Hamburg. Der türkische Außenminister sprach unter Protesten in Hamburg vom Balkon der Residenz des Generalkonsuls. Großeinsatz der Polizei.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu ist am Dienstagabend wie geplant in Hamburg aufgetreten. Nach der kurzfristigen Absage eines geplanten Auftritts im Stadtteil Wilhelmsburg kam Cavusoglu am Dienstagabend in die Residenz des türkischen Generalkonsuls auf der Uhlenhorst.
Er traf gegen 18.15 Uhr an der Villa ein, wo er von rund 300 Anhängern begrüßt wurde, die sich im Garten der Residenz versammelt hatten. Zeitgleich demonstrierten etwa 250 Menschen gegen den Auftritt des AKP-Politikers, der für das geplante Referendum zur Änderung der türkischen Verfassung wirbt. Cavusoglu trat um kurz nach 19 Uhr auf den Balkon und begann seine Rede mit der Übermittlung eines Grußes von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Cavusoglu erhebt schwere Vorwürfe
Cavusoglu beschränkte sich aber nicht auf die Reform, die aus der Türkei ein Präsidialsystem machen würde. Er warf Deutschland „systematische Propaganda gegen unsere Veranstaltungen“ vor. In letzter Zeit gibt es ein systematisches Agieren gegen die Türkei, sagte er: „Die Polizei und die Regierung haben versucht, uns zu überreden, dass wir hier nicht auftreten. Sie haben den ursprünglichen Veranstaltungsaal geschlossen wegen fehlenden Brandschutzes. Wo wart ihr, als dort Hochzeiten gefeiert wurden? Wieso habt ihr bisher das Leben der Menschen dort gefährdet?“, rief Cavusoglu unter den Buh-Rufen der Anhänger.
An Berlin gerichtet sagte er: „Bitte versucht uns nicht in Sachen Menschenrechte und Demokratie zu belehren.“ Gleichzeitig betonte der höchste Diplomat der Türkei auch, dass er an guten Beziehungen zwischen beiden Ländern interessiert sei: „Haben wir je versucht, gegen die deutsche Regierung zu hetzen?“ Die türkische Regierung habe vielmehr Frieden gepredigt und die Türken in Deutschland aufgefordert, sich in Deutschland zu integrieren, ohne ihre Kultur zu vergessen.
Europa habe große Probleme mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit, sagte er. In Europa gebe es auch eine systematische Kampagne gegen die Türkei und ihren Präsidenten. Zugleich unterstütze Europa alle Formen des Terrorismus' gegen die Türkei.
Noch am Dienstag wird Cavusoglu nach Angaben des Veranstalters nach Berlin weiterreisen. Zu der Gegenkundgebung hatte das Bündnis „Nein zum Referendum“ aus verschiedenen kurdischen und türkischen Organisationen aufgerufen. Unter den Protestierenden ist auch der Hamburger Profiboxer Ismail Özen, ein prominenter Gegner der Regierung Erdogan.
Die Polizei sicherte die Veranstaltung mit einem Großaufgebot ab, sieben Hundertschaften waren im Einsatz, mehrere Straßen im Umfeld der Residenz waren seit dem Nachmittag gesperrt. Insgesamt waren nach Angaben der Polizei etwa 850 Beamte vor Ort. Ein Polizeisprecher sagte, die Demonstration sei weitgehend störungsfrei verlaufen. Beim Abmarsch der Teilnehmer habe es zwei Körperverletzungsdelikte gegeben.
Bündnis geht gegen Außenminister Cavusoglu auf die Straße
Das Bündnis „Nein zum Referendum“ wirft dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und den AKP-Funktionären wie etwa dem türkischen Außenminister vor, die Demokratie in Deutschland zu missbrauchen, "um für ein diktatorisches und faschistisches Regime in der Türkei zu werben". In einer aktuellen Mitteilung heißt es weiter: "In der Türkei sind Zehntausende Oppositionelle, Journalisten, Anwälte, Akademiker eingekerkert, etliche kurdische Städte und Dörfer wurden zerstört."
Gleichzeitig rede Erdogan von Frieden und Demokratie und vergleicht die Bundesrepublik mit Hitler-Deutschland. "Das wollen und werden wir nicht hinnehmen. Wir werden deshalb heute gegen die AKP-Propaganda und ihren Außenminister Cavusoglu auf die Straße gehen, um der Meinungsfreiheit, Demokratie und Frieden auch hier in Hamburg eine Stimme zu geben."
Da sich die Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg im Besitz des türkischen Staates befindet, handelt es sich um ein exterritoriales Gelände, für das etwa das kommunale Versammlungsrecht nicht gilt.
Cavusoglu: „Alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit"
Schon vor seinem Auftritt hat Mevlüt Cavusoglu nach der Verweigerung von Wahlkampfauftritten in Deutschland schwere Vorwürfe gegen Deutschland erhoben – und schwingt die Nazi-Keule. „Das ist ein total repressives System“, sagte er der Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“ am Dienstag. „Alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit. Sie machen Druck, damit für die AKP ein Nein herauskommt.“ Cavusoglu bezog sich auf das Referendum am 16. April über das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP angestrebte Präsidialsystem.
Zuvor hatte bereits Erdogan Deutschland „Nazi-Praktiken“ vorgeworfen. Cavusoglu sagte mit Blick auf die Absagen: „Im Endeffekt ist diese antidemokratische Praxis rechtswidrig.“ Er kündigte an, sich von der Absage seines Auftritts nicht stoppen zu lassen. „Mich kann niemand aufhalten. Wir finden schon einen Versammlungsort.“ Der Minister fügte hinzu: „Indem sie Druck auf private Eigentümer, Hotels und Hochzeitssäle ausüben, lassen sie die Vereinbarungen absagen.“ Besitzer von Veranstaltungsorten würden sogar „bedroht“.
Wann ausländische Politiker hier Wahlkampf machen dürfen
Autokorso wurde abgesagt
Nach der kurzfristigen Absage eines Auftritts des türkischen Außenministers in Hamburg herrschte zunächst Unklarheit über einen möglichen alternativen Veranstaltungsort. Die Veranstaltungshalle im Stadtteil Wilhelmsburg, wo der Minister ursprünglich auftreten sollte, wurde wegen einer fehlenden Brandmeldeanlage von den Behörden gesperrt.
Zwischenzeitlich wurde der Autokorso, den der Freundeskreis #FreeDeniz zugunsten des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel am heutigen Dienstag veranstalten wollte, abgesagt. "Hintergrund ist die Entscheidung des zuständigen Bezirksamtes, die Halle in Wilhelmsburg, in der der türkische Außenminister sprechen wollte, aus Brandschutzgründen zu sperren", heißt es in einer Mitteilung des Deutschen Journalisten-Verbands.
Scharfe Kritik der Regierungspartei AKP
Am Montagabend kursierte zwischenzeitlich das Gerücht, dass in Norderstedt (Kreis Segeberg) ein neuer Veranstaltungsort gefunden worden sei. Demnach sollte dasTreffen mit Cavusoglu in einem Festsaal am Mühlenweg stattfinden. Auch die Polizei bestätigte die Information. Doch der Saal-Besitzer wusste von diesem Plan offenbar nichts. Er gab an, dass der türkischen Minister in seinem Saal nicht auftrete.
Der in Hamburg verfügte Stopp für einen Wahlkampfauftritt des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu stößt in der Türkei auf scharfe Kritik. Der Abgeordnete Mustafa Yeneroglu von der türkischen Regierungspartei AKP erklärte, die Verfügung markiere einen neuen Tiefpunkt deutsch-türkischer Beziehungen. „Das Sinken nimmt kein Ende“, erklärte Yeneroglu in einer im Internet verbreiteten Stellungnahme. „Kurz zuvor hat sogar das Hotel, in dem der türkische Außenminister übernachten sollte, die Reservierung unbegründet storniert und erst nach Intervention des deutschen Außenministeriums eingelenkt“, schrieb er.
Cavusoglus hält an Treffen mit Gabriel fest
Die Veranstaltungshalle in Wilhelmsburg sei wegen Brandschutzmängeln gesperrt worden, sagte eine Sprecherin des Bezirksamts Mitte am Montag. „Die in der Genehmigung vorgeschriebene Brandmeldeanlage wurde nicht eingebaut. Deshalb darf die Halle bis auf weiteres gar nicht mehr genutzt werden“, erklärte die Bezirksamtssprecherin.
Für Mittwoch ist ein Treffen Cavusoglus mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) vorgesehen. Zunächst war nicht bekannt, ob der türkische Außenminister an diesem Treffen festhalten wollte. Aber auch nach seinem Vergleich des heutigen Deutschland mit der Nazi-Zeit will der türkische Außenminister an einem Treffen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel festhalten. „Ich reise heute nach Hamburg und morgen habe ich ein Treffen mit meinem Freund Sigmar Gabriel“, sagte er am Dienstag bei einer Veranstaltung des Istanbuler Bezirks Beyoglu.
Frühstück "unter vier Augen"
Er werde mit Gabriel am Mittwoch beim Frühstück „unter vier Augen“ sprechen. „Wir wollen nicht, dass unsere Beziehungen zu irgendeinem Land einschließlich Deutschland schlecht sind, aber wenn man eine feindliche Haltung uns gegenüber einnimmt, dann müssen wir natürlich die nötige Antwort geben“, sagte Cavusoglu.
Der türkische Justizminister Bekir Bozdag hatte in den Vorwoche ein Treffen mit seinem deutschen Kollegen Heiko Maas (SPD) nach der Absage des Wahlkampf-Auftritts in Gaggenau kurzfristig abgesagt.
Wie nah ist Präsident Erdogans Türkei an einer Diktatur?
Die Minister wollen in Deutschland für das Präsidialsystem werben, über das türkische Wähler am 16. April in einem Referendum entscheiden können. Es würde dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine große Machtfülle geben. Erdogan hatte von Nazi-Methoden gesprochen, weil deutsche Kommunen Wahlkampfauftritte türkischer Minister aus Sicherheitsgründen verweigert hatten.
Türkische Gemeinde fordert "Stimme der Vernunft"
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, forderte vor dem geplanten Treffen Gabriels mit Cavusoglu ein „konstruktives Signal“, wie er der „Rheinischen Post“ (Dienstag) sagte. „In den Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der Türkei brauchen wir dringend eine Stimme der Vernunft. Es bedarf eines Signals nach außen, dass Deutschland und die Türkei Partner sind.“
Die Soziologin Necla Kelek forderte, die in Deutschland lebenden Türken sollten beim Referendum am 16. April mit Nein stimmen. „Wir müssen „Hayir", „Nein", zu der antidemokratischen Bevormundung sagen. Und „Nein" zu dem Versuch, Deutsche und Türken zu spalten“, schreibt Kelek in einem Gastbeitrag für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag). Es sei an der Zeit, dass „wir Türken in Deutschland uns zu unserer neuen Heimat bekennen. Wir sind ja nicht nur vorübergehend hier. Und wenn mich die türkische Politik unbedingt in einen Loyalitätskonflikt zwingen will, dann werde ich mich für die Seite entscheiden, die mir Freiheit verspricht.“ Die schrillen Töne aus Ankara ließen aber vermuten, dass die türkischen Politiker in Panik seien.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte Besonnenheit. „Die Demokratie in Deutschland ist stark genug, dies auszuhalten“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag). Es sei Aufgabe der Bundesregierung, mit der Türkei eine Vereinbarung zu treffen, dass derartige Veranstaltungen auf der Basis des deutschen Rechts ohne Gewalt und Tumulte durchgeführt werden könnten. Landsberg warnte vor „Provokationen“ der türkischen Regierung, etwa durch die Forderung nach Einreiseverboten für deren Mitglieder.