Hamburg. Wempe betreibt in der City die größte unabhängige Werkstatt der Welt für Zeitmesser. Die Handwerker lernen bis zu zehn Jahre lang.
Mindestens 120 Bestandteile hat ein mechanisches Uhrwerk von gerade einmal drei Zentimetern Durchmesser. Es enthält Dutzende Schrauben, die weniger als einen halben Millimeter dick sind. Andere Komponenten, etwa Metallfedern unter Spannung, können während der Demontage bei der kleinsten Unachtsamkeit herausspringen. „In den ersten Wochen meiner Lehre habe ich viel Zeit unter dem Tisch mit Suchen verbracht“, sagt Philipp Schneider, Uhrmacher bei Wempe in Hamburg. „Man braucht schon eine Menge Geduld.“
Daran fehlte es dem 23-Jährigen offenbar nicht – er hat seine Ausbildung in der Uhrmacherschule des Unternehmens in Glashütte (Sachsen) als Landessieger abgeschlossen.
Grundüberholung von 54.000 Uhren pro Jahr
Jetzt arbeitet Schneider in der größten herstellerunabhängigen Uhrenwerkstatt der Welt. Insgesamt 67 Beschäftigte hat Wempe in diesem Bereich, aufgeteilt auf die Standorte Hamburg und Glashütte. Etwa 10.000 Uhren pro Jahr erhalten in der Hansestadt eine Grundüberholung, in der sächsischen Außenstelle sind es gut 6000.
Allerdings ist das nur ein kleiner Teil der jährlich rund 54.000 Uhren, die von Kunden bei den 130 Service-Mitarbeitern in den 32 Wempe-Niederlassungen weltweit abgegeben werden. Weniger aufwendige Arbeiten wie etwa die Beseitigung übermäßiger Gangabweichungen werden gleich dort erledigt.
„Nur 40 Prozent dieser 54.000 Uhren sind zuvor von Wempe verkauft worden“, sagt Taco Walstra, Leiter der Uhrenwerkstatt des Hamburger Unternehmens. „Das zeigt uns, dass unsere Wettbewerber den eigenen Service immer weiter heruntergefahren haben. Die sollten sich ruhig stärker darum kümmern, denn wir haben mehr als genug zu tun.“
Ersatzteile im Wert von 1,4 Millionen Euro auf Lager
Für komplexere Arbeiten wie etwa die Grundüberholung, die bei mechanischen Uhrwerken alle vier bis acht Jahre ansteht, werden die Zeitmesser von einer speziellen Werttransportfirma aus den Niederlassungen in die beiden zentralen Werkstätten gebracht. „Wir wollen natürlich nicht, dass etwas verloren geht“, sagt Walstra. Schließlich haben viele der Uhren einen fünfstelligen Betrag gekostet. Das trifft vor allem auf die Uhren zu, die in Hamburg überholt werden.
Denn während die Beschäftigten in Glashütte mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren vor allem die in zahlreichen Marken verbauten Großserienwerke des schweizerischen Herstellers Eta bearbeiten, konzentrieren sich die im Schnitt doppelt so alten Kollegen in Hamburg auf Luxusmarken wie Rolex, A. Lange & Söhne, Breguet, Patek Philippe oder Jaeger-LeCoultre.
„Dabei gibt es einzelne Modelle, zum Beispiel die Rolex Sky-Dweller, die außer vom Hersteller nur von uns überholt werden dürfen, niemand sonst auf der Welt hat die Lizenz dafür“, erklärt Walstra. Es kann bis zu zehn Jahre Fortbildung in Anspruch nehmen, bis ein Uhrmacher für die anspruchsvollsten Tätigkeiten bereit ist.
Sobald die Uhren im Wempe-Firmengebäude an der Steinstraße in der Hamburger City eingetroffen sind, werden sie auf die dortigen Spezialisten verteilt. Diese zerlegen die Werke, reinigen alle Teile bis zum kleinsten Schräubchen und ersetzen eventuell verschlissene Komponenten. Ersatzteile im Wert von 1,4 Millionen Euro sind dafür ständig auf Lager.
Polisseure sorgen für Aufarbeitung der Gehäuse
Die Aufarbeitung der Gehäuse übernehmen derweil fünf sogenannte Polisseure. Sie sorgen mithilfe von Schleifmaschinen dafür, dass die Gehäuse und Metallarmbänder ihren alten Glanz zurückerhalten. „Uhrmacher polieren meist nicht gern, die Polisseure kommen daher aus anderen Handwerksberufen“, so Walstra. Der aus dem niederländischen Leeuwarden stammende Uhrmachermeister ist bereits seit 1994 bei Wempe und hat die Werkstatt in Hamburg in den Jahren von 1997 an aufgebaut.
Während die Uhren wieder zusammengesetzt werden, bekommen die Werke noch eine neue Schmierung. Im Schnitt kann jeder der 24 Uhrmacher in Hamburg einen bis zwei der hochwertigen Zeitmesser pro Tag überholen, besonders komplexe Stücke können aber auch zwei Tage in Anspruch nehmen.
Sehr viel länger – etwa eine Woche – dauert die Endkontrolle, an der drei bis vier Mitarbeiter beteiligt sind. Sie überprüfen nicht nur, ob die Zeiger richtig justiert sind und kein Stäubchen zwischen Zifferblatt und Glas geraten ist. Es geht auch darum, ob der automatische Aufzug richtig arbeitet, die Kalenderanzeigen korrekt umspringen und die Gangabweichung innerhalb der Toleranzen liegt. Denn Wempe gibt auf die Grundüberholungen, die in den meisten Fällen 500 bis 700 Euro kosten, eine Garantie von zwei Jahren.
Bis zu 50 Bewerber im Jahr
In der Regel könne der Kunde seine Uhr nach drei bis sechs Wochen wieder in Empfang nehmen, sagt Walstra: „Bei den Herstellern dauert eine Überholung eher länger“ – und das, obwohl die Uhrmacher dort nur mit einer einzigen Marke arbeiten. „Bei uns sind die Mitarbeiter ebenfalls hoch spezialisiert wie bei der Uhrenmarke, aber es gibt Abwechslung, und viele Kollegen bleiben bis zur Rente“, sagt der Werkstattleiter.
Zwar sei es wie überall im Handwerk schwerer geworden, Uhrmacher-Nachwuchs zu finden. „Wir sind aber häufig auf Ausbildungsmessen vertreten und bekommen jährlich zwischen 30 und 50 Bewerbungen.“ Derzeit hat Wempe 14 Auszubildende, die Uhrmacher werden wollen. Im dritten Lehrjahr absolvieren sie Praktika in Wempe-Niederlassungen und nach der Abschlussprüfung, im sogenannten „vierten Lehrjahr“, erhalten die jungen Kollegen spezielle Kommunikationstrainings für das Gespräch mit Kunden in den Filialen.
Philipp Schneider, der aus Sachsen stammt und schon als Jugendlicher viel Zeit in der Uhrmacherwerkstatt seines Stiefvaters verbracht hat, sieht seine berufliche Zukunft aber nicht am Servicetisch einer der Niederlassungen, sondern in den Überholungszentren in Hamburg oder Glashütte: „Ich schraube lieber.“