Harburg . Obdachlose haben sich in der Unterführung zwischen Sand und Rathausplatz eingerichtet. Geschäftsleute haben massive Umsatzeinbußen

In bunte Decken gehüllt liegen die Männer im Markttunnel. Sie schlafen ihren Rausch aus. Am Morgen kreiste die erste Wodkaflasche. Dann die zweite und so weiter und so weiter. Es stinkt nach Urin. Die Männer kommen aus Polen. Sie haben leere Gesichter. Sie leben im Tunnel. Die meisten Passanten nehmen nur beiläufig Notiz. Sie haben es eilig, schauen weg, zerren ihre Kinder fort.

Seit mehr als drei Wochen geht das nun schon so. Drei Geschäfte gibt es im Tunnel. Aber immer weniger Kunden kommen. Die Inhaber sind genervt. Der erste Laden hat schon dicht gemacht: Gestern blieb das Gitter vom „Modecenter“ unten. „Es ist ein Elend. Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen. Es macht mich fast krank“, sagt Elke Schnoor, die gegenüber seit Jahrzehnten ihre Boutique betreibt. Seit die Obdachlosen im Tunnel lagern, trauen sich kaum noch Kunden in ihr Geschäft. Vor allem ältere Menschen haben Angst und machen einen Bogen. „Die Leute im Tunnel müssen weg. Wenn sich hier nicht sofort etwas ändert, muss ich meinen Laden spätestens Ende des Jahres dichtmachen“, sagt die Geschäftsfrau.

Modeladeninhaberin Elke Schnoor
Modeladeninhaberin Elke Schnoor © HA | Jörg Riefenstahl

Das Problem ist den Behörden bekannt. Vertreter des Bezirks, der Polizei und der Stadtreinigung trafen sich am Montag um 11 Uhr auf Einladung von Elke Schnoor zum Ortstermin. Sie versprachen, sich um eine Lösung zu kümmern. Daraufhin kam am Mittwoch die Polizei und sprach mit den Obdachlosen. Am Nachmittag kamen die Polizisten erneut, diesmal mit der Stadtreinigung und einer Kehrmaschine. Die Polizisten forderten die Tunnel-Bewohner auf, das Feld zu räumen, damit saubergemacht werden kann. Wer nicht Folge leistete, wurde weggeschleift. Seitdem campieren die Obdachlosen auf der anderen Seite des Tunnels. Sie kochen, trinken, reden, pinkeln, schlafen und bekommen manchmal Besuch von jungen Leuten, mit denen sie feiern.

Modehaus-Inhaberin Mina Narander schiebt ihre Verkaufsständer ins Geschäft und macht den Laden dicht. „Es stinkt. Wir verkaufen nichts. Wir wollen, dass die Leute hier verschwinden.“ Auch Kiosk-Besitzer Gai Wed ist in Sorge. „Meine Kunden bleiben weg. Sie trauen sich nicht mehr, hier vorbeizugehen.“ Er verzeichnet Umsatzeinbußen von 30 bis 40 Prozent. Die Obdachlosen tun ihm Leid. Er habe beobachtet, wie einer vor seinem Laden „viermal aufstand und immer wieder zusammenbrach“, so der Geschäftsmann. „Sie brauchen ein Dach über dem Kopf. Der Bezirksamtsleiter war da. Er hat mir versprochen, etwas zu tun.“

Der Polizei sind die Hände gebunden. Solange von den Tunnel-Bewohneren keine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht, darf sie nicht einschreiten. „Campieren ist keine Straftat und keine Ordnungswidrigkeit“, sagt Dietmar Thoden, Leiter der Stabsstelle im Poliziekommisssariat 46. „Es ist ein soziales Problem. Die Polizei kann es allein nicht lösen.“ Deshalb habe man mit den Geschäfstleuten und Vertretern der Sozialbehörde gesprochen. „Die Obdachlosen im Tunnel wurden vorher aus den Vorräumen der Banken vertrieben“, sagt Thoden. Sozialarbieter hätten den Männern angeboten, mit dem Projekt Plata in Kontakt zu treten (siehe Kasten). „Sie haben zugestimmt. Sie würden gern ins Hamburger Winternotprogramm aufgenommen werden“, sagt Thoden. Der Bezirk bemüht sich um eine Lösung. „Mir tun die Geschäfstleute leid. Es geht nicht, dass die Obdachlosen im Tunnel wohnen. Es riecht streng nach Urin“, sagt Bezirksamtssprecherin Bettina Maack. „Wir suchen händeringend nach einer Lösung, dass die Leute ein Dach über dem Kopf bekommen. Wir alle wissen, es wird kalt.“

Von den Tunnel-Bewohnern, von denen einer der Männer einen frischen Kopfverband trägt, wollte sich gestern niemand äußern. Nach Abendblatt-Informationen von gestern Abend ist damit zu rechnen, dass sie heute Vormittag das Camp verlassen und mit dem Bus nach Hamburg zum Projekt Plata gebracht werden.

Eine Idee, wie man Obdachlosen in Harburg langfristig helfen kann, hat DRK-Vorstand Harald Krüger: „Wir sind mit dem Bezirk über eine Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose im Gespräch. Das könnte so aussehen, dass die Menschen dort übernachten können, duschen, ihre Wäsche waschen können und Frühstück und Mittag erhalten.“ Die Unterkunft soll aber keine dauerhafte Wohnung sein. Krüger: „Wichtig ist, dass die Leute gezwungen werden, die Stätte morgens und abends zu verlassen, damit sie aktiv bleiben.“