Winsen. Die Restaurant-Kette hat einen Betrieb im Landkreis Harburg gekauft – um dort die Haxen für die Hamburger Betriebe herzustellen.
Mit einem langen Metallstab sticht Fleischergeselle Rüdiger Twardowsky mehrmals in den Schweinebraten hinein. Durch den Injektor wird eine Gewürzmischung in das Fleisch gespritzt. Später wird das Stück mit dem Senf-Salz-Pfeffer-Mix ummantelt. „So bekommt der Braten einen gleichmäßigen Geschmack“, sagt Produktionsleiter Arne-Christian Sellmer.
Bis Ende Juni leitete der 48-Jährige das gleichnamige Familienunternehmen, das in Winsen in vierter Generation Rossspezialitäten herstellte und deutschlandweit Supermärkte belieferte. Doch seit Monatsbeginn ist die Marke inklusive Rezepte an eine Göttinger Firma verkauft und die Produktion auf Schwein und Rind umgestellt. Der Lebensmitteltechniker hat jetzt einen Chef, der Frank Blin heißt und die Hofbräuhäuser in Hamburg betreibt.
Der Gastronom kaufte das Grundstück im Gewerbegebiet mit sämtlichen Maschinen auf rund 1500 Quadratmetern Produktionsfläche und gründete zusammen mit Geschäftspartner Dietmar Poszwa (dem Schwiegersohn des früheren Boxpromoters Klaus-Peter Kohl) das Unternehmen Heimat Bayern – mit dem Ziel, künftig alle Betriebe Blins mit Fleisch zu beliefern. In diesen Tagen startet die Auslieferung der Ware.
„Sind uns schnell einig geworden“
„Bei der Betriebsgröße der Hofbräuhäuser macht es Sinn, die Produktion selbst zu machen“, sagt Bernd Kasprack, der seit vielen Jahren bei Sellmer angestellt ist. Der 49-Jährige ist Metzgermeister, kennt Blin seit vielen Jahren, weil die Kinder zusammen im Kindergarten waren, und brachte Blin und Sellmer zusammen. Im vergangenen Herbst sprachen beide Geschäftsleute das erste Mal miteinander, vor drei Monaten habe man sich intensiv zusammengesetzt. „Wir sind uns schnell einig geworden“, sagt Blin und schweigt über den Kaufpreis. Sellmer nickt. Seine Töchter hätten signalisiert, dass sie den Familienbetrieb nicht übernehmen wollten. Das erleichterte den Entschluss zum Verkauf. „Mein Personal und ich werden hier nach wie vor gebraucht.“ Sein Ladengeschäft in Winsen verkaufte er ebenfalls, in der Schlachterei wurden die zwölf Mitarbeiter in Vollzeit übernommen.
Sie sollen künftig jährlich 700 Tonnen Fleisch verarbeiten. „Alle Gerichte, die wir zum Verkauf anbieten, wollen wir in unserer Produktionsküche anbieten“, sagt Halil Beso, der als gelernter Koch für die Qualitätssicherung zuständig ist. Dazu gehören Gulasch- und Kartoffelsuppe, Bier- und Schwammerlsoße sowie natürlich die Fleischgerichte wie Schweinebraten und Rinderroulade. Insgesamt ist der Jahresbedarf riesig. 260.000 Haxen, 27 Tonnen Leberkäse und rund 750.000 Würstchen von Wiener über Nürnberger bis zur Currywurst brauchen Blins Betriebe pro Jahr.
Von Winsen aus sollen die Gaststätten aus Blins Hofbräuhaus-Imperium beliefert werden. Drei Standorte gibt es allein in Hamburg (Speersort, Esplanade und Harburg), jeweils einen in Berlin (Alexanderplatz) und Bispingen (SnowDome). Sein erster Franchisenehmer eröffnete im März zudem das erste Hofbräuhaus in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Knapp 800 Plätze draußen und 600 innen stehen im alten Bismarckbahnhof zur Verfügung. Blin sagt: „Hannover ist unglaublich gut angelaufen.“ Perspektivisch sollen die Mengen weiter steigen. Die ursprünglich für diesen Sommer geplante Eröffnung eines zweiten Restaurants in Berlin wurde wegen baulicher Auflagen in das nächste Frühjahr verlegt. 3000 Quadratmeter groß soll das Haus in Charlottenburg am Ku’damm sein, etwa halb so groß wie sein größtes Lokal am Alexanderplatz. Auch weitere Standorte nimmt Blin unter die Lupe: „Rostock ist sehr interessant.“
Bisher lässt Blin bei Fremdfirmen produzieren
Zunächst einmal muss aber die Umstellung auf die eigene Produktion gelingen. Bisher lässt das Unternehmen bei Fremdfirmen in Lübeck, Bad Bramstedt und Eberswalde die Waren herstellen, der Übergang soll fließend erfolgen. Zurzeit wickelt noch eine Spedition die Lieferung ab, perspektivisch denkt Blin an den Aufbau einer eigenen Lastwagenflotte. Eine noch bessere Qualität und das Verwenden von weniger Zusatzstoffen seien wichtige Ziele für die eigene Herstellung. Für das Feintuning verbleiben 1,5 Monate – bis zum Start der Hauptsaison. Von September bis Dezember machen die Lokale dank Oktoberfest und Weihnachtsfeiern rund 40 Prozent ihres Umsatzes.
„Wenn alles steht und wir im Rhythmus sind, dann können wir den Schritt in den Handel planen“, sagt Blin. Ende des Jahres könnte es so weit sein und die Produkte bei Supermärkten wie Rewe, Edeka und Co. gelistet sein. Der 49-Jährige will dann mit dem Hofbräuhaus über den Markennamen verhandeln. Heimat Bayern wäre kein Problem, aber das Label Hofbräuhaus wäre natürlich attraktiver und lukrativer.
„Wenn wir in den Einzelhandel gehen, werden wir sicher noch ein bis zwei Millionen Euro investieren“, sagt Blin. Ein Anbau für weitere Lager-, Kühl- und Produktionsflächen ist notwendig. Zum lange Haltbarmachen der Waren muss ein teurer Autoklav angeschafft werden. Unmittelbar bevor steht aber ein Investment von rund 500.000 Euro in die Warmproduktion. Vor allem Kochgeräte müssen gekauft werden. Zehn Produkte wie Suppen, Soßen und Dressings sollen künftig zubereitet werden.
Die Produktion ist als Einbahnstraßensystem aufgebaut. So kann die Ware nur einen Weg gehen und die Transportwege kreuzen sich nicht. Tiere werden in dem Betrieb nicht mehr getötet. Zerlegt kommt das Fleisch in kleinen Einheiten von vier deutschen Lieferanten an und wird weiterverarbeitet, zum Beispiel zur Wurst. Am Ende der Produktionsstraße stehen zwei Öfen. Es riecht nach Wurst und Fleisch. Im linken werden gerade für 30 Minuten bei 70 Grad Celsius Currywürste gegart. Der rechte ist für vier bis fünf Stunden blockiert. Dort wird der Leberkäse bei etwa 80 Grad Celsius gebacken. Ein Mitarbeiter macht die Ofentür auf. Blins Gesicht strahlt, er schnuppert und schaut sich das Fleisch an: „Die Qualität ist super. Hammer!“