht umhauen“, erzählt Monja Bianchi vom Schmalzkuchen-Stand Rasch. „ Trotz Regen war und ist einiges los.“ Ihre Kundinnen und Kunden seien sehr zufrieden und würden sich freuen, sich draußen ohne Einschränkungen bewegen zu können. „Es gibt noch einige, die Maske tragen, aber das ist ja eigenes Befinden und Eigenverantwortung.“
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Bianchi war schon ab Ostern vereinzelt wieder in Schleswig-Holstein als Beschickerin unterwegs, doch jetzt gehe es für sie und ihre Kollegen wieder richtig los. Von zehn Uhr an bis Mitternacht steht sie heute an der Langen Reihe – und das sehr gerne. Abends rechne sie am Sonntag mit noch mehr Betrieb, wie es auch schon am Sonnabend der Fall gewesen sei. „So ein Stadtfest fängt ja oft auch ab 18 Uhr an, nochmal richtig lustig zu werden“, meint Bianchi. Am Nachmittag werden an diesem Sonntag auf den Bühnen Leroy Jönsson & Band, Evas Apfel und die Newcomer Simonschmidt, Kraus und Leyas Crave spielen. Die meisten Künstlerinnen und Künstler seien glücklich, wieder live auftreten zu können, erzählt Moderatorin Tabiri. „Für viele ist es auch das erste Mal seit Corona. Für andere – gerade auf der Newcomer-Bühne – ist es das erste Mal überhaupt“, sagt sie.
Maltzahn war beim Stadtfest in St. Georg willkommen
Um 16 Uhr beendet das Ronja Maltzahn Trio auf der Hauptbühne unter großem Applaus ihr Set. "Es fühlt sich an wie nach einer Fastenzeit", sagt Maltzahn im Backstagebereich. "Echte Musik für echte Menschen, es so eine Erleichterung, dass das wieder geht!"
Erleichterung gab es für die Musikerin auch im Austausch mit der Klimabewegung Fridays For Future. Im März hatte Maltzahn nicht wie geplant bei einer Demonstration in Hannover auftreten dürfen, weil sie als weiße Künstlerin Dreadlocks trägt. Dies hatte medial eine größere Debatte über kulturelle Aneignung ausgelöst. Seitdem habe man aber ein klärendes Gespräch mit den Klima-Aktivistinnen und Aktivisten geführt, erzählt Maltzahn. Bei anderen Auftritten - wie kürzlich einem Stadtfest in Bielefeld - sei seitdem alles "friedlich und positiv" verlaufen. Auch für Ahoi Events spielte die Diskussion keine Rolle: „Wir waren der Meinung, dass ihre Frisur kein Grund ist, Ronja auszuladen. Sie setzt sich aktiv gegen den Klimawandel und für Antidiskriminierung ein. Wir haben da eher auf die inneren Werte geguckt und das, was sie verkörpert“, sagt Moderatorin Tabiri.
Die Pandemie hat Stadtteil-Feste unmöglich gemacht
Doch die Routine fehle nach zwei Jahren Corona. Dadurch sei die Nervosität und Aufregung trotz guter Stimmung groß. Das gelte auch für Ahoi Events als Veranstalter. 2020 wurde das Stadtfest St. Georg erst auf den September verschoben und dann ganz abgesagt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren in Kurzarbeit. 2021 haben sie nur an kleineren Veranstaltungen gearbeitet, für das Stadtfest hatten sie mit jeder neuen Verordnungsänderung Hoffnung – am Ende ging es aber doch nicht. „Dass es sich so lange zieht, hat natürlich keiner erwartet, aber wir haben das Beste daraus gemacht“, sagt Tabiri. Dieses Wochenende findet das Fest nun zum elften Mal statt. Normalerweise habe man etwa sechs Monate Zeit für die Planung, in diesem Jahr konnte das Ahoi Events erst ab Ende April aktiv starten, das Fest final zu organisieren – dann war klar, dass das Stadtfest wieder wie gewohnt stattfinden wird. Das Team aus sieben Personen habe dabei vieles hinterfragt: War das früher so oder doch anders?
Dazu gehöre etwa, ob man zwei oder doch drei Zelte für den Backstagebereich der Bühnen oder noch zusätzliche Zäune brauche. „ Eher banale Sachen, die langfristig aber doch einen Unterschied machen“, berichtet Tabiri. Bei Auf- und Abbau habe das Meiste dann aber doch problemlos funktioniert. So war es auch beim Mandolinenorchester SOL aus dem Kulturladen, das um 13 Uhr als eine der ersten Gruppen auf der Hauptbühne am Carl-Von-Ossietzky-Platz vor einem freudigen Publikum spielte. Eine ältere Dame filmt die Show mit ihrem Smartphone und schunkelt zu den Klängen mit, zwei junge Männer halten sich im Arm. Auch hier sind um einiges mehr Regenschirme als vereinzelte FFP2-Masken im Publikum zu sehen. Dafür neben den bunten Regenjacken in orange, gelb und rosa aber auch viele lächelnde Gesichter. Eine junge Frau, die vor der Hauptbühne steht, scheint das Motto des Tages auf ihrem Jutebeutel zu tragen: „Heute wird getanzt.“