Hamburg. Heute wird das Konzerthaus eröffnet. Hat der markante Neubau das Potenzial, den Michel als Symbol der Hansestadt abzulösen?

Bis eben war eine Sache in Hamburg unumstritten: Der Michel ist das Wahrzeichen der Stadt – allgegenwärtig, erhaben, hanseatisch. Zwar gab es einige Versuche, dem Gotteshaus ein Menschenwerk an die Seite zu stellen – etwa den Heinrich-Hertz-Turm oder die Köhlbrandbrücke, aber alle Versuche, sie mit dem Rubrum „Wahrzeichen“ zu adeln, verfingen nicht.

Elbphilharmonie als „Kathedrale“ der HafenCity

Mit der Eröffnung der Elbphilharmonie hat die Stadt sich ein neues Wahrzeichen gesetzt. Und was für eins. Oberbaudirektor Jörn Walter brachte es im Gespräch mit dem Abendblatt schon 2012 auf den Punkt: „Die Elbphilharmonie ist das Schlüsselbauwerk für den Stadtteil Hafencity, die ,Kathedrale‘. Bei der letzten großen Stadterweiterung von der Altstadt zur Neustadt haben die Hamburger den Michel gebaut, heute bauen sie ein Konzerthaus.“

Die neue Konkurrenz sorgt schon lange in Hamburg für Gesprächsstoff – degradiert die Landmarke Elbphilharmonie den Michel zu einer Randmarke? „Ich tue mich damit schwer“, sagte unlängst auch der ehemalige Bürgermeister Ole von Beust, ohne den es das Konzerthaus nie gegeben hätte. „Für mich bleibt der Michel das Wahrzeichen der Stadt.“

Michel-Pastor unterstützte Kampagne

Dort gibt man sich entspannt. Zwar ärgern sich einige Protestanten über den Hochmut der Architekten, aber der Michel-Pastor sieht den Glasbau zu Hamburg entspannt: „Der Michel freut sich über und auf die Elbphilharmonie“, sagt Alexander Röder. Er hat schon im Jahr 2005 bei der Kampagne für das Konzerthaus mitgemacht, mit dem Bauhelm unter dem Arm vor der großen Michel-Orgel. „Mein Telefon stand nach der Plakatierung nicht still“, erzählt Röder. Der Tenor war immer der gleiche: „Wie können Sie nur! Den Michel so verraten, klein machen und verkaufen, derart unser Wahrzeichen in den Schmutz treten!“

Röder ließ sich nicht beirren. „Ich war einer von 1, 7 Millionen Bauherren geworden und lernte schnell, dass man es nie allen 1,7 Millionen Hamburgern recht machen kann“, so der Michel-Pastor. Kritisch-konstruktiv mischte er sich in die Diskussion ein. Die damalige Kultursenatorin Karin von Welck stellte ihm 2005 den angedachten Slogan „Hamburg baut das neue Wahrzeichen“ vor. Röder riet, den bestimmten durch einen unbestimmten Artikel zu ersetzen – mit Erfolg. Die Konkurrenz zum Konzerthaus ist ihm zu konstruiert. „Die Elbphilharmonie und der Michel harmonieren wunderbar. Beide brauchen Menschen, und beide faszinieren Menschen“, meint der Hauptpastor.

Der letzte Schrei der Stadtentwicklung

International dürfte das Wahrzeichen Elbphilharmonie deutlich weiter strahlen als der Michel: Spätestens seit Bilbao gelten Kulturtempel als letzter Schrei der Stadtentwicklung. Die heruntergekommene baskische Industriemetropole hatte 1993 den Stararchitekten Frank Gehry verpflichtet, das dortige Guggenheim-Museum zu bauen. Und seine silbrig-glänzende Ikone zauberte das spanische Aschenputtel auf die Weltkarte des Tourismus. Bilbao war nicht die erste Stadt, die sich mithilfe eines spektakulären Neubaus neu erfand, aber sie prägte einen Begriff, den Bilbao-Effekt. Damit wird nun die nachhaltige Aufwertung einer Stadt zur Weltstadt beschrieben. Zuvor hatten Sydney mit dem Opernhaus oder Paris mit dem Centre Pompidou sich ein Wahrzeichen erschaffen.

Doch nicht in jeder Stadt funktioniert das – der Hamburger Stadtökonom Wolfgang Maennig hat den Bilbao-Effekt wissenschaftlich untersucht. „Ich hab lange geglaubt, dass man mit einem spektakulären Bauwerk eine Stadt neu positionieren kann“, sagt Maennig. „Das Problem ist inzwischen: Jeder Bürgermeister versucht das. 500 Bilbaos aber funktionieren nicht.“ Hätte Hamburg die Elbphilharmonie vor 25 Jahren errichtet, wäre es leichter gewesen. Heute wetteiferten viele Metropolen mit ausgefallener Architektur um die Gunst der Touristen.

„In einer Hinsicht ist der Michel unschlagbar“

Maennig hat Kriterien formuliert, die ein solches Wahrzeichen erfüllen muss: Wichtig ist die zentrale Lage, die Nähe zum Wasser, innovative Architektur mit provokativer Wirkung. Fast alles für eine Architektur-Ikone sieht Maennig erfüllt – nur mit dem Kriterium der mutigen, provokanten Architektur hadert der Wirtschaftsprofessor. „Vielleicht ist der Bau zu gefällig, zu wenig umstritten. Er eckt nur wenig an.“

Inzwischen, so Maennig, habe die Kostenexplosion der Elbphilharmonie sogar ein Gutes – sie habe das weltweite Interesse an dem Bau gesteigert. Die Elbphilharmonie könne zu einem Symbol für die Hansestadt werden. Auch Hauptpastor Röder wünscht von Wahrzeichen zu Wahrzeichen alles Gute: „Für die Kultur ist das ein ganz großer Wurf“, sagt der Kirchenmusikbeauftragte der Evangelischen Kirche. Nur eine Warnung schickt er hinterher: „Zu unserem Weihnachtsoratorium sollte die Elbphilharmonie lieber nicht in Konkurrenz treten – da ist der Michel unschlagbar!“

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Drohnenflug durch Elbphilharmonie

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