Trotz Erdogans Tiraden wäre ein Veranstaltungsverbot falsch

Der türkische Wirtschaftsminister bricht zu einer Wahlkampfveranstaltung in Deutschland mit dem Schlachtruf auf: „Der Sieg gehört Allah!“ Sein Kollege aus dem Justizressort in Ankara nennt die Absagen türkischer Ministerauftritte in Deutschland „faschistisch“. Staatschef Recep Tayyip Erdogan spricht gar von „Nazi-Praktiken“.

Bereits im vergangenen November hatte Justizminister Bekir Bozdag öffentlich verkündet, Türken in Deutschland hätten „überhaupt keine Rechte“. Auch Außenminister Mevlüt Cavusoglu schlug scharfe Töne an. Deutschland müsse „lernen, sich zu benehmen“, warnte er. Sonst gebe es „Konsequenzen“, so die Drohung.

Cavusoglu, der am Dienstag in Hamburg erwartet wird, lässt sich seit Monaten keine Gelegenheit entgehen, das Verhältnis zu Deutschland zu vergiften. Im vergangenen November bezichtigte der türkische Chefdiplomat den nach Ankara gereisten damaligen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei einer Pressekonferenz der „Doppelmoral“ und „Heuchelei“.

So sammelte Cavusoglu Punkte bei seinem Vorgesetzten Erdogan. Dieser betätigt sich derzeit als oberster Scharfmacher, bezeichnet den inhaftierten „Welt“-Korrespondenten als „deutschen Spion“ und Mitglied der verbotenen PKK.

Welcher türkische Richter würde sich jetzt noch trauen, Yücel aus der Untersuchungshaft zu entlassen? Erdogan geht noch weiter. Er will deutsche Amtsträger, die türkische Ministerauftritte in Deutschland verhindern, wegen „Beihilfe zum Terrorismus“ vor Gericht stellen. Michael Pfeiffer, Bürgermeister der kleinen baden-württembergischen Stadt Gaggenau – die einen Auftritt des Justizministers abgesagt hatte – wird sich fragen, ob es angesichts dieser Drohung klug wäre, in nächster Zeit zum Urlaub in die Türkei zu fahren.

Dieser rabiate Ton der politischen Auseinandersetzung mag in der Türkei üblich sein. Von Erdogan ist man ihn gewohnt. So geht er immer schon mit seinen Gegnern um. Im Umgang zwischen verbündeten Staaten und erst recht im Verhältnis befreundeter Völker sind solche verbalen Exzesse indes unangebracht. Es geht dabei um mehr als Stilfragen. Die Hasstiraden der türkischen Regierungspolitiker zeigen, wie tief das Verhältnis zwischen beiden Ländern mittlerweile zerrüttet ist. Die Freunde haben sich entfremdet.

Dafür trägt vor allem Erdogan Verantwortung. Er ist offenbar bereit, alles seinem maßlosen Machthunger zu opfern – auch die Freundschaft zwischen Türken und Deutschen. Schon lange betrachtet er Deutschland als sein Spielfeld und instrumentalisiert die dort lebenden Türken für seine politischen Zwecke. Das zeigen frühere Wahlkampfauftritte, aber auch die Spitzeleien des von Ankara gesteuerten Moscheeverbands Ditib.

Dass Erdogan und seine Minister jetzt auf deutschem Boden für eine Art Ermächtigungsgesetz werben wollen, und dazu in diesem unanständigen Ton, ist schwer erträglich. Solche Veranstaltungen zu verhindern ist dennoch der falsche Weg. Die deutsche Demokratie muss und wird einen Erdogan aushalten. Kundgebungsverbote sind nur Wasser auf Erdogans Mühlen. Er sucht ganz bewusst die Provokation, will polarisieren, um die Reihen zu schließen. Denn auch innerhalb seiner Partei gibt es viele Zweifler, denen beim Gedanken an die Alleinherrschaft eines Despoten mulmig wird.

Umso mehr braucht Erdogan beim Referendum die Stimmen der in Deutschland lebenden Landsleute. Viele von ihnen unterstützen seine Präsidentschaftspläne mit besonderer Begeisterung. Das ist nicht verwunderlich, schließlich geht es am 16. April nicht um ihre Freiheit. Die ist in Deutschland gesichert.

Leicht nehmen sollten die hiesigen Türken die Stimmabgabe dennoch nicht. Kommt das Präsidialsystem, einschließlich der von Erdogan bereits angekündigten Rückkehr zur Todesstrafe, wäre das der tiefste politische, ökonomische und kulturelle Einschnitt in der jüngeren Geschichte der Türkei – ihr Abschied von Europa. Eine solche Abkehr würde den Graben zu Deutschland weiter vertiefen.