Hamburg. Ein deutschlandweit einzigartiges Pilotprojekt soll den Lebensraum für Fische in innerstädtischen Unterwassergebieten verbessern.
Nach gut einer Stunde ist alles erledigt. Die Schute mit dem Kran ist abgezogen, zurück bleiben nur neun gut sichtbare, sanft im Fleet schaukelnde Bojen. Auf jeder einzelnen steht: „Wie lebt ein Fisch in der Großstadt?“ Und bevor man sich fragen kann: Ja, wie eigentlich?, erklärt Biologe Karsten Borggräfe, dass es in den innenstadtnahen Unterwassergebieten ziemlich reizlos zugehen muss für Zander und Rotfedern. „Hier ist alles quadratisch, praktisch, gut. Im Grunde handelt es sich bei den meisten Alsterfleeten um große Betonwannen ohne Bewuchs. Als Lebensraum für Fische und Insekten unattraktiv.“
Mit den gelben Bojen und vor allem mit dem submarin verankerten Totholz versuchen die Umweltverbände BUND, Nabu und die Aktion Fischotterschutz nun, mehr Leben ins Fleet zu bringen. Im Rahmen des Projekts „Lebendige Alster“ wurden am Donnerstag nun erstmal auch im Unterlauf künstliche Unterwasserstrukturen eingesetzt, um zunächst kleine Teile der Wasserstraße zu renaturieren. Im Prinzip imitieren die Gebilde Pflanzen, die Kleinfischen oder Insekten Schutz und Lebensraum bieten. Der deutschlandweit einmalige Modellversuch soll die urbane Unterwasserwelt ökologisch aufwerten. Gefördert wird das 10.000 Euro teure Pilotprojekt von der Stadt und der Stiftung Lebensraum Elbe.
Die in den Fleeten versenkten Konstruktionen sollen Fische anlocken
Nach eineinhalb Jahren Planung, unter anderem musste die Maßnahme mit dem Denkmalschutz abgestimmt werden, dauerte der eigentliche Akt des Versenkens nur wenige Minuten. Der Schubverband „Alster“ – mit Planern, Stadtmitarbeitern und Naturschützern in Schwimmwesten besetzt – lieferte die Totholzbündel und Weidekugeln punktgenau an vier ausgewählten Stellen in Alster- und Mönkedammfleet ab. Ein Kran pflanzte die mit Flusskiesel beschwerten Gebilde ins sonst eher triste und trübe Unterwasserreich.
„Die Konstruktionen können als Ergänzung zu den Fischtreppen an den Fleeten gesehen werden“, sagt Borggräfe. An Rathaus- und Mühlenschleuse erleichtern solche Bauwerke den Tieren die Wanderungen zwischen den Gewässern. Vielleicht, so die Hoffnung der Naturschützer, fühlen sich die Fische nun auch ermuntert, etwas länger im Fleet zu verweilen.
Ob die innerstädtische Alster mit diesen Prototypen tatsächlich an Attraktivität für die Tierwelt gewinnt, soll mit einem Monitoring überwacht werden. In regelmäßigen Abständen wollen Naturschützer untersuchen, wie sich der Bewuchs entwickelt, wie die Fische auf die neuen Strukturen reagieren und wie das Projekt sinnvoll ausgeweitet werden kann.
„Da die meisten Fleete unter Denkmalschutz stehen, muss abgewägt werden, was möglich ist und welchen gestalterischen Spielraum der Naturschutz in der Innenstadt hat“, sagt Borggräfe. Schon jetzt musste auf eine „maritime Anmutung“ bei den Konstruktionen geachtet werden, Bojen waren da ein Kompromiss. „Aber ein guter“, fügt Borggräfe hinzu: „So wird das Projekt für alle Hamburger sichtbar.“ Andererseits bedeuten die strengen Auflagen, dass Borggräfes Vision, die steilen Wände der Fleete mit schwimmenden Gärten zu begrünen, wohl noch viel Überzeugungsarbeit kosten wird. „Dabei würde sich mit Uferbewuchs auch der Erholungswert für Menschen erhöhen“, sagt der Naturschützer.
Den Fleet zum Lebensraum zu machen, ist eine Herausforderung
Zunächst sollen aber die Oberflächen der Totholz- und Weidenbündel als Ansiedlungsfläche von Phytobenthos und Markozoobenthos, ihrerseits Nahrungsquelle für Fische, dienen. Um den mitunter starken Strömungen bei offenen Schleusentoren zu entgehen, werden in einem zweiten Schritt im August zusätzlich zwei „Fischunterstände“ ins Wasser gelassen. „Erfolg bemisst sich bei diesen Unterständen daran, wie sie genutzt werden“, sagt Borggräfe. Mit Echolot wollen die Naturschützer die Resonanz dieser Unterwasserbauwerke überprüfen.
Die Entwicklung eines lebendigen Fleets als Wanderkorridor und Lebensraum für Tierarten stelle in jedem Fall eine besondere Herausforderung dar. „Die Stadt Hamburg ist aber allgemein sehr kooperativ“, sagt Naturschützer Borggräfe. Indizien dafür seien die neugebauten Fischtreppen an Rathaus- und Mühlenschleuse, sie sollen mittelfristig Meerforellen, Neunaugen, Aalen und anderen Wanderfischen ermöglichen, von der Elbe in den Oberlauf der Alster zu gelangen.
Dort hat das Projekt „Lebendige Alster“ bereits einige Erfolge vorzuweisen. In Richtung Norden bietet der Fluss inzwischen wieder eine beeindruckende Artenvielfalt.