Hamburg. Ein Protestzug in Gedenken an den rassistischen Anschlag durfte sich nicht in Bewegung setzen. Linke spricht von „fatalem Signal“.

Die Polizei Hamburg hat am Mittwochabend einen Gedenkmarsch zum Terroranschlag von Hanau gestoppt, noch ehe der sich überhaupt in Bewegung setzen konnte. Über die ausnahmsweise zugelassenen 500 Teilnehmer hinaus hätten sich mindestens 300 weitere Menschen hinter und neben dem Aufzug auf der Veddel aufgehalten, teilte die Polizei zur Begründung mit. Auch habe der Versammlungsleiter nicht unterbunden, dass Teilnehmer auf die Fahrbahn traten.

Man habe ihn vor die Wahl gestellt, entweder den Aufzug zu verkleinern oder eine stationäre Kundgebung vor Ort abzuhalten, so die Polizei. Letzteres sei abgelehnt worden. Als der Versammlungs- dem Einsatzleiter gegen 20 Uhr, zwei Stunden nach dem geplanten Beginn, mitteilte, dass nun die Sollgröße von 500 Teilnehmern erreicht sei und der Protestzug beginnen könne, legte die Polizei abermals ihr Veto ein. Nach ihren Berechnungen war die Menge inzwischen sogar auf 1000 Teilnehmer angewachsen. Viele von ihnen hätten sich zudem nicht an die Corona-Auflagen gehalten.

Polizei Hamburg stoppt Hanau-Gedenkmarsch – Veranstalter schäumen

Um 20.30 Uhr erklärte der Einsatzleiter die Veranstaltung für beendet. Mitinitiator Christoph Kleine von der Seebrücke Hamburg warf der Polizei per Lautsprecher „Unfähigkeit“ vor und sprach von „böswilliger Sabotage“. In einer gemeinsamen Presseerklärung widersprachen die Veranstalter am Donnerstag der Darstellung der Polizei. Die Teilnehmenden hätten sich in Blöcken zu je 50 Personen aufgestellt, 1,5 Meter Abstand zueinander eingehalten und Masken aufgesetzt. Das Corona-Hygienekonzept sei eingehalten worden.

„Der respektlose Versuch der Polizei, eine maßgeblich von migrantischen Organisationen getragene Gedenkdemonstration zu verhindern, ist eine Schande“, sagte Sedat Kaya, der die Demonstration angemeldet hatte. Das Geschehen habe „den institutionellen Rassismus der Polizei" gezeigt. Die frühere Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider vom Hamburger Bündnis gegen Rechts sprach von einem „besonders schäbigen Kapitel“ für die Geschichte der Polizei Hamburg.

Linke macht Polizei schwere Vorwürfe

Heftige Kritik kam auch von der Linken-Bürgerschaftsfration. „Ausgerechnet sechs Monate nach Hanau verhindert die Polizei eine überwiegend von Migrant_innenorganisationen angemeldete Demonstration zum Gedenken der Opfer. Dieses Vorgehen ist beschämend und sendet ein fatales Signal in die Gesellschaft“, wurde der innenpolitische Sprecher Deniz Celik in einer Mitteilung zitiert.

Die Polizei habe mit der Blockade bewiesen, „dass ihr jegliche politische Sensibilität fehlt“. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sei mit Füßen getreten worden. Zudem erwecke die Polizei den Eindruck, mit zweierlei Maß zu messen, nachdem am Wochenende die Querdenken-Demonstration in der Innenstadt trotz massiver Verstöße gegen die Corona-Auflagen toleriert worden sei.

Celik sprach angesichts der Vorkommnisse der vergangenen Tage von einer „problematischen Polizeikultur“ und forderte den Senat zu einer Debatte über die „Rolle der Polizei“ auf. Zuletzt sah sich die Polizei in mehreren Städten, darunter auch Hamburg, mit Gewaltvorwürfen konfrontiert.

Gedenken an Hanau: Polizei lässt Spontandemo zu

Auf den Tag genau sechs Monate nachdem ein Rassist in Hanau wahllos neun Menschen erschossen hatte, wollten die Demonstranten am Mittwoch unter dem Motto „Sechs Monate nach dem 19. Februar – Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen“ von der Veddel zum Stübenplatz in Wilhelmsburg ziehen.

Dort kam es später am Abend noch zu einer „Spontanversammlung“ von 400 Menschen, wie die Polizei mitteilte. Diese Kundgebung wurde von den Sicherheitskräften schließlich geduldet – mit der Vorgabe, sie spätestens um 22 Uhr zu beenden und die Regeln der Sars-CoV-2-Eindämmungsverordnung einzuhalten. Beides wurde laut Polizei störungsfrei umgesetzt.

Zu einem Zwischenfall war es zuvor laut Polizei aber auf der Harburger Chaussee gekommen. Aus einer Gruppe von etwa 300 Personen heraus seien Feuerwerkskörper gezündet worden. Auf der Georg-Wilhelm-Straße sei dieser Aufzug gestoppt worden. Ein Teilnehmer habe versucht, die Polizeikette zu durchbrechen, und dabei einen Beamten geschubst. Gegen den Demonstranten sei Pfefferspray eingesetzt worden.

2600 Teilnehmer bei Kundgebung in Berlin

Am Abend des 19. Februar hatte ein 43-jähriger Deutscher in Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Er soll auch seine Mutter umgebracht haben, bevor er sich selbst tötete. Vor der Tat hatte der Mann Pamphlete mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht.

In einem Online-Aufruf forderten die Organisatoren der Gedenkveranstaltung unter anderem eine lückenlose Aufklärung der Tat, politische Konsequenzen und Unterstützung für die hinterbliebenen Familien. Auch in Hanau selbst und weiteren deutschen Städten gab es am Mittwoch Kundgebungen. In Berlin zählte die Polizei bei einer Demonstration am Abend 2600 Teilnehmer.

Für kommenden Sonnabend (16 Uhr) ist in der Halskestraße im Hamburger Stadtteil Billbrook eine weitere Gedenkveranstaltung angekündigt. Vor 40 Jahren starben in einer Flüchtlingsunterkunft in der Hausnummer 72 zwei junge Vietnamesen bei einem Brandanschlag, den zwei Mitglieder einer Neonazi-Gruppe verübt hatten.