Hamburg. 116 Millionen Euro für Mümmelmannsberg: Saga-Masterplan zeigt Chancen und Risiken in benachteiligten Quartieren.

Rita und Helmut Dröscher sind, man darf das sagen, Bewohner der ersten Stunde. „Bei unserem Einzug am 13. Januar 1972 stapften wir mit Gummistiefeln im Matsch über Bohlen und Bretter“, erinnert sich Helmut Dröscher (83). So entstand Mümmelmannsberg, mit 18.600 Bewohnern in 7300 Wohnungen größte Großwohnsiedlung der Hansestadt. Willy Brandt regierte Deutschland, Hamburgs Erster Bürgermeister hieß Peter Schulz. Und die Dröschers, damals zu viert, waren so glücklich über ihre erste Wohnung mit einem richtigen Bad und Fernheizung.

In Eppendorf an der Löwenstraße hatten sie zuvor die Kinder in einer Zinkbadewanne geschrubbt, ein Ofen spendete Wärme. Verglichen damit waren die 76,5 Quadratmeter im zweiten Stock an der Max-Klinger-Straße für 285 Mark im Monat warm purer Luxus.

Hamburg braucht Quartiere mit niedrigen Mieten

Fast fünf Jahrzehnte später streift Senatorin Dorothee Stapelfeldt, zuständig für Stadtentwicklung und Wohnen, durch Mümmelmannsberg. Saga-Vorstand Wilfried Wendel zeigt die Fortschritte bei der Sanierung des Quartiers. 116 Millionen Euro hat allein der städtischen Wohnungsbaukonzern, mit mehr als 4600 Wohnungen mit Abstand größter Bestandshalter in Mümmelmannsberg, in den vergangenen acht Jahren in das Quartier gesteckt. „Ich bin wirklich neugierig“, sagt die SPD-Politikerin.

Das ist kein Spruch. Letztlich entscheidet sich in Quartieren wie Mümmelmannsberg, ob der Senat sein Versprechen, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, einlösen kann. In Mümmelmannsberg zahlen Saga-Mieter im Schnitt 4,88 Euro den Quadratmeter kalt, fast vier Euro unter dem Hamburger Mietenspiegel.

Klar ist: Hamburg ist in Zeiten immer weiter steigender Mieten mehr denn je auf Quartiere wie Mümmelmannsberg angewiesen, damit auch Bürger mit niedrigem Einkommen in Hamburg ein Zuhause finden. Wenn solche Viertel kippen, gerät der soziale Frieden in Gefahr.

Neue Geschäfte sollen Mümmelmannsberg aufwerten

Wie unter einem Brennglas zeigen sich beim Rundgang die Chancen und Risiken einer sozialen Wohnungspolitik. Direkt neben dem U-Bahnhof steht ein an Hässlichkeit kaum noch zu überbietendes Parkhaus. „Wir führen mit dem Inhaber Gespräche“, sagt Michael Mathe, verantwortlich für Stadt- und Landschaftsplanung im Bezirk Mitte.

Ein paar Schritte weiter haben Bagger mit der Ruine des Einkaufszentrums einen anderen Schandfleck endlich beseitigt. Auf diesem Grundstück errichtet der Projektentwickler May & Co einen Neubau. „Dieses Gebäude wird Fixpunkt vieler Bewohner“, sagt Alexander May. Ein Edeka-Markt kommt als Ankermieter, eine Apotheke, Dienstleister sowie die Saga-Geschäftsstelle sollen von Ende 2020 an das Quartier aufwerten.

Stadt will Bildung sozialer Brennpunkte vorbeugen

Es ist die wohl wichtigste Lehre aus der Entwicklung der 1990er-Jahre, als massive Leerstände Großwohnsiedlungen wie Mümmelmannsberg zu sozialen Brennpunkten machten: Quartiere können nur leben, wenn ihr Herz schlägt. Mit florierendem Einzelhandel, mit gut ausgestatteten Schulen und Kitas und ausreichender medizinischer Versorgung. Fehlt diese Struktur, nutzen langfristig noch so günstige Mieten nichts.

Entsprechend stark hat sich auch die Stadt in Quartieren wie Mümmelmannsberg engagiert. „Allein 2018 haben wir im Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung 58 Millionen Euro investiert, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken“, sagt Dorothee Stapelfeldt. Der Bezirk will jetzt im Viertel die Sportanlagen fit machen. Auch kleine Investitionen wie der Bau einer Boule-Bahn in der Nähe des neuen Einkaufszentrums sollen das Quartier attraktiver machen.

Entwicklungsprogramm für östliche Stadtteile

Letztlich dient jeder Euro dazu, treue Bewohner wie das Ehepaar Dröscher zu halten und weitere Klientel aus der Mittelschicht anzulocken. Auch Billstedt gehört zum Programm „Stromaufwärts an Elbe und Bille“, das die Stadt für die östlichen Stadtteile aufgelegt hat. 20.000 neue Wohnungen sollen in Stadtteilen wie Borgfelde, Hamm, Horn oder Billbrook entstehen. In Mümmelmannsberg, das zu Billstedt gehört, plädiert Saga-Vorstand Wilfried Wendel für eine „behutsame Nachverdichtung“. Keine neuen Hochhäuser, sondern überschaubare Baugebiete, auch mit Einzelhäusern.

Die Saga wird in Mümmelmannsberg weiter investieren, 50 Prozent des Bestandes müssen noch saniert werden. Dazu gehören Fassadendämmung, neue Fenster, neue Eingangsbereiche und Treppenhäuser sowie moderne Küchen und Bäder. „Eine große Aufgabe angesichts steigender Baukosten“, sagt Saga-Vorstand Wendel. Der große Vorteil des Unternehmens: Die meisten Bewohner sind so zufrieden wie die Dröschers, viele sogar richtig stolz auf Mümmelmannsberg. Neugeborene werden mit einem Ritual begrüßt: Ein Willkommenslied, das Bewohner in Kooperation mit dem mit dem Stadtteilkantorat komponiert haben, scheppert aus auf einem Hochhaus aufgestellten Lautsprechern.

Mümmelmannsberger ärgert der schlechte Ruf

Auf Streifzug durch Mümmelmannsberg (v. l. n. r.): Saga-Geschäftsstellenleiterin Sandy Wulf, Saga-Vorstand Wilfried Wendel, Senatorin Dorothee Stapelfeldt und Stadtplaner Michael Mathe (Bezirk Mitte).
Auf Streifzug durch Mümmelmannsberg (v. l. n. r.): Saga-Geschäftsstellenleiterin Sandy Wulf, Saga-Vorstand Wilfried Wendel, Senatorin Dorothee Stapelfeldt und Stadtplaner Michael Mathe (Bezirk Mitte). © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Entsprechend genervt sind gerade diese engagierten Mümmelmannsberger über das öffentliche Bild der Siedlung, geprägt auch durch eine ZDF-Sendung aus dem Jahr 2006, als sich Jugendliche vor laufender Kamera schlagzeilenträchtig prügelten und Messer zückten. Im Nachgang stellte sich heraus, dass die Produktionsfirma die Schüler für ihren Einsatz bezahlt hatte. Wie groß der Zusammenhalt in dem Quartier ist, zeigen auch die Dröschers. Obwohl schon selbst betagt und gesundheitlich angeschlagen, kümmern sie sich jeden Dienstag um andere Senioren. „Wir verbringen mit ihnen gemütliche Nachmittage“, sagt Helmut Dröscher, der die Treppenhäuser mit Bildern verschönt hat.

Ein Saga-Techniker, der sich vor Jahren ihre Wohnung anschaute, um Modernisierungen anzugehen, war ziemlich perplex. „Der dachte, bei uns wäre schon alles gemacht“, lacht Helmut Dröscher. Denn in ihrer Wohnung war alles picobello. Eine neue Küche und ein neues Bad spendierte der Konzern trotzdem.