Die Hansestadt gefällt sich oft darin, Trends hinterherzulaufen. Warum sich nicht einfach mal an die Spitze der Bewegung stellen?

In diesen Tagen darf man etwas feiern, was wirklich hamburgisch ist: den Hafengeburtstag. Es gibt ja Spötter, die halten die Feiermeile eher für einen Schwenkgrill-Strich, einen Bratwurst-Boulevard oder gar eine offene Drogenszene angesichts Dutzender Bierbuden und Caipirinha-Schänken.

Allerdings übersehen die Nörgler die besondere Faszination dieser Hamburgensie, die Auswärtige von Ahrensburg bis Zwickau genauso wie Alternative von der Hafenstraße bis Berlin-Friedrichshain gleichermaßen anlockt: der Mai, die Musik und das Maritime. Welche andere Stadt spendiert solche Blicke auf den Fluss, welche andere Stadt präsentiert ihren Hafen als großes Theater auf offener Bühne? Das macht Hamburg einzigartig.

Und so viele Alleinstellungsmerkmale hat die Hansestadt nicht vorzuweisen, lässt man die Knatter- und Hossa-Aufzüge namens Cruise Days und Schlagermove einmal außer acht. Doch gerade das Einzigartige macht eine Stadt echt. Hamburg hätte die einmalige Chance, Tradition und Zukunft, Wirtschaft und Handwerk, Lebensart und Lebensmittel, Internationalität und Heimatverbundenheit miteinander zu verbinden. Klingt nach der Quadratur des Kreises, ist aber nur Bier. Allerdings nicht irgendeines, sondern Craft Beer.

So heißen die Spezialitäten, die Mikrobrauereien herstellen. In Hamburg braut sich einiges zusammen, seit Jahrhunderten schon. Die Hansestadt galt bis ins Mittelalter als „Brauhaus der Hanse“. Die ersten Biere sollen vor über 1000 Jahren im Schatten der Hammaburg gebraut worden sein. Der gefälschte Freibrief des Kaisers Barbarossa, der den Aufstieg der Stadt zur Metropole ermöglichte, erwähnte Strafen für falsche Biermaße. 1270 wurde nachweislich Bier nach Norwegen und Gotland exportiert. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren unter 8000 Einwohnern 457 Brauer oder Bier­exporteure.

Bald könnten es wieder so viele sein: Wer mit offenen Augen durch Getränke- oder Supermärkte läuft, sieht ein ständig wachsendes Sortiment – bunte Etiketten, freche Namen, ungeahnte Geschmacksrichtungen. Ob Ratsherrn, die Kehrwieder Kreativbrauerei, ob Wildwuchs oder Buddelship, ob Brewcifer oder Von Freude, längst haben viele Mikrobrauer in Hamburg festgemacht.

Sie alle sprengen die geschmacklichen Grenzen, die man bisher beim Bier kannte. Das Reinheitsgebot ist angesichts der Aromafülle der modernen Brauer etwas in die Jahre gekommen. In der vergangenen Woche überraschte sogar die Senatspressestelle mit einer Pressemitteilung, wonach die Anträge eines zweiten Hamburger Herstellers zum Brauen von „besonderen Bieren“ genehmigt worden sei, der „die Bierlandschaft in Hamburg durch weitere Getränke aus regionaler Herstellung bereichert“. Früher wäre dies als Anschlag auf das Reinheitsgebot und damit auf die Wahlchancen gewertet worden. Und während ­Mikrobrauern vor Monaten noch mitunter Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden, ist im vergangenen Jahr sogar eine urhanseatische Spezialität wieder auferstanden – das Senatsbock.

Oliver Wesseloh, Brauer, Weltmeister der Biersommeliers und Hamburger, betont in seinem neuen Buch „Bierleben“ (rororo, 14,99 Euro), dass Pils und Weizen nur zwei von 150 Stilen sind und Bier das „am meisten unterschätzte Getränk in Deutschland“ ist. Anderswo ist man da längst weiter. In den USA liegt der Marktanteil des Craft Beers schon bei elf Prozent – eine Verdreifachung binnen acht Jahren. Auch in Großbritannien, Skandinavien und Italien ist die Bewegung im Aufwind. Es sind die jungen, die hippen, die kreativen Leute, die sie tragen.

Welche Chancen liegen in diesem Trend für Hamburg, dem ehemaligen Brauhaus der Hanse! Unterstützung für kleine Brauer ist das eine, ihre stärkere Einbindung in Großevents eine weitere Idee. Ein professionelles Bier-Museum – vielleicht sogar auf dem Gelände der scheidenden Holsten-Brauerei in Altona – könnte nicht nur die Neue Mitte beleben, sondern auch zum touristischen Anziehungspunkt werden wie heute schon das „Alte Mädchen“ im Schanzenviertel.

Im Wein mag die Wahrheit liegen, im Bier die Zukunft.