Hamburg. In die Politik kam er durch einen Zufall. Nun zählt Droßmann zu den großen Talenten der Hamburger SPD. Er hat eine große Stärke.
„Ich mache das jetzt einfach“ – das ist ein Satz, der Politikern eher selten über die Lippen kommt. Ein gerüttelt Maß an Bedenkenträgerei ist quasi Zugangsvoraussetzung für bessere Posten – und wenn dann noch, wie so oft, eine juristische Vita dazukommt, ist Vorsicht gelebte Grundtugend.
Ich? Gefährlich!
Machen? Vorsicht!
Jetzt? Bloß keine Eile!
Einfach? So einfach ist es nicht.
Falko Droßmann, seit einem Jahr Bezirksamtsleiter im wichtigen Bezirk Mitte, ist ein Einfach-Macher. In dieser Woche untersagte das Bezirksamt Mitte einen Auftritt des wahlkämpfenden türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in Wilhelmsburg. Es fehle ein ausreichender Brandschutz und ein Belüftungssystem, sagte Droßmann zur Begründung. Das Klein-Klein des Ordnungsamtes als Sand im Getriebe türkischer Großmannssucht.
Droßmann tastet sich nicht vorsichtig an Entscheidungen heran, er entscheidet einfach. Seit Jahren wird über Wohnungsnot und gleichzeitig den Leerstand ganzer Mehrfamilienhäuser diskutiert, Droßmann reichte es jetzt. Öffentlichkeitswirksam kündigte der SPD-Politiker an, ein ganzes Haus zu beschlagnahmen, die Wohnungen zu sanieren und dann zwangszuvermieten. Ich mache das jetzt einfach, sagte der 43-Jährige allen Bedenkenträgern zum Trotz. Und hatte Erfolg.
Wo er lernte, Entscheidungen zu treffen
Eine weitere unendliche Geschichte im Bezirk ist die trostlose Lage am Hauptbahnhof – der Südeingang ist verdreckt, stinkt und ist Treffpunkt gestrandeter Gestalten. Lamentiert wird seit Langem, aber allein das Verantwortungs-Tohuwabohu zwischen Bahn und Stadt ermöglichte die Weitergabe der Verantwortung wie eine heiße Kartoffel. Und wieder sagte Droßmann diesen Satz: „Ich mache das jetzt einfach“. Seit Kurzem gibt es ein neues Reinigungskonzept – und funktioniert.
Auch als Salafisten mitten in der Fußgängerzone freundlich den Koran verschenkten und bei weiterreichendem Interesse auch gern Rekruten für den Dschihad warben, schritt der Bezirk ein. Als im Mai 2016 die Salafisten wieder ihren Lies-Stand anmelden wollten, gab es bundesweit das erste Verbot. Dahinter stand Mister „Ich mache das einfach“.
Vielleicht werden solche Sätze erst durch Droßmanns persönliche Geschichte verständlich. 20 Jahre arbeitete der Oberstleutnant für die Bundeswehr, zuletzt war er an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr für 1000 Soldaten verantwortlich. Dort hat er früh eines gelernt: „Wenn ich einen Befehl gebe, muss ich bereit sein, ihn durchzusetzen.“
Und er lernte dort, Entscheidungen zu treffen. „In bestimmten Situationen muss es Entscheidungen geben“, sagt Droßmann. „Für diese Erkenntnis reicht Volksschule , da muss ich kein Professor sein.“ Der gebürtige Wipperfürther versteckt sich dabei nicht hinter dem kuschelig-vagen „Wir“, sondern benutzt das erste Personalpronomen Singular. „Ich sage ich, weil ich die Verantwortung trage.“
„Ich kann entscheiden, was ich für richtig halte“
In der Politik kann das schnell nach hinten losgehen – das „Wir“ steht für den gemeinsamen Fehler, das „Ich“ birgt die Gefahr individuellen Versagens. Wer macht, macht Fehler. Das ficht Droßmann nicht an: „Mir helfen zwei Dinge. Ich bin kein Jurist, ich kann entscheiden, was ich für richtig halte“, so der Soldat. „Und ich bin bei der Bundeswehr nur beurlaubt, das gibt Freiheiten.“ Da sendet jemand das Signal, Politik ist nur eine Möglichkeit. Das ist sicher zu einem Teil kokett, unwahr aber ist es nicht.
Droßmann bietet eine Bilderbuchkarriere für Sozialdemokraten, aber sie enthält viele Irrungen und Wirrungen. Eigentlich hatte der 43-Jährige aus dem Oberbergischen Kreis seit Kindertagen eine ganz andere Lebensplanung als den Chefposten in Hamburg-Mitte.
Der Junge vom Hof sollte eigentlich die Kälberzucht der Familie weiterführen – doch dann kam Anfang der 90er-Jahre die Rinderseuche BSE und stürzte den Hof binnen Tagen in die Pleite. Die Mutter arbeitet fortan als Putzfrau, der Vater als Busfahrer. Sein neues Berufsziel blieb bodenständig: Nach der zehnten Klasse verließ er das Gymnasium in Wipperfürth, um Polizist zu werden. Er blieb es nur zwei Jahre, elf Monate und 17 Tage, dann hatte er die Nase voll. „Ich konnte in meiner Position kaum Entscheidungen treffen“, sagt Droßmann. „Das wollte ich nicht noch 45 Jahre machen.“
Er kündigte und zog in den Odenwald, um dort sein Abitur nachzuholen. Am Wochenende jobbte er im Restaurant Zum Hannes in Fürth, servierte Kochkäse mit Musik; tagsüber besuchte er das berufliche Gymnasium in Michelstadt. Nach seinem Abitur 1997 bekam er Post vom Kreiswehrersatzamt – seine Zeit bei der Polizei war exakt zwei Wochen zu kurz, um von der Wehrpflicht befreit zu werden.
Aber Droßmann wollte nicht zum Bund. Im Internet lud er seine Kriegsdienstverweigerung herunter – und wurde abgelehnt. Sein Pech – oder muss es heißen Glück – war das Schützenfest in Reichelsheim. Dort war er zuvor Schützenkönig geworden, und ein Entscheider des Kreiswehrersatzamts kam aus demselben Ort: „Ich schicke Dich zur Luftwaffe, das ist wie eine Kriegsdienstverweigerung.“
Als Falko Droßmann politisch wurde
Heute ist der 43-jährige Oberstleutnant in der Luftwaffe und Träger des silbernen Ehrenkreuzes der Bundeswehr. Der Armee ist es auch zu verdanken, dass es den Jungen aus dem Bergischen Land nach Hamburg verschlug: Sie bildet ihren Offiziersnachwuchs an ihren Hochschulen in München und Hamburg aus. Droßmann zog gen Norden und begann ein Geschichtsstudium.
„Als Soldat habe ich die Verpflichtung, mich politisch zu interessieren“, sagt Droßmann. Doch das Engagement führte ihn in seiner neuen Wahlheimat Horn nicht gleich in eine Partei, sondern die Kirche. Schon als Jugendlicher hatte sich der Protestant bei den katholischen Pfadfindern der DPSG eingebracht und „Unabhängigkeit und Teamgeist gelernt“.
Nun arbeitete er im Kirchenvorstand und im Spielhaus Horner Rennbahn mit. Der Impuls, in die Politik zu wechseln, kam mit dem Wahlsieg von Ronald Barnabas Schill. Auch wenn viele Hamburger es heute vergessen haben – 2001 gewann der Rechtspopulist 19,4 Prozent der Stimmen in Hamburg und zog in den Senat von Ole von Beust ein. „Da dachte ich mir: Jetzt kann ich nicht mehr auf dem Sofa sitzen und pöbeln, jetzt stärke ich die Opposition.“
Politik ist eine Option unter vielen
Die Opposition saß zunächst einmal auf dem Sofa des Ortsvereins Horner Geest. Und wer nicht bei 3 auf den Bäumen ist, macht dort schnell Karriere. Weil der Kandidat für den „beigewählten Bürger für den Bezirk“ nicht zur Sitzung erschienen war, wurde Droßmann mit den Worten „Du bist sympathisch, mach Du das mal“ für den Ortsausschuss Billstedt delegiert. Aus dem Beisitzer wurde 2004 das Mitglied der Bezirksversammlung Mitte, dann der Fraktionschef und schließlich 2016 der Bezirksamtsleiter. Früh förderte der mächtige SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs den Aufstieg seines Parteifreunds – gegen Kahrs Willen sind dort Karrieren allerdings auch kaum üblich.
Es waren aber auch immer Irrungen und Wirrungen, die seine Karriere prägten. Zufälle, die Droßmann gern erzählt. So sendet er die Botschaft: Wie es gekommen ist, ist es gut. Aber anders wäre auch gut gewesen. „Es gibt Momente, in denen ich mich nach der alten Welt zurücksehne“, sagt Droßmann. Dann vermisst er die Freiheiten des früheren Lebens, die alten englischen Romantiker und mehr Zeit für seinen Verlobten. Seit sechs Jahren ist er mit einem Berliner Architekten liiert. Hochzeit „im verflixten siebten Jahr“ nicht ausgeschlossen.
Sein Selbstbewusstsein gibt ihm die Gelassenheit, Politik als eine Option unter vielen zu betrachten. Da darf man sogar als Sozialdemokrat Helmut Kohl – neben Franz Müntefering, Gerhard Schröder und Rita Süssmuth – zu den Vorbildern zählen. „Ich bin ein großer Fan der alten Bonner Republik“, sagt er. Und zitiert ohne überbordende Ironie Kohls Satz: „Wichtig ist, was hinten rauskommt.“ Mit soviel Pragmatismus kann man weit kommen.