Sternschanze. Vor den Schanzenhöfen standen die Hamburger Schlange, um Bier zu genießen, wie man es nicht im Supermarkt bekommt.

Am späteren Nachmittag bilden sich vor den beiden Eingängen zu den Schanzenhöfen an der Lagerstraße längere Warteschlangen. Denn mehr als 999 Menschen dürfen nicht gleichzeitig in den Innenhof des Braugasthauses „Altes Mädchen“ und seinen angrenzenden Verkaufs- und Schankräumen. So lautet nun mal die behördliche Auflage. Nur wenn also jemand rausgeht, darf jemand anderes rein. Doch wer erst mal drin ist, will auch so schnell nicht wieder raus, und das liegt am Bier. Genauer, an den rund 100 verschiedenen Bierspezialitäten der 20 Brauereien aus der ganzen Welt, die auf den Summer Craft Beer Days (CBD) ausgeschenkt werden.

Der Eintritt kostet 5 Euro, weitere 5 Euro Pfandgeld muss man für ein Probierglas hinlegen, und dann stünde einer Druckbetankung nichts mehr entgegen, doch halt: Wer bloß seinen Wasserhaushalt ausgleichen und dabei was spüren möchte, wäre hier total falsch. „Wir wollen genießen statt gießen“, sagt der Niederländer Roy Pollux, der aus Venlo angereist ist, um La Trappe zu vermarkten, ein authentisches Trappisten-Bier aus der Abtei in Koningshoeven; authentisch deshalb, weil es wie vorgeschrieben in einem Trappisten-Kloster unter der Aufsicht von Mönchen gebraut wird und ein Teil des Ertrags wohltätigen Zwecken zugutekommen muss.

Acht verschiedene Biersorten gären in der Koningshoevener Abtei, darunter das Quadrupel, mit zehn Prozent Alkoholgehalt und „einem vollen, wärmenden und intensiven Geschmack, malzig mit süßen Tönen von Dattel und Karamell.“ Nun sind solche besonderen Biere, ganz gleich ob stark, obergärig oder naturtrüb, auch in Deutschland nichts Neues, aber dennoch stünden die deutschen Biertrinker, meint Roy Pullux noch ziemlich am Anfang: „Da ist noch Schaum nach oben!“

999 Gäste waren bei den Craft Beer Days - mehr durften nicht hinein
999 Gäste waren bei den Craft Beer Days - mehr durften nicht hinein © Andreas Laible | Andreas Laible

Der Begriff „Craft Beer“ schwappte vor fünf Jahren aus den USA ins weltweit anerkannte Mutterland des Bieres herüber. Craft Beer bedeutet, dass es sich um „handwerklich“ („craft“) gebrautes Bier handelt. Doch diese Definition ist zu simpel: „Es geht vor allem um Biere mit eigenem Charakter, die sich von der Masse abheben“, tönt es zur Erklärung aus der Brauerei Wildwuchs in Bleckede bei Hamburg. Dort experimentieren „die Hamburger Jungs“ um Braumeister Friedrich Matthies fröhlich mit den innerhalb des Reinheitsgebots erlaubten Zutaten und komponieren Biersorten, die außergewöhnlich sind. Wie das Bock O’Range: Dank der „orangigen Note“ der Hopfensorte Mandarina Bavaria werde aus einem Bier ein „deftiger Obstkorb“, meint Fiete Matthies und weist auf die 7,9 „Umdrehungen“ hin.

Süffigkeit, originelle Geschmacks­varianten („Espresso Ale“), aber auch die fehlende, typisch deutsche Biererns­tigkeit bei der Namensgebung („Arrogant Bastard Ale“, „Prototyp“), Letzteres aus der Hamburger Kehrwieder Kreativbrauerei: Das alles bringt erstaunlich viele Frauen ans Glas. Tatsächlich hält sich die Zahl der Biergenießerinnen auf dieser Fachtagung mit der der männlichen Konsumenten die Waage. Frederike Stanitzke (35), die zu Hause in ihrem Kühlschrank mit Pilsner Urquell oder Staropramen zwei tschechische Weltmarken vorrätig hat, schätzt an Craft-Bieren, „den vollen, süßlich-bitteren variantenreichen Geschmack, den man seiner jeweiligen Stimmung anpassen kann“. Es seien Biere passend zu jeder Lebenslage, die man ohne Hektik trinken sollte.

Ruhig ist auch die lockere, friedlich-fröhliche und extrem entspannte Stimmung, die über dem Event liegt. Der intellektuell angehauchte Genussmensch zwischen 30 und 50 bildet erkennbar die Kernklientel; Leute, die bereit sind, durchschnittlich zwischen 2,70 und 4,00 Euro für eine 0,33 l Flasche auszugeben.

Seit ihrer Premiere vor vier Jahren sind die Summer Craft Beer Days die insgesamt elfte Fortbildungsmaßnahme dieser Art in den Schanzenhöfen. Das beweist, dass Craft-Bieren in relativ kurzer Zeit der entscheidende Schritt vom Modetrend zur nachhaltigen Bewegung gelungen ist, die ja eigentlich und vornehmlich auch in ungezählten privaten Kellern, Gartenschuppen und Garagen vorangetrieben wird; zum Beispiel auch durch „HobbyBrau-Hamburg“, einer „lockeren Interessengemeinschaft bierbegeisterter Menschen mit einem harten Kern aus ungefähr 20 Leuten“, sagt Marco Bohmbeck, eigentlich ein Wirtschaftsinformatiker, der mit der „Hammer Perle“ ein herrlich frisches Pils gebraut hat.

Das darf allerdings nicht verkauft, sondern aufgrund der fehlenden Schanklizenz lediglich verkostet werden. HobbyBrau kann seinen Stand auf den CBD daher auch kostenlos betreiben. Das, was die Heimbraumeister einnehmen, spenden sie an die Flüchtlingshilfe. Es sei halt immer wieder spannend, mit den wenigen zu Verfügung stehenden Zutaten verschiedene Geschmacksrichtungen zu kreieren, sagt Marco Bohmbeck. „Außerdem dauert so ein Brautag acht Stunden und ist ja nicht zuletzt auch sehr gesellig.“