Hamburg. Nachdem das Bezirksamt Mitte den Auftritt des Türkei-Außenministers Mevlüt Cavusoglu gestoppt hatte, will er in Norderstedt auftreten.

Noch am Nachmittag schwirren die Helfer herum, als liefe alles perfekt. Der Bodenglanz im Plaza Event Center blendet, kitschige Kronleuchter baumeln von der Decke, Stühle sind aufgereiht; „Das wird ’ne Feier morgen“, sagt einer, 25 Stunden vor dem geplanten Auftritt des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in Wilhelmsburg. Im Hinterzimmer der Flachbaracke an der Schlenzigstraße, wo der Eigentümer mit Beamten des Bezirks Mitte zusammensitzt, platzen da bereits alle Pläne.

„Es fällt aus. Hier passiert gar nichts mehr“, sagt ein Mitarbeiter später am Telefon. Dann legt er auf. Der Auftritt ist abgesagt. Cavasoglu steht in Hamburg ohne Halle da. Eine ebenso plötzliche wie kuriose Wende in der diplomatischen Krise um Wahlkampfauftritte türkischer Spitzenpolitiker in Deutschland.

Der Brandschutz habe einen Auftritt im Plaza Event Center nicht zugelassen, bestätigt Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) am Montagabend dem Abendblatt. „Dem Veranstalter ist vor mehreren Jahren im Rahmen der Baugenehmigung die Auflage erteilt worden, eine Brandmeldeanlage zu installieren. Das hat er versäumt.“ Die Bauprüfer entziehen dem Plaza Event Center die Konzession. Auch alle geplanten Hochzeiten in dem kleinen Saal am südlichen Elbdeich sind abgesagt. Die Helfer ziehen ab. Im Sicherheitsapparat kehrt direkt nach der Absage in Wilhelmsburg die Sorge ein, dass es nun kurzfristig eine andere Halle zu sichern gilt.

Norderstedt statt Hamburg

Das türkische Konsulat wolle kurzfristig einen neuen Standort finden, heißt es am Montagabend. „Es ist jetzt vor allem wichtig, bald Klarheit zu haben“, sagt Polizeisprecher Timo Zill, der wie die Innenbehörde erst am Freitag überhaupt von dem Besuch des Außenministers erfahren hatte – und auch dies nicht zuerst durch türkische Offizielle.

In kürzester Zeit hatten sich die Beamten auf einen Großeinsatz eingestellt: Fünf Hundertschaften der behelmten Polizei sollten den Auftritt von Cavusoglu sichern, dafür wurden auch auswärtige Kräfte angefordert. Es habe zwar keine konkreten Anzeichen auf Störungen gegeben. „Aber man ist gut beraten, wenn man in einer solchen Situation passend aufgestellt ist“, so der Polizeisprecher. Am späten Montagabend wurde bekannt, dass ein neuer Veranstaltungsort am Mühlenweg in Norderstedt gefunden worden ist. Das bestätigte die Polizei.

Hamburger Politik kritisiert türkisches Verhalten

Auch wenn Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Laufe des Tages zunächst davon ausging, dass der Auftritt des türkischen Außenministers in Wilhelmsburg nicht zu verhindern sei, so war seine politische Einschätzung gleichwohl deutlich. „Dass jetzt türkische Politiker in Deutschland für die in der Türkei geplante Verfassungsreform werben, kann niemandem gefallen. Denn die Türkei wird immer mehr zur Autokratie“, sagte Scholz am Nachmittag. Die Verfassungsreform würde diesen Prozess noch verstärken. „Gleichzeitig werden Journalisten und Oppositionelle in der Türkei verhaftet und rechtsstaat­liche Prinzipien missachtet“, sagte der Bürgermeister.

„Ja, geht doch“, kommentierte CDU-Bürgerschaftsfraktionschef André Trepoll die Absage des Cavusoglu-Auftritts im Plaza Event Center. Trepoll hatte Scholz am Sonntag aufgefordert, den Wahlkampf-Auftritt des türkischen Außenministers „mit allen möglichen Mitteln zu verhindern“. Der CDU-Politiker hält es für ausgeschlossen, dass es den Veranstaltern so kurzfristig noch gelingt, einen neuen Standort zu finden. „Der Polizei dürfte es kaum möglich sein, innerhalb von weniger als 24 Stunden die Sicherheitslage des Ortes zu überprüfen, um so den Ablauf der Veranstaltung zu garantieren“, sagte Trepoll.

Innensenator Andy Grote (SPD) betonte, dass der Auftritt des Außenministers grundsätzlich durch die Versammlungsfreiheit geschützt sei. „Versammlungsrechtliche oder sonstige gefahren- abwehrrechtliche Verbotsgründe liegen nach intensiver Prüfung aktuell nicht vor“, sagte Grote auch im Blick auf einen Alternativstandort. „Gleichwohl ist es schwer erträglich, wenn unsere demokratischen Freiheiten ausgenutzt werden, um für deren massive Einschränkung in der Türkei zu werben.“

Auch die Wandsbeker SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, übte Kritik. Ein grundsätzliches Verbot lehnte sie allerdings ab. „Das führt nur zu neuen diplomatischen Verwerfungen und hilft den inhaftierten Journalisten nicht“, sagte Özoguz NDR 90,3.

Die Hamburger Türken sind geteilter Meinung

Spricht man Türken in Wilhelmsburg und auf der Veddel auf den Besuch an, werden sie vorsichtig. „Wenn ich für die Veranstaltung spreche, kommen meine deutschen Kunden nicht mehr. Bin ich dagegen, bleiben vielleicht viele türkische Kunden nicht mehr“, sagt der Betreiber eines türkischen Restaurants, der ungenannt bleiben will. Die Pächterin einer Tankstelle nahe des Plaza Event Centers überlegt lange, sagt dann: „Die Abstimmung ist mir egal, es ändert sich eh nichts in der Türkei.“

Eine Kioskbesitzerin auf der Veddel wiegelt zunächst ab, bis ihre Bewunderung für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan doch hervorplatzt. „Die Krankenhäuser in der Türkei funktionieren wieder, die Menschen sind versichert, die Straßen sind heil. Deshalb ist er für viele ein Held. Und warum sollten die Politiker der Regierung nicht auch in Deutschland reden?“ Es würden verzerrte Bilder gezeichnet, der Präsident zum Autokraten verklärt. „Er ist kein Diktator. Das sind Lügen.“

Die Türkische Gemeinde Hamburg (TGH) ist gegen Erdogans Verfassungsreform. „Wir haben uns klar gegen die Pläne Erdogans und für ein Nein beim Referendum ausgesprochen“, sagte die TGH-Vorsitzende und parteilose Bürgerschaftsabgeordnete Nebahat Güclü dem Abendblatt. „Wir unterstützen die Nein-Kampagne auch aktiv. Auftrittsverbote halten wir gleichwohl für falsch.“ Die Lage in der türkischen Gemeinschaft sei „sehr gespannt und gespalten“, sagte die frühere Grünen-Politikerin. „Das geht teilweise quer durch Familien und Freundschaften.“ Selbst bei den Anhängern der Erdogan-Partei AKP setze sich aber „immer öfter die Einsicht durch, dass das, was Erdogan jetzt plant, für Demokraten nicht mehr vertretbar ist“, so Güclü.

Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Fachsprecher für Migration, Kazim Abaci, sagte: „Erdogans Außenminister ist in Hamburg nicht willkommen.“ Auch Abaci berichtet, dass die Zuspitzung der Lage sogar in Hamburg zu Rissen selbst durch Familien und Freundschaften führe. Ahmed Agdas, Student, Mitglied der CDU und Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung beurteilt die Situation ähnlich: „Die Streitigkeiten zerreißen manche Familien. Oft werden deswegen politische Themen schon vermieden“, so Agdas.

Autokorso für verhafteten Journalisten ist abgesagt

Zu dem Auftritt des Außenministers waren bereits Proteste angemeldet worden: Ein geplanter Autokorso, der vom Heiligengeistfeld durch den Hafen bis zur Event-Location führt, wurde ebenfalls abgesagt. Angemeldet wurde er von einem Privatmann, der bereits genau eine Woche zuvor den Korso durch Hamburg für die Freilassung des in der Türkei inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel organisiert hatte. Die Polizei geht davon aus, dass im gleichen Umfang mobilisiert wird. Vor einer Woche hatten 63 Fahrzeuge mit knapp 170 Insassen teilgenommen. Angemeldet ist auch eine Versammlung von Aleviten mit etwa 30 Personen.

Die größte Gefahr sehen die Behörden aber in spontanen Aktionen von möglicherweise gewaltbereiten Kurden. Der Staatsschutz spricht von bis zu 1000 Personen, die kurzfristig zu mobilisieren seien. Die linksautonome Szene, die die Kurden unterstützt, wird als weniger problematisch eingestuft.