Hamburg. Ein Tunnel unter der Willy-Brandt-Straße würde nicht nur neue Flächen schaffen, sondern der Stadt ihr Herz zurückgeben.

Eine städtebauliche Barriere zwischen der Innenstadt und der HafenCity ist für Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz die sechsspurige Straße Willy-Brandt-Straße, die mitten durch die Innenstadt führt. Wenn die Willy-Brandt-Straße in ihrer jetzigen Form erhalten bleibe, sei dauerhaft damit zu rechnen, dass das neue südliche Überseequartier kein integraler Bestandteil der Hamburger Einkaufscity werde, sondern ein „deutlicher Konkurrenzpol“. Dies sei für die weitere Entwicklung der Innenstadt äußerst schädlich, so der Handelskammerchef.

60.000 Autos und Lkw fahren täglich über die Willy-Brandt-Straße. Die hieß ursprünglich Ost-West-Straße und wurde in den 60er-Jahren fertiggestellt und später in die Abschnitte Ludwig-Erhard-Straße und Willy-Brandt-Straße umbenannt. Für die Realisierung der Straße wurden in den 50er-Jahren historische Plätze planiert, Fleete zugeschüttet und Altbauten abgerissen.

Dass die viel befahrene Straße im Herzen der Stadt ein Problem ist, ist seit Jahrzehnten bekannt. Jetzt hat sich auch die Handelskammer der Sache angenommen und am Freitag in ihrem neuen Standortpunktpapier „Wirtschaftsstandort Innenstadt“ ein Konzept inklusive Finanzierung für die Untertunnelung der Willy-Brandt-Straße in der Innenstadt auf dem rund 1,3 Kilometer langen Abschnitt zwischen dem Deichtorplatz und dem Rödingsmarkt vorgelegt. Denn nur so könnten Einkaufscity und die HafenCity mit ihrem Überseequartier eng miteinander verknüpft werden, sagt Schmidt-Trenz.

Der Plan: „Durch den Bau des neuen Tunnels einschließlich zusätzlicher Bebauungspotenziale auf städtischen Grundstücken entlang der Willy-Brandt-Straße könnten bis zu 25.300 Quadratmeter neue Flächen für Bürobauten entstehen“, sagte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Schmidt-Trenz. Auch dass hier Wohnungen entstehen, wäre für Schmidt-Trenz eine Option. Zudem könnten neue öffentliche Plätze geschaffen werden.

Das Konzept sieht konkret vor: Vier der heute sechs durchgehenden Fahrspuren in einen Tunnel zu verlegen und zwei Fahrspuren als oberirdische Erschließungsstraße auf einer Tunneldecke zu schaffen. Der Platz, der durch die vier wegfallenden Fahrspuren entsteht, soll dann bebaut werden.

Damit hätte Hamburg die Chance, sein historisches Zentrum rund um die Nikolaikirche neu zu beleben und eine Verbindung von der City bis zur Elbe zu schaffen.

Offene Wunde im Herzen der Innenstadt

Unterstützung kommt aus der Politik. „Darüber kann man reden. Eine langfristige Vision. Man muss aber auch die erheblichen Kosten beachten, die ein solches Projekt kosten würde“, sagte SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf. Aber trotzdem ist es eine Option für ihn: Ein Tunnel sei städtebaulich durchaus wünschenswert, allerdings verkehrlich und technisch höchst anspruchsvoll.

Für CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering steht fest: „Die Willy-Brandt-Straße ist eine offene Wunde im Herzen der Innenstadt. Hamburg würde doppelt profitieren. Durch einen Tunnel könnte die unerträgliche Stausituation in der Innenstadt spürbar verbessert werden.“ Zudem wäre die Untertunnelung der sechsspurigen Straße ein stadtentwicklungspolitischer Meilenstein für eine lebenswertere City. Bereits 1990 habe sich die CDU für einen Tunnel unter der damaligen Ost-West-Straße eingesetzt. Das sei an der SPD gescheitert, so Thering weiter.

Unterdessen kündigte Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) gegenüber dem Abendblatt an, das Konzept eines Citytunnels würde von der Stadt sorgfältig geprüft. Aber Rieckhof gibt zu bedenken: „Die eigentlichen Verkehrprobleme der Innenstadt werden so sicherlich nicht gelöst, sondern noch verschärft. Für die Bewohner der Neustadt gäbe es keine Verbesserungen, da die Ludwig-Erhard-Straße laut der Handelskammer-Pläne so bleiben solle, wie sie ist. Rieckhof weiter: „Es würde zusätzlicher Verkehr auf die Ludwig-Erhard-Straße gezogen und dann auch St. Pauli und Altona belasten.“

Wer soll das bezahlen?

Im Jahre 2004 hatte der damalige CDU-Senat geplant, gläserne Fußgängerbrücken über die breite Straße zu bauen. Auch das wurde nicht umgesetzt. Es gab auch andere Ideen, und auch die Tunnellösung wurde bereits diskutiert.

Handelskammer-Hauptgeschäftsführer
HansJ-örg
Schmidt-Trenz
setzt sich für eine
Untertunnelung
der Willy-Brandt
Straße ein
Handelskammer-Hauptgeschäftsführer HansJ-örg Schmidt-Trenz setzt sich für eine Untertunnelung der Willy-Brandt Straße ein © dpa | Maja Hitij

Im September hatte zuletzt die St.-Katharinen-Gemeinde eine spektakuläre Aktion unter dem Motto „Damit die Stadt wieder zusammenwächst“ gestartet. Höhepunkt war in diesem Zusammenhang eine Demonstration mitten auf der gesperrten Fahrbahn.

Der Vorschlag der Handelskammer ist spannend, aber wer soll das bezahlen? Die durch die Untertunnelung entstehenden Grundstücke würden laut Schmidt-Trenz einen Wert von etwa 416 Millionen Euro haben. Außerdem seien bei den bestehenden Grundstücken auf beiden Seiten der Straße Wertsteigerungen von 104 Millionen Euro zu erwarten. Demgegenüber stünden Baukosten von etwa 492 Millionen Euro gegenüber, wenn man die Untertunnelung der Landshuter Allee in München als Maßstab anlege, so Schmidt-Trenz weiter.

Auch hier ist Verkehrsstaatsrat Rieckhof skeptisch: „Die Kostenschätzung von knapp 500 Millionen Euro ist nach meiner Einschätzung viel zu niedrig angesetzt. Wir haben schwierigere Baugrundverhältnisse als München.“ Ein Verkehrstunnel dieser Größenordnung verursache dauerhafte Betriebskosten in Millionenhöhe und benötige auch eine eigene Feuerwehrwache. Rieckhof befürchtet: „Eine mehrjährige offene Baugrube würde nicht nur teuer, sondern auch Verkehrsstaus produzieren.“ Schmidt-Trenz: „Natürlich müsste es eine Machbarkeitsstudie geben, bei der dann auch der genaue Kostenrahmen ermittelt wird.“