Hamburg. Dank einer Finanzhilfe der Stadt wird der Betrieb fortgeführt. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter musste aber entlassen werden.

Die gute Nachricht überbrachte Finanzsenator Andreas Dressel persönlich: Das Überleben der von Insolvenz bedrohten Kulturstätte Dialog im Dunkeln ist gesichert – erst einmal. Vom kommenden Donnerstag an kann die Institution am Alten Wandrahm in der Speicherstadt nach sechsmonatiger coronabedingter Zwangspause wieder öffnen. Grundlage des Neustarts ist ein Kredit über gut 700.000 Euro. Es ist die Hamburg-Premiere dieser Finanzhilfe für Sozialunternehmen.

„Wir konnten in letzter Sekunde unter den Rettungsschirm schlüpfen“, sagte Andreas Heinecke, der Geschäftsführer des Dialoghauses, „sonst hätten wir Ende dieses Monats den Geschäftsbetrieb einstellen müssen.“ Der Kredit mit der Hansestadt als Bürgen muss ab 2024 in Raten getilgt werden. Im vergangenen Jahr hatten 117.373 Gäste das Projekt mit sozialem Tiefgang besucht. Während die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Augenlicht sowie das Dinner in the Dark fortan drei und ab November vier Tage in der Woche geöffnet sein werden, bleiben die Dialoge im Stillen und mit der Zeit bis auf Weiteres geschlossen.

Dialog im Dunkeln bekommt 75.000 Euro Corona-Soforthilfe

„Das Dialoghaus ist eine Perle und für Hamburg unverzichtbar“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt nach seinem Termin in der Speicherstadt. „Ein sinnstiftender Erlebnisort dieses Formats hat die Unterstützung der Stadt verdient.“ Es handele sich um ein „Sozialunternehmen, wie es im Buche steht“. Zuvor waren dem Projekt 75.000 Euro Corona-Soforthilfe bewilligt worden.

Der jetzt bereitgestellte Kredit ist Teil eines Finanzpakets zur wirtschaftlichen Stabilität. Für eine Machbarkeitsstudie über Zukunft und mögliche neue Akzente des Dialoghauses stehen außerdem 180.000 Euro zur Verfügung. 150.000 Euro davon stammen aus öffentlichen Mitteln.

Die Erlebnisflächen im historischen Backsteingebäude nahe der Poggenmühlen-Brücke erstrecken sich über 3600 Quadratmeter. Von den zu Jahresbeginn 132 Mitarbeitern musste rund die Hälfte entlassen werden. Die restlichen kehren nun nach und nach aus der Kurzarbeit zurück. Kalkuliert wird in den kommenden Monaten mit etwa einem Viertel der früheren Besucherzahlen. 70.000 Gäste, darunter viele Schüler, hatten im Vorjahr zwischen 11,50 und 17,50 Euro Eintritt für den „Dialog mit dem Dunkeln“ bezahlt. Fast 50.000 kamen in die Partnerausstellungen.

Andreas Heinecke exportierte die Idee in 43 Länder

„Aktuell steht uns das Wasser wirtschaftlich nicht mehr bis zur Nasenspitze, sondern nur noch bis zum Hals“, sagte Geschäftsführer Andreas Heinecke. Der promovierte Philosoph hatte die Idee vor mehr als drei Jahrzehnten und exportierte sie in 43 Länder und 140 Großstädte. Die Überlegung, den Kosmos von Blinden, Gehörlosen und alten Menschen ebenso praktisch wie gefühlvoll erlebbar zu machen, ging um die Welt – mit wachsendem Zuspruch. Bis Corona kam.

„Wir müssen die aktuelle Entwicklung abwarten und gucken, was machbar ist“, ergänzte Betriebsleiterin Sonja Bredtmann. Die drohende Insolvenz und die Berichterstattung darüber hätten zu einer „großartigen Solidarität der Hamburger“ geführt: 134.000 Euro kamen als Spenden zusammen. Außerdem erließ der Vermieter des Gebäudes, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), dem Dialoghaus die Miete von Mitte März bis zum Jahresende 2020 – unter dem Strich 300.000 Euro.

„Es ist ein beglückendes Gefühl, dass uns so viele Helfer unter die Arme greifen“, bilanziert Dialog-Initiator Heinecke. „Erst einmal haben wir bis Sommer 2021 Luft zum Überleben.“ Voraussetzung des Überbrückungskredits über gut 700.000 Euro war eine umfassende Transparenz Behörden und Banken gegenüber. Bisher konnten sich die Dialoge zu 87 Prozent durch eigene Einnahmen finanzieren. Hinzu kamen Zuschüsse für die Anstellung behinderter Mitarbeiter. Im Gegenzug habe der Betrieb 2019 fast eine Million Euro Sozialabgaben und Steuern überwiesen.

Dressel: Dialoghaus ist eine Herzensangelegenheit

Vor Corona betrugen die monatlichen Fixkosten 230.000 Euro, also rund 2,76 Millionen Euro im Jahr. Da die gemeinnützige Gesellschaft keine Rücklagen hatte, war die Not schnell immens groß. Beruhigend habe die Zusicherung des Finanzsenators gewirkt, dem Dialog im Dunkeln politisch handfest zur Seite zu stehen.

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„Das Dialoghaus ist uns eine Herzensangelegenheit“, bekräftigte Dressel dem Abendblatt gegenüber. Es werde nach Lösungen gesucht, das soziale Projekt langfristig auf ein sicheres Fundament zu bugsieren. Staatliche und privatwirtschaftliche Partnerschaften sind denkbar. Zudem wird hinter den Kulissen ein „Museum des Lebens“ entwickelt.

So und so soll ein Zeichen gesetzt werden. „Wir suchen Nachahmer“, ruft der Senator auf. Das Volumen zur Liquiditätsbeschaffung für Not leidende Sozialunternehmen in Hamburg betrage 300 Millionen Euro. Davon sei bisher ein Drittel beantragt worden. Beim Dialog im Dunkeln wurde ein kleiner Anfang gemacht. Seit der Gründung vor 20 Jahren erlebten fast zwei Millionen Besucher in den Ausstellungszentren einen persönlichen Perspektivwechsel. Für viele hat das so erworbene Verständnis für gehandicapte Mitmenschen unbezahlbaren Charakter.