Hamburg. Eigentlich sollten sich die Menschen auf dem Weg nach Skandinavien hier ausruhen. Doch viele bleiben, weil sie auf einen Pass warten.
An den Tischen im Warteraum sitzen Flüchtlinge mit Koffern und Taschen, unter ihnen auch eine Frau aus Palästina. Die 51-Jährige will mit ihrer 26 Jahre alten Tochter weiterreisen nach Schweden, zu ihrem Sohn, der dort bereits seit fünf Jahren lebt. Doch jetzt muss sie in Hamburg einen längeren Zwischenstopp einlegen. Denn sie hat ihren Pass per Post an ihren Sohn geschickt, damit er auf der Flucht nicht verloren geht. Jetzt muss sie warten, bis ihr Sohn ihren Pass nach Hamburg bringt.
So wie ihr geht es mittlerweile vielen Flüchtlingen, die auf der Durchreise nach Skandinavien in der Tagesstätte für Transitflüchtlinge im Bieberhaus am Hauptbahnhof haltmachen. Sidonie Fernau vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, die die Tagesstätte leitet, erzählt, dass viele Flüchtlinge auf einen Pass warten, weil sie nur noch mit Pässen nach Skandinavien einreisen können. Viele haben ihre Pässe auf der Flucht verloren, oder sie sind ihnen abgenommen worden. Sie versuchen dann, über Kontakte in ihr Heimatland neue Pässe zu bekommen, und warten hier darauf, manche zwei, manche auch vier Wochen. Andere entscheiden sich auch dafür, ihre Reise abzubrechen und sich in Hamburg registrieren zu lassen.
In der Kinderkleiderkammer werden noch Helferinnen gebraucht
Der ehrenamtliche Helfer Ralf Groeneveld berichtet, bis Ende Dezember seien überwiegend junge Männer gekommen, seit ein paar Wochen aber immer mehr alleinstehende Frauen mit Kindern oder Familien. Dass jetzt wieder mehr Kinder unter den Reisenden sind, macht sich auch in der Kinderkleiderkammer der Tagesstätte bemerkbar. Dort werden manche Sachen knapp. „Zum Beispiel haben wir am Montag innerhalb von zwei Stunden 20 Paar neu gekaufte Schuhe an die Kinder verteilt. Seit zwei Wochen ist die Nachfrage in der Kinderkleiderkammer gestiegen, sodass wir jetzt statt 15 Kindern im Schnitt 30 bis 50 Kinder pro Tag mit neuer Kleidung versorgen“, sagt Martina Cords, ehrenamtliche Helferin in der Kinderkleiderkammer. Dort werden noch weibliche Helfer gesucht, die in der Zeit von acht bis 21 Uhr ein paar Stunden übrig haben, um das Team zu verstärken.
Unter den ehrenamtlichen Helfern sind auch viele Flüchltinge
Die Tagesstätte wurde im Dezember eingerichtet, vorher wurden durchreisende Flüchtlinge in Zelten am Hauptbahnhof betreut. Zurzeit besuchen etwa 200 bis 300 Flüchtlinge am Tag das Bieberhaus. Die meisten kommen aus Syrien, aus Afghanistan und dem Irak. „Im Herbst waren es noch 1000“ , sagt Christian Böhme, Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. „Wir rechnen damit, dass die Zahl wieder ansteigen wird, sobald es wärmer wird.“ Aber aus Brandschutzgründen dürfen sich nur 199 Menschen gleichzeitig in der Tagesstätte aufhalten. „Die Transitflüchtlinge können jetzt den ganzen Tag in der Einrichtung verbringen und werden am Abend auf die Schlafplätze verteilt. Sollten wieder deutlich mehr Flüchtlinge kommen als jetzt, wird das nicht mehr möglich sein“, sagt Tagesstätten-Leiterin Fernau. „Sie können dann unsere Angebote wie Beratung, Kleiderkammer, Essensausgabe und medizinische Versorgung nutzen und müssen danach das Haus verlassen, damit auch andere die Angebote wahrnehmen können.“
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Auf den 900 Quadratmetern, die bis Ende August mietfrei zur Verfügung stehen, befinden sich Aufenthaltsräume, eine Kita und Kleiderkammern sowie Beratungsräume und ein Arztzimmer für die medizinische Behandlung. Vier hauptamtliche Koordinatoren und Hunderte von ehrenamtlichen Helfern sind hier im Einsatz. Unter den Ehrenamtlichen sind auch viele Flüchtlinge, erzählt Sidonie Fernau. Sie arbeiten als Dolmetscher, übernehmen Putzdienste oder helfen bei der Essensausgabe.
Es gibt auch Reisende, die nur kurz im Bieberhaus bleiben
Die Tagesstätte ist von 8 bis 21.30 Uhr geöffnet. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in zwei Moscheen, bei der Caritas und in der Neuen Burg, einer kirchlichen Übernachtungsstätte in der Innenstadt.
In der Neuen Burg gibt es 200 Übernachtungsplätze, von denen zurzeit etwa 70 pro Nacht genutzt werden. „Die Planung war bisher, das Angebot bis Ende März aufrechtzuerhalten. Ob es darüber hinaus weitergeführt wird, ist zurzeit noch offen“, sagt Remmer Koch, Sprecher im Kirchenkreis Hamburg-Ost. Was passiert, wenn wieder mehr Flüchtlinge in Hamburg ankommen und auf ihre Weiterreise warten müssen, ebenso.
Es gibt aber auch Reisende, die nur kurz bleiben, um etwas zu essen oder zum Arzt zu gehen. Die meisten Patienten kommen wegen Erkältungen oder Zahnschmerzen zu ihm. „Aber ich erlebe auch wahre Horrorgeschichten“, erzählt Ernst Soldan, Hausarzt im Ruhestand. So sei eine junge Frau aus Afghanistan bei ihm gewesen, die eine riesige Narbe am Bauch hatte. Sie erzählte, dass sie eine Niere verkauft habe, um die Flucht bezahlen zu können. Als er das seinen Kollegen erzählte, berichtete einer über einen ähnlichen Fall bei einem Mann aus dem Irak. Im Bieberhaus können diese Menschen durchatmen. Ihre Flucht aber geht weiter.