Hamburg. Im Winternotprogramm fehlen Plätze, kritisieren Sozialarbeiter und Institutionen. Die Sozialbehörde weist die Vorwürfe zurück.

Nachts liegen sie reihenweise in den Eingängen der Kaufhäuser. Tagsüber schlagen sie ihre Lager an Mönckebergbrunnen und Hauptbahnhof auf, manche suchen zwischen den Buden der Weihnachtsmärkte Schutz vor Wind und Wetter. Die Zahl der Obdachlosen stellt die Stadt schon vor dem Beginn des Winters vor große Herausforderungen. Das Winternotprogramm der Stadt mit 890 Plätzen ist ausgelastet, wurde schon um 50 Plätze erweitert. Passanten und Politiker beobachten vor allem in der Innenstadt deutlich mehr Wohnungslose. Nach Schätzungen von Organisationen wie Caritas und Diakonie hat sich ihre Zahl in Hamburg auf rund 2000 verdoppelt.

Ein Großteil der Betroffenen stammt aus Osteuropa. Der Temperatureinbruch vor wenigen Wochen hat viele von ihnen, die sich zuvor im gesamten norddeutschen Raum aufgehalten hatten, nach Hamburg getrieben. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es in der Hansestadt deutlich mehr Aufenthaltsstätten. „Viele hatten vor Kurzem noch einen Job, nun stehen sie völlig mittellos da“, sagt Andreas Stasiewicz von der Beratungsstelle Plata.

Sozialarbeiter beklagen überfüllte Unterkünfte

Im Vergleich zum Sommer seien die Beschwerden über aggressiv bettelnde Obdachlose gering, heißt es vom Citymanagement. In der Innenstadt werden jedoch immer wieder auch Urinlachen in Haus- und Geschäftseingängen entdeckt. Der Leiter des Bezirksamts Mitte, Falko Droßmann (SPD), will die Situation genau im Blick behalten: „Wir wollen keine Menschen vertreiben. Aber bestimmte Verhaltensweisen können wir nicht dulden. Dagegen wird konsequent vorgegangen, auch mit der Polizei“, sagte Droßmann dem Abendblatt.

Kommentar: Obdachlosigkeit zeigt die Probleme Hamburgs

Sozialarbeiter und Mitarbeiter des Straßenmagazins „Hinz & Kunzt“ beklagen überfüllte Unterkünfte. Die Stadt spricht dagegen von Gerüchten, nach denen keine Plätze mehr frei seien: „Kein Bedürftiger wird abgewiesen“, sagte Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde. Die Beratungsstellen sollen den Betroffenen etwa bei der Wohnungssuche in Hamburg helfen.

„Wir haben eine Erfolgsquote von etwa 30 Prozent, mehr geben die Bedingungen nicht her“, sagt Andreas Stasiewicz von Plata. Auch Sozialarbeiter Johan Grasshoff, der seit drei Jahren für die Diakonie rund um den Hauptbahnhof unterwegs ist, sieht das Problem bei den Wohnunterkünften: „Die öffentlich-rechtliche Unterbringung funktioniert im ­Moment nicht. Die Wohnungslosen stauen sich auf der Straße, weil es nicht genügend Plätze in den Wohnunterkünften gibt.“ Diese wären wiederum belegt von Menschen, die trotz Rechtsanspruchs nicht in eine Wohnung ziehen könnten. „Es gib einfach viel zu wenig Sozialwohnungen.“ Den Menschen könnten kaum noch Alternativen angeboten werden, sagt er. Suppenküchen, Tagesaufenthaltsstätten – alle Einrichtungen seien überfüllt.

Begrenzte Schlafplätze, um Sogwirkung zu verhindern?

Auch Birgit Müller, Chefredakteurin des Straßenmagazins „Hinz & Kunzt“, ist besorgt. „Die Zahl der Wohnungslosen wächst. Wir haben zwar das größte Winternotprogramm Deutschlands, doch es ist jetzt schon stark ausgelastet – und das war es im vergangenen Jahr um diese Zeit noch nicht.“

Für die Obdachlosen sei es hart, immer wieder auf die Straße zu müssen. Auch sie macht die Stadt dafür verantwéortlich. „Es fehlen nicht nur Wohnungen, sondern auch Plätze in Wohnunterkünften. Sogar das Pik As musste schon Menschen abweisen“, sagt sie.

Die Sozialbehörde weist solche Aussagen scharf zurück. „Es ist schlicht falsch, dass die Tages- oder Schlafquartiere überlaufen sind“, so Sprecher Marcel Schweitzer. Das Gerücht führte aber bereits in den vorangegangenen Wochen dazu, dass Gruppen von Obdachlosen sich vor den Containern an der Münzstraße nahe dem Hauptbahnhof drängten, um noch einen Schlafplatz zu bekommen. „Dabei gab es noch Kapazitäten“, so Schweitzer.

Eine Aufstockung der Plätze auf 940 war im vergangenen Jahr erst im Januar nötig. Die städtischen Stellen führen den großen Andrang einerseits auf das Wetter, aber auch auf die große Zahl von meist osteuropäischen Obdach­losen zurück, die aus anderen deutschen Städten nach Hamburg kamen.

Zahl der Innenstadt-Bettler steigt

Bei Helfern von Obdachlosen entsteht der Eindruck, die Stadt weigere sich, genügend Schlafplätze zu schaffen, um nicht noch weitere Obdachlose anzuziehen. „Man darf aus Angst vor einer Sogwirkung aber nicht zusehen, wie die Leute auf der Straße verelenden“, so Müller. Dass die meisten Obdachlosen mittlerweile aus Osteuropa stammen, dürfe ebenfalls kein Kriterium für mangelnde Unterstützung sein. „Die Freizügigkeit war ein erklärtes Ziel der Wirtschaft, von der auch Hamburg profitiert. Da sollte sich die Stadt auch um die Menschen kümmern, die hier aus Rumänien und Bulgarien stranden.“

Der Senat hat zum Start des Winternotprogramms die Beratung für Obdachlose deutlich ausgebaut. Zentral ist etwa eine Hilfsstelle wie Plata, die sich mit Sozialarbeitern speziell um osteuropäische Obdachlose kümmert. „Wir beraten individuell, was die beste Perspektive ist“, sagt Koordinator Andreas Stasiewicz. Ein Drittel der Betreuten entschloss sich zuletzt, die Rückreise in die Heimat anzutreten. „Der Zulauf ist aber weiterhin sehr groß.“

Tatsächlich wird auch die Zahl der Bettler in der Innenstadt größer: Rund 30 saßen bei einer Stichprobe am vergangenen Freitag entlang der Mönckebergstraße. Dazu kamen etwa doppelt so viele, die teilweise auch tagsüber in Schlafsäcken campierten. Beschwerden von Passanten gibt es dagegen kaum. „Das ist nach einer verstärkten Polizeipräsenz zurückgegangen “, sagt Citymanagerin Brigitte Engler. Doch auch sie beobachtet, dass die Zahl der Obdachlosen steigt. „Es werden mehr, die ihre Lager aufschlagen.“