Hamburg. Topmodel Lena Gercke, die Lochis und Suited Racer sind beim OMR-Festival – und zwei Überraschungsstars.
Tjorven Melletat stellt sich als Chefin der Agentur Agency vor, dem Marktführer in Deutschland. „Wir sind nämlich die ersten, die mit einem digitalen Banner arbeiten“, sagt sie und erklärt, wie die Werber den Entwurf geschnippelt, geklebt, per Fax zum Kunden geschickt, danach eingescannt und auf einer Diskette gespeichert haben. Direkt neben einem kastigen Computer liegt eine Diddl-Maus auf dem Sofa. „Haben sie schon mal was vom World Wide Web gehört“, fragt sie.
Ups, da stimmt jetzt aber etwas nicht. Tjorven Melletat ist Schauspielerin und bietet am Stand des Software-Konzerns Adobe auf dem OMR-Festival einen Zeitensprung in die Geschichte der Werbung seit den 1990-er Jahren an. Online-Marketing, Influencer und Social Media – alles das, weshalb die 50.000 Besucher auf die zweitägige Digitialkonferenz nach Hamburg kommen, gab es damals noch nicht. Trotzdem reißt der Andrang der Besucher, die sich in dieser Welt zurückversetzen lassen wollen, nicht ab.
Aussteller suchen neues Personal auf dem OMR Festival
Eine clevere Idee zwischen all den Ständen in den Messehallen, die sich mit den Nutzungsmöglichkeiten neusten Technologien überbieten. Für die gut 400 Aussteller geht es vor allem um zwei Dinge: Die Unternehmen suchen neues, online-affines Personal und sie wollen Kunden für sich begeistern. A
m Stand des Konsumgüterkonzerns Unilever mit Deutschlandzentrale in der Hansestadt steht eine Mitarbeiterin aus dem Vertrieb. Vor ihr liegen Unilever-Produkte in Miniformat, zum Beispiel kleine Axe-Deos. Man will den Beschäftigten von morgen sofort zeigen, mit wem sie es zu tun haben. Nicht mit irgendeinem Start-up, sondern mit dem Hersteller bekannter Körperpflegemarken und dem Eis von Langnese. „Der Markt für Fachkräfte ist schwierig“, sagt die junge Frau. Man sei auf der Suche nach Talenten und konkurriere mit vielen Firmen.
Otto-Chef Marc Opelt setzt auf Influencer
Am Stand des Hamburger Onlineportals Statista geht es Vertriebsmitarbeiterin Sophia Grave nicht um neues Personal, sondern um neue Kunden. „Die Messe ist für uns zur Gewinnung von Kunden wichtig“, sagt Grave und zeigt sich schon nach zwei Stunden am ersten Tag begeistert. Der Stand der weltweit erfolgreichen Online-Statistikdatenbank befindet sich direkt am Eingang zur Halle B6 – das sorgt für viele Besucherkontakte und womöglich für eine große Zahl neuer Kunden. Auch Online-Versandhändler Otto darf bei dem OMR-Festival nicht fehlen. Mit Vorstand Marc Opelt ist einer der wichtigsten Manager des Konzerns mit Hauptsitz in Hamburg und mehr als 50.000 Beschäftigten weltweit gekommen. Aber Opelt steht nicht an einem der unzähligen Stände, sondern auf einer der größten Bühnen, die die Veranstalter um Gründer Philipp Westermeyer aufgebaut haben. Dort erklärt der Otto-Manager mehr als 1000 Zuhörern die Internetstrategie des Konzerns und zeigt er sich offen für Influencer, also für Menschen, die Produkte über soziale Netzwerke online vermarkten wollen. Mehr als 100 Millionen Euro werde Otto in neue Technologie und Menschen investieren, kündigt er an.
Die Lochis und der Eiscreme-Coup mit McDonalds
Nach Opelt betreten zwei – zumindest beim jüngeren Publikum – bekannte Influencer die Deep-Dive-Bühne: die Lochis. Das sind die Zwillingsbrüder Heiko und Roman Lochmann, 19 Jahre jung. Bereits 2017 waren sie unter den Top-20 der meistabonnierten YouTuber, nebenbei machen sie Musik („Nice, dass Du dabei bist“) und Filme. Und sie machen Werbung – offensichtlich mit großem Erfolg.
Für den Burgerbrater McDonalds haben sie mehrere Eiscremes der Marke McFlurry kreiert („Pink Bubble“, „Crazy Pop“). „Eis ist unsere Leidenschaft“, sagen die beiden unter Beifall der McDonalds-Marketingchefin. Der Moderator gibt unumwunden zu: „Es wird immer schwieriger, Teens mit Werbung zu erreichen.“ Auf dem Smartphone drückten die Jugendlichen die Werbung oft weg. Deshalb müsse man „authentische Werbepartner“ finden – wie eben die Lochis.
Suited Racer – der Mann mit dem Motorradhelm
Wie verkauft man einer Generation Produkte und Dienstleistungen, die nicht mehr wie ihre Eltern und Großeltern bewusst Werbung im Fernsehen konsumiert? Das ist die Frage, die sich hier viele Firmen stellen – und wegen der viele Teilnehmer, zumeist in der Altersgruppe unter 35 Jahre, angereist sind. Schon vor neun Uhr am Tag 1 der Konferenz drängen sie in die Messehallen, trinken von Melitta gesponsorten Kaffee aus Einweg-Pappbechern und tippten auf ihren Smartphones. Vor der Big-Picture-Bühne haben sich die ersten schon lange vor Beginn des Programms die besten Plätze gesichert. Influencer und Künstler Lando Griffin alias Suited Racer aus den USA erzählt, warum er immer mit Motorradhelm auftritt – und damit ein gefragter Werbepartner bei Edelmarken wie dem Uhrenhersteller IWC ist.
Um die Glaubwürdigkeit prominenter Produktvertreter und den Aufbau von Marken geht es auch bei dem Gespräch mit Model und Moderatorin Lena Gercke. Die 31-jährige, in bauchfreiem T-Shirt, weiter Jeans und High Heels, verrät, dass sie schon Werbeaufträge für Bio-Tampons und Haarwuchsmittel abgelehnt habe. „Es geht darum, ob eine Marke zu mir passt. Was möchte ich draußen darstellen“, so die frühere Siegerin bei Germany’s Next Topmodel, die inzwischen erfolgreich mit dem Hamburger Mode-Onlinehändler About You eine eigene Kollektion mit 250 Kleidungsstücken pro Saison vermarktet und 2,2 Millionen Instagram-Follower hat. Das interessiert so viele, dass die Halle zeitweilig geschlossen wird.
Die Rapper Dendemann und Trettmann auf der OMR-Bühne
Insgesamt stehen 300 Redner, sogenannte Speaker, an den beiden OMR-Tagen auf den Bühnen – sprechen häufig auf Englisch. Es geht um Traffic, Targeting und Trusted Facts, um Businesstalk und Networking. „Man bekommt einen guten Überblick über die Trends“, sagt Marcel Messner, Marketingchef des Musikinstrumenteherstellers Gewa aus Sachsen. Und natürlich soll es auch Spaß machen: Beim OMR Festival gibt auch in diesem Jahr wieder ein After-Work-Programm mit angesagten Musikern – am Dienstag stehen die Rapper Dendemann und Trettmann auf der Bühne. „Es ist eine Mammutaufgabe. Aber bislang sind wir gut unterwegs“, sagt OMR-Gründer Westermeyer zufrieden.