Serie Teil 17. Was wurde aus den Gewinnern des Gründerpreises? Jost Hüttenhain baute mit Schwester Katrin Erenyi die Nordwandhalle auf.

Zum 1. Oktober geht er zurück in die Unternehmensberatung zu einer Porsche-Tochter in München. Qualität setzt sich eben durch, könnte man sagen. In diesem Fall sogar durch Abwesenheit. Denn die neue berufliche Herausforderung nimmt Jost Hüttenhain zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt an.

Vor fünf Jahren hat der Betriebswirt genau diese Branche verlassen, um mit seiner Schwester Katrin eine Kletterhalle in Wilhelmsburg zu planen, zu bauen und zu betreiben. Nun funktioniert das Projekt, und den Kletter-Enthusiasten und unsteten Geist zieht es wieder in die Welt der Businessanzugträger. So, wie es schon einmal der Fall war. Aber der Reihe nach.

Sie investierten 5,2 Millionen Euro

2011 wurden die Geschwister für das Konzept der Nordwandhalle als „Existenzgründer“ ausgezeichnet. 5,2 Millionen Euro investierten sie mithilfe von Kreditgebern, Familie und Freunden in das Projekt. 2014 kamen eine Halle in Danzig und 2015 eine in Bremen dazu. Die Arbeitsverteilung spielte sich schnell ein: Katrin Hüttenhain, verheiratete Erenyi (39), kümmerte sich operativ um die Halle, Bruder Jost (41) um neue Projekte. Zudem intensivierte er seine Lobbyarbeit als Vorsitzender des Verbandes der Kletterhallenbetreiber.

Es sind noch keine Kunden da an diesem frühen Morgen in einer der größten und modernsten Kletterhallen Europas. Hüttenhain muss anschließend noch zu einer Hochzeitsfeier, deshalb ist Kaffeetrinken um kurz nach 8 Uhr morgens am Inselpark 20 verabredet, dort in Wilhelmsburg, wo 2013 die Internationale Gartenschau (IGS) stattfand.

Auf einem 6000 Quadratmeter großen Grundstück steht jenes moderne Gebäude, in dem Kletterfans auf 4000 Quadratmeter Fläche und in bis zu 16 Metern in die Höhe 350 verschiedene Kletterrouten unterschiedlichster Schwierigkeitsgrade ausprobieren können. Entweder angegurtet (klettern) oder ohne Hilfsmittel in Absprunghöhe (bouldern). Ein Sport, der nichts für Schwindelanfällige ist, wie der Ausblick aus dem Seminarraum im obersten Stockwerk hinüber und hinunter zu den Kletterwänden mit den bunten Griff- und Tritterhebungen zeigt.

Dass sie sich überhaupt an das kostenintensive Mammutprojekt Kletterhalle gewagt haben, ist zu verstehen, wenn man eintaucht in die Mentalität dieser Familie. Mit den Alpen vor der Tür entdeckten die Geschwister aus München schon als Jugendliche die Faszination am Klettern. Später dann wurden die Studienorte nach den Klettermöglichkeiten in der Umgebung ausgesucht. Die Felsküste bei Marseille war so eine Herausforderung, die beispielsweise Hüttenhain annahm.

Eine Auszeit musste her

Mit dem Abschluss in der Tasche folgte für ihn der erste Job als Unternehmensberater bei der Information Management Group im schweizerischen St. Gallen – mit Bergen in der Nähe. Die Schwester, die auch ein abgeschlossenes BWL-Studium hat, arbeitete ebenfalls in einer Unternehmensberatung, machte aber auch das Booking für einen DJ in München.

Damals, in St. Gallen, dachte Hüttenhain erstmals über den Sinn seines Lebens nach. „Entweder gehört einem bei diesem Job die Welt oder man findet heraus, dass es so nicht weitergeht.“ Die Erkenntnis eines Mannes, dem die Natur zur zweiten Natur geworden war: „Ich habe viel Geld verdient bei wenig Lebensqualität.“ Eine Auszeit musste her.

Mit Freundin Siri, ebenso kletterverrückt, ging er auf Tour, landete in der Türkei bei Antalya im beliebten Klettergebiet Geyikbayiri. Die Landpreise waren niedrig, und die Zeit schien reif für ein Camp, um dort zu leben und der internationalen Kletterszene einen Anlaufpunkt für Touren zu bieten. 13 Jahre ist das her, das Paar heiratete dort. Fünf Jahre lebten sie in den türkischen Bergen, ehe sie 2009 nach Süddeutschland zurückkehrten und wieder einscherten in die Zivilisation und ihre Berufe.

Doch das Klettern ließ weder die Hüttenhains noch die Schwester wirklich los. Zudem schien die Vorstellung, den Rest des Berufslebens im Büro zu verbringen, damals wenig attraktiv für Menschen, die unter abenteuerlichen Bedingungen Berge erklimmen, manchmal dort übernachten. Die Natur diktiert den Tagesablauf, nicht die Finanzen. Der Plan, eine Kletterhalle zu bauen, entstand. In München gab es keinen Bauplatz. Das war schnell klar. Nach bundesweiten Recherchen erhielt Hamburg den Zuschlag. Beide Familien zogen um.

Inzwischen boomt die Branche. Überall entstehen neue Hallen. Das haben auch gemeinnützige Vereine wie der Deutsche Alpenverein erkannt, die ebenfalls große Kletterzentren betreiben. Problematisch ist die Subvention durch die öffentliche Hand, wenn etwa Städte ihre Grundstücke weit unter Marktpreis zur Verfügung stellen. „Dagegen gehen wir vor“, sagt Hüttenhain in seiner Eigenschaft als Funktionär. „Das ist Wettbewerbsverzerrung.“ Sogar in Brüssel ist das Problem angekommen. Ein Betreiber klagt.

Katrin Erenyis Ehemann leitet operatives Geschäft

Inzwischen hat Christian Erenyi, ein ehemaliger Kletter-Profi, das operative Geschäft der Hamburger Halle übernommen. Zwar ist er von Beginn an dabei und kümmert sich schon seit Eröffnung 2012 um alles, was mit der Praxis des Kletterns zu tun hat. Doch mit inzwischen zwei Kindern ist Ehefrau Ka­trin ziemlich ausgelastet, hat sich weitgehend aus der Arbeit als Geschäftsführerein zurückgezogen. „Christian macht einen tollen Job“, sagt der Schwager. „Wir Gesellschafter sind froh, dass er unser Baby so gut im Griff hat.“

49.000 Kunden stehen bislang in der Kartei. Zwölf feste Mitarbeiter und 20 geringfügig Beschäftigte sowie zehn bis 15 Freie, je nach Bedarf, halten den Betrieb aufrecht. 2014 war das entscheidende Jahr für die Betreiber. Eigentlich sollte erstmals ein positives Ergebnis erwirtschaftet werden. „Das haben wir wegen der hohen Tilgung knapp verpasst“, sagt Hüttenhain. In den Außenbereich mit Boulderwänden und reichlich Platz für Grillgesellschaften wurden noch einmal 50.000 Euro nachinvestiert.

2015 bekam die Anlage ein neues Abo-System

2015 bekam die Anlage ein neues Abo-System. „Das ist kundenfreundlicher, weil es flexibler ist“, sagt Erenyi. In diesem Jahr wurden die Einnahmen durch Eintrittspreise um 25 Prozent gesteigert. „Wir haben einen Umsatz im deutlich siebenstelligen Bereich.“ Kleiner Wermutstropfen in der Erfolgsgeschichte war ausgerechnet die IGS. Um zur Kletterhalle zu kommen, mussten die Besucher seinerzeit 20 Euro vorstrecken. Das schreckte ab. „Wir hatten 20 bis 30 Prozent weniger Kunden“, sagt Hüttenhain. Doch auch diese Phase haben sie gut überstanden.

Das Jo.Si.To Guesthouse.camp in der Türkei gibt es immer noch. Der Freund und Mitgesellschafter der Nordwandhalle, Tobias Haug, führt es inzwischen operativ alleine vor Ort weiter. „Es war ein steter Quell der Freude“, sagt Hüttenhain. Solider Umsatz und Gewinn. Doch dann kamen die ersten Reisewarnungen, Anschläge, IS-Terror, der Krieg mit der PKK – seither geht es dramatisch bergab mit den Buchungszahlen in der Keimzelle des Unternehmens.

2020 wird Klettern in Tokio olympisch. Davon versprechen sich die Hüttenhain-Erenyis noch einmal einen Schub. In Japan ist Berge zu besteigen Volkssport. Vielleicht demnächst auch für Familien hier im Norden. Mangels natürlicher Erhebungen ist so eine Halle im Flachland eine echte Alternative.