Hamburg. Immer weniger Besucher und größere Verluste. Die SPD setzt stadteigenes Unternehmen unter Druck. Linke stellt Antrag in Bürgerschaft.

Unter den größeren deutschen Messen gibt es nur eine, die mitten in der Innenstadt ihren Standort hat: die Hamburger. Jetzt ist eine Debatte darüber entbrannt, ob die Messe mittel- bis langfristig umziehen soll, damit auf dem rund 170.000 Quadratmeter großen Areal am Rande des Karoviertels ein neues Quartier zum Wohnen und Arbeiten entwickelt werden kann. „Statt Messehallen, die die Hälfte des Jahres leer stehen, sollte hier mitten in der Stadt ein lebendiges, gemischtes Quartier mit dauerhaft preisgünstigen Wohnungen, Arbeitsplätzen und entsprechender Infrastruktur­ entstehen“, sagt Heide Sudmann, Stadtentwicklungsexpertin der Linken. Sie wird einen entsprechenden Antrag in die Bürgerschaft einbringen.

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf sagte dem Abendblatt, es sei die Aufgabe der Hamburg Messe und Congress (HMC), nun ein Zukunftskonzept für das Messegelände zu erarbeiten, mit dem in den kommenden Jahren die Anzahl der Veranstaltungen und der Besucher erhöht werden kann. „Dieses Areal ist ein echtes Juwel. Und sollte sich herausstellen, dass dort wegen zu geringer Nachfrage gewisse Flächen nicht mehr gebraucht werden, muss man über eine Neuordnung nachdenken. Und natürlich wäre dann auch Wohnungsbau eine Option.“ Ein Messegelände mitten in der Stadt zu haben sei „ein großes Privileg“, so der Sozialdemokrat. „Aber natürlich muss die Auslastung stimmen. Und daran muss die HMC arbeiten.“

Messechef plant eine weitere Halle

Stadtentwicklungsexperten sehen die Messe in der Innenstadt sehr kritisch. „Sie ist an diesem Standort eher ein Störfaktor“, sagte Thomas Krüger, Professor für Projektmanagement in der Stadtentwicklung an der HafenCity Universität. Es seien keine Umfeldeffekte zu erkennen – „und wenn, dann eher negative“. Messechef Bernd Aufderheide sagte dem Abendblatt: „Der Bebauungsplan sieht für das Gelände ausschließlich die Nutzung für Messen und Veranstaltungen vor. Andere ernst zu nehmende Forderungen sind mir nicht bekannt.“ Er plant – wie berichtet – eine Erweiterung am Standort: An der Lagerstraße soll eine neue Halle gebaut werden. Die Hamburg Messe ist im nationalen Vergleich eher klein. Gemessen am Umsatz (2017: 72,8 Millionen Euro) liegt sie auf Rang zehn.

Dirk Kienscherf (SPD)
Dirk Kienscherf (SPD) © Andreas Laible | Andreas Laible

Als der damals CDU-geführte Senat 2003 die Erweiterung der Hamburg Messe beschloss, waren damit wirtschaftlich große Hoffnungen verbunden – die sich allerdings größtenteils nicht erfüllten. Die Umsatz- und Ergebnis-Prognosen in drei Varianten („Konservativ“, „Best Case“ und „Worst Case“) wurden so eingeschätzt, dass die „konservative“ Variante als wahrscheinliche galt. Doch die Verluste der Messe lagen in manchen Jahren mehr als doppelt so hoch wie geplant. Das Geschäftsjahr 2017 (der Bericht 2018 liegt noch nicht vor) weist einen Verlust von 22,4 Millionen Euro aus.

Zahl der Besucher ist seit Jahren rückläufig

Die Besucherzahlen waren zuletzt rückläufig: 2018 kamen 745.000 Gäste, 2016 776.000 und 2014 noch 831.000 – da viele Messen im Zweijahresrhythmus laufen, sollten immer nur gerade und ungerade Jahre jeweils miteinander verglichen werden. Die Zahl der Messen und Veranstaltungen ist dagegen gestiegen: von 41 (2014) über 44 (2016) auf 61 (2018). Dennoch lag die Auslastung 2018 nur bei 41 Prozent (bezogen auf die Gesamthallenfläche und die Veranstaltungstage).

Diese Zahlen sind der Grund, dass SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf jetzt Druck auf die Geschäftsführung ausübt. „Ein Messegelände mitten in der Stadt zu haben ist ein großes Privileg. Aber natürlich muss die Auslastung stimmen, und daran muss die HMC arbeiten. Die klassischen Messen haben ausgedient, und jetzt sollten dringend andere Geschäftsfelder erschlossen werden, um die Hallen zu bespielen und vor allem auch um damit Geld zu verdienen “, sagte Kienscherf dem Abendblatt. Es sei die Aufgabe der HMC, nun ein Zukunftskonzept für das Messegelände zu erarbeiten, mit dem in den kommenden Jahren die Anzahl der Veranstaltungen und der Besucher erhöht werden kann. An der Zeit sei es auch, mehr Energie in die Akquise von internationalen Tagungen und Kongressen zu stecken. Anderenfalls, so der Fraktionschef, müsse über eine Neuordnung nachgedacht werden.

Grüne: Besucher sollen nicht per Auto anreisen

Auch wenn keine andere Fraktion so weit geht wie die Linke, die eine Verlagerung zugunsten eines Mischquartiers fordert, scheint es ein „weiter so“ nicht geben zu können. Dominik Lorenzen, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen, plädiert für ein nachhaltiges Konzept: „Das Messegelände müsste grüner und attraktiver gestaltet werden. Es wäre doch eine Bereicherung, wenn die Hamburger und vor allem die Menschen aus dem Quartier die Außenflächen dann außerhalb von Messen nutzen könnten. Das Areal in dieser citynahen Lage könnte zu einem Erlebnisraum werden.“

Wichtig ist Lorenzen auch: „Wir als Grüne werden uns dafür einsetzen, den Standort als nachhaltigen Messestandort weiterzuentwickeln. Gerade die guten Anreisemöglichkeiten mit ÖPNV und die kurzen Wege sowie die gute Verfügbarkeit von Gastronomie und Hotellerie sind Chance für grüne Messen und gute Wettbewerbsfähigkeit.“ Lorenzen fordert Anreize, den Anteil der Einzelanreise per Pkw zu reduzieren, um den Verkehr insbesondere für die Anwohner zu entlasten.

Die Messe liege an einem idealen Standort, und eine Verlagerung sei zurzeit keine Option, sagte CDU-Wirtschaftsexperte David Erkalp dem Abendblatt. „Aber die Stadt muss in den nächsten Jahren sehr genau beobachten, wie sich das Geschäft entwickelt. Sollte der Negativtrend anhalten, dann sollte man darüber diskutieren, ob Teile der Fläche für den Wohnungsbau genutzt werden können.“

FDP: Wohnungen könnten auf modernen Hallen entstehen

Die FDP stellt die Messe am jetzigen Standort zwar nicht infrage, setzt aber auch auf Wohnungsbau. FDP-Fraktionschef Michael Kruse hat einen Vorschlag für die seit mehr als 36 Jahren genutzten und in die Jahre gekommenen Hallen B 1 bis B 4: „Anstatt diese Hallen aufwendig zu sanieren, könnte man diese abreißen und die dadurch entstehende Fläche völlig neu überplanen. Dort könnten neue moderne Hallen entstehen, auf die weitere Etagen draufgesetzt werden. Die Hallen müssten so konstruiert werden, dass auf den Dächern über mehrere Etagen Flächen für unterschiedliche Nutzungen entstehen.“ Die Stadt hätte die einmalige Chance, hier in bester Lage ein 365 Tage bespieltes Quartier mit einer Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Gas­tronomie und Hotels zu schaffen, so Kruse. „Die Stadt sollte prüfen, wie diese Option umgesetzt werden kann.“

Aus stadtplanerischer Sicht spricht dagegen viel für eine Verlagerung der Messe an einen neuen Standort. Prof. Thomas Krüger von der HCU hält den aktuellen Standort auch aus logistischen Gründen für schlecht. Denn es werde „viel Lkw-Verkehr in der Innenstadt verursacht. Und viele Besucher kommen mit dem Auto – oder versuchen es zumindest.“ Krüger bringt eine Verlagerung Richtung Süden ins Spiel. „Am Reiherstieg in Wilhelmsburg etwa gäbe es positive Imageeffekte. Auch ein Standort im Hafen ist denkbar, wenn schon Musicals dort erfolgreich laufen.“ Strategisch sei eine Verlagerung angezeigt, die Flächen seien als urbanes Mischquartier besser genutzt. Krüger: „Je nach Art und Dichte der Bebauung könnten dort mehr als 10.000 Menschen leben.“

Heide Sudmann von Der Linken hat vor Kurzem eine Kleine Anfrage zur Messe gestellt. Aus der Antwort geht hervor, dass es im kommenden Jahr erstmals ein Sonderkündigungsrecht für die geleasten Hallen gibt, die 2004 bis 2008 gebaut wurden. „Diese Option muss unbedingt gezogen werden“, fordert Sudmann. Hintergrund ist, dass die neuen Hallen privat finanziert wurden – ein für die Stadt unvorteilhafter Deal, den auch der Rechnungshof schon moniert hatte.

Finanzierung der Messehallen ist für Stadt sehr teuer

Zur Finanzierung wurde ein Leasing-Vertrag mit der Commerz Real AG und der Bayerischen Landesbank abgeschlossen, für den jährlich 22 Millionen Euro Gebühr zu zahlen sind und der bis 2034 läuft. Für die rund 300 Millionen Euro teuren Hallen sind so weit mehr als 600 Millionen zu zahlen. Daher würde sich die vorzeitige Ablösung, die 305 Millionen Euro kosten würde, rechnen, sagt Sudmann. „Wenn noch bis 2034 – also 14 Jahre lang – jährlich 22 Millionen zu zahlen sind, wären das 308 Millionen Euro. Dann müsste noch eine vertraglich festgelegte Ablöse von 83 Millionen gezahlt werden, zusammen also 391 Millionen.“

Sudmann wünscht sich, dass in die Neuplanung der Fleischgroßmarkt einbezogen werde. „Die Arbeitsplätze dort sollen unbedingt erhalten bleiben, aber die Flächen ließen sich sicher effektiver nutzen“, sagt sie. Das neue Quartier solle unter Einbeziehung der Anwohner geplant und entwickelt werden. „Und natürlich müssen dort dauerhaft bezahlbare Wohnungen gebaut werden.“