Hamburg/Kiel. Kurz vor Mitternacht kam die erste Wasserstandsmeldung, wenig später stand St. Pauli unter Wasser.
Rund 80 Feuerwehreinsätze, überflutete Straßen, aber zum Glück keine Verletzten: Eine schwere Sturmflut hat in der Nacht zu Dienstag die Hansestadt Hamburg überrascht. Die Behörden hatten erst am Montag um 23.51 Uhr eine realistische Wasserstandsmeldung verbreitet. Hätte man die Bevölkerung nicht frühzeitiger warnen können?
Bundesamt habe Sturmflut falsch bewertet
„Ja, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat die Sturmflut falsch bewertet“, sagt Frank Böttcher, der Chef des privaten Instituts für Wetter- und Klimakommunikation. „Nein, man macht einen Fehler, wenn man zu früh zu hoch warnt“, sagt Sylvin Müller-Navarra, der Leiter des Sturmflutwarndienstes des Bundesamts. „Wenn Sie das fünfmal gemacht haben, glaubt Ihnen keiner mehr.“
Sturmfluten können für Hamburg zu einer großen Gefahr werden. Spätestens seit dem Februar 1962 ist das hinlänglich bekannt. Bei der großen Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar starben 315 Menschen. Der zeitliche Ablauf erinnert ein wenig an das, was in der Nacht zu Dienstag geschah. Am 16. Februar war zwar früh vor einer Sturmflut gewarnt worden. Die Polizei rief aber erst gegen 22.45 Uhr die Alarmstufe II aus. Schon anderthalb Stunden später brach der erste Deich.
Höchster Wassermitten in der Nacht
So schlimm war es diesmal nicht. Die Deiche hielten. Der Wasserstand am Pegel St. Pauli erreichte einen Stand von 2,62 Meter über dem mittleren Hochwasser – ein für die Jahreszeit nicht ungewöhnlicher Wert. Dennoch bleibt ein grundsätzliches Problem bestehen: Wie geht man mit nächtlichen Hochwasserständen um? Wie kann man die Hamburger rechtzeitig informieren, wenn – wie in diesem Fall – der höchste Stand der Flut gegen 2.30 Uhr, also mitten in der Nacht, erwartet wird?
Böttcher findet: „Die Leute müssen früher gewarnt werden, sonst bekommen sie nicht mit, was auf sie zukommt.“ Der Sturmflutwarndienst des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie hatte am zweiten Weihnachtsfeiertag gegen 10 Uhr erstmals vor einem Nachthochwasser gewarnt. Es werde um zwei Meter über dem mittleren Hochwasser liegen, hieß es. Eine weitere Internetwarnung erfolgte um 19.28 Uhr. „In der Nacht von Montag zu Dienstag wird das Hochwasser an der deutschen Nordseeküste, in Emden, Bremen und Hamburg 1,5 bis 2 Meter höher als das mittlere Hochwasser eintreten“, hieß es da.
Die entscheidende Grenze
Böttcher kritisiert diese Angaben scharf. „Da sind die Werte fahrlässig herunterkorrigiert worden“, sagt er. „Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass wir am Ende in Hamburg bei mindestens 2,50 Meter liegen würden.“ 2,50 Meter: das ist die für die Sturmflutwarner entscheidende Grenze. Bei 2,50 Meter und mehr sprechen sie von einer schweren Sturmflut.
Erst gegen 23.33 Uhr verfassten die Experten vom Bundesamt eine weitere Warnung – diesmal mit dem Wert von 2,50 Meter über dem mittleren Hochwasser: Hamburg drohte damit auch offiziell eine schwere Sturmflut. In der Innenbehörde wurde der Katastrophenschutzplan in Gang gesetzt. Radiosender und die regionalen Katastrophenschutzzentren wurden informiert. Die Handy-App Katwarn schickte um 23.51 Uhr eine entsprechende Mitteilung heraus.
Das Problem: Die wenigsten Hamburger dürften noch Radio gehört haben. Und über die Handy-App ließen sich jedenfalls vor einem Jahr nur rund 35.000 Hamburger erreichen. Sylvin Müller-Navarra, der Chef des Warndienstes, sagt: „Die Meldung von 19.28 Uhr war korrekt, denn sie bezog sich auf die gesamte Nordseeküste.“
Erhebliche Schäden im Norden
Der Sturm hat im Norden erhebliche Schäden angerichtet. In Schleswig-Holstein gab es etwa 200 Einsätze der Feuerwehr. Nahe Westensee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) kam eine 34 Jahre alte Autofahrerin ums Leben, als ein umstürzender Baum auf ihren Wagen fiel. Der Freund (24) der Frau wurde lebensgefährlich verletzt.
Im Kreis Pinneberg wurden Dächer abgedeckt, Bäume fielen auf Autos. In der HafenCity lief eine Tiefgarage voll. Die Feuerwehr sprach von großen Sachschaden: Technikräume wurden zerstört. Einen weiteren Einsatz gab es an den Hamburger Messehallen auf St. Pauli. Wegen des starken Windes waren dort etwa 40 Zentimeter große Betonteile von Stützpfeilern des Messegebäudes abgebrochen und auf den Gehweg gefallen.
Unfreiwillig endete die Fahrt am Montagabend für 40 Nordseeurlauber und Einheimische auf ihrem Weg von Dagebüll nach Amrum – sie strandeten auf Föhr. Wegen des Hochwassers war einer Fähre der Wyker Dampfschiffs-Reederei die Weiterfahrt nicht möglich.