Dieses Kontorhaus am Nikolaifleet kennen nur wenige. Dabei steht das Schmuckstück schon seit 1897 an dieser Keimzelle der Stadt.

Es war ein Wunder. Wer nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft durch die Straßen am Nikolaifleet mitten in Hamburg ging, sah nur Trümmer. Wie Mahnmale ragten verbrannte Ruinen in den Himmel vor 70 Jahren. Schutt füllte die Fleete. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass hier wenige Jahre zuvor pulsierendes Leben geherrscht hatte.

Nur zwei Kontorhäuser hatten die Bombardements halbwegs überstanden: Eines davon war der 1897 errichtete Laeiszhof. Wer heute auf der stark befahrenen Willy-Brandt-Straße unterwegs ist, übersieht das Kleinod schnell. In der Nachbarschaft stehen seelenlose Glasbauten. Lediglich die wenige Schritte entfernt liegende Ruine von St. Nikolai erinnert an die Zerstörung.

„Der Laeiszhof ist ein Kontorhaus in Hamburg, gelegen am Nikolaifleet südwestlich der Trostbrücke“, so die nüchterne Beschreibung in der Enzy­klo­pädie Wikipedia. „Es wurde 1897/98 für die Firma F. Laeisz nach Plänen von Bernhard Hanssen, Wilhelm Emil Meerwein und Martin Haller im Stil der Hannoverschen Architekturschule erbaut.“ Bis heute ist das Haus Sitz der Reederei F. Laeisz, deren Segelschiffe – wie die „Peking“, „Passat“ oder „Preussen“ – im endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als die weltweit schnellsten galten.

Hingucker Treppenhaus: So schön kann ein Funktionsbau sein
Hingucker Treppenhaus: So schön kann ein Funktionsbau sein © HA | Marcelo Hernandez

Das Nikolaifleet ist ein für Hamburgs Historie bedeutender Ort. Vor 828 Jahren – 1188 – begann hier die Entwicklung des Hafens. Die geschichtliche Bedeutung berücksichtigten die Architekten des Laeiszhofs bei der Gestaltung. „Der für den Hamburger Kontorhausbau ungewöhnliche Rückgriff auf die mittelalterlichen Formen der Hannoverschen Schule, hier besonders reich mit Glasurziegelbändern und einem rustizierten Werksteinsockel, erklärte sich wohl vor allem durch die Geschichtlichkeit des Bauplatzes“, heißt es im Architekturführer Hamburg von Ralf Lange.

Aber nicht nur der Hafen nahm hier seinen Anfang. Lange bezieht sich auch auf den Bau der Neuen Burg, die hier 1061 unter dem sächsischen Herzog Ordulf als Wallburg errichtet worden ist. Sie sollte „nach ihrer Schleifung unter den Schauenburger Grafen die Keimzelle einer aufstrebenden Kaufmannssiedlung“ werden. Gut 130 Jahre später wurde hier die damalige Neustadt gegründet und anstelle der Burg die erste Nikolaikirche errichtet.

Beim Großen Brand im Mai 1842 sollte die Gegend wieder eine bedeutende Rolle in der Stadtgeschichte spielen. Das Feuer brach in einem der Kontorhäuser aus und zerstörte große Teile der Altstadt. Weil es lange trocken gewesen war und kräftiger Wind wehte, breitete sich das Feuer fast ungehindert aus. Davon ist nichts mehr zu sehen. Dafür erhebt sich auf der gegenüberliegenden Seite jetzt der Reederei-Sitz, ein dreiflügeliges Gebäude, dessen Grundriss dem gekrümmten Verlauf des Fleetes und der Straßen folgt. In der unteren Hälfte wurden Sandsteinquader verbaut, im oberen Teil Ziegel. Auffällig ist die vielfältige Gestaltung durch Farben, Erker, Stuckelemente und andere Verzierungen. Sechs Geschosse ragt das Kontorhaus in die Höhe, der Innenhof ist glasüberdacht.

Pudelfigur steht für eine Liebeserklärung

Die Dreigliedrigkeit ist an der Fassade abzulesen. Da ist zunächst das Kellergeschoss aus hellgrauen Granitquadersteinen. Ein Gesims schließt dieses Geschoss ab. Dann folgen zwei Etagen, ebenfalls mit Granit verblendet, aber statt des hellgrauen in einem rotbraunen Farbton. Es folgen zwei Hauptgeschosse und ein niedrigeres Attikageschoss. Die dritte Ebene der Fassade wurde mit reich gegliedertem Backstein verblendet. Die beiden Hauptgeschosse stechen hervor, weil ihre großen Fensternischen über zwei Etagen reichen. Zum anderen wechseln sich in der Horizontalen glasierte und unglasierte Ziegel ab, was das Gebäude mehrdimensional wirken lässt.

Im Dachbereich sind zwei kleine, quadratische Türmchen zu erkennen, dazwischen die Skulptur eines Pudels. Das Tier hat eine interessante Geschichte, die eng mit der Unternehmerfamilie verbunden ist. Carl Laeisz, der Sohn von Firmengründer Ferdinand Laeisz, versteckte mit ihm eine Liebeserklärung an seine Frau Sophie. Wegen ihrer nur schwer zu bändigenden krausen Haare trug sie den Kosenamen Pudel. Wobei das Wort selbst bei der Reederei schon seit 1857 eine Rolle spielte. Damals hatte Laeisz das erste Schiff, dessen Bau er in Auftrag gegeben hatte, auf diesen Namen getauft. Von dem Zeitpunkt an trug jedes weitere seiner 84 Segelschiffe einen Namen, der mit P anfing. Deshalb gingen die schnellen Segelschiffe der Reederei als die berühmten „Flying P-Liner“ in die Geschichte der Seefahrt ein. Sie umfuhren das gefährliche Kap Horn und sorgten dafür, dass die Reederei F. Laeisz zu den weltweit anerkanntesten wurde.

„Kraft, Fleiß, Fürsorge“: JugendstilBronzeskulptur von Caesar Scharff
„Kraft, Fleiß, Fürsorge“: JugendstilBronzeskulptur von Caesar Scharff © HA | Marcelo Hernandez

Der Laeiszhof steht als Kontorhaus nicht nur für einen Gebäudetyp, der in der Zeit von 1886 bis zum Zweiten Weltkrieg als Bürohaus – zumeist für Handelsunternehmen – entworfen und gebaut wurde. Vielmehr sagt seine Gestaltung auch etwas über den Erfolg des Handelshauses aus. Auch das Treppenhaus ist ein gutes Beispiel für eine repräsentative Gestaltung. Hamburgs berühmter Architekt Martin Haller unter Mitarbeit von Bernhard Hanssen und Emil Meerwein entwarf das Gebäude. Schon gut zehn Jahre zuvor hatte er mit dem Dovenhof den Prototyp eines Hamburger Kontorhauses entworfen. Ein Gebäude, das durch Funktionalität bestach, mit einer elektrischen Lichtzentrale, einer zentralen Sanitär- und Heizungsanlage sowie einem Paternoster. Daran orientierten sich die Architekten auch beim Laeiszhof.

Das Besondere der Kontorhäuser: Sie waren in der Aufteilung ihrer Räumlichkeiten flexibel. Auch der Laeisz­hof war für mehrere Unternehmen errichtet worden. So hatte dort nicht nur die Reederei F. Laeisz ihren Sitz, sondern auch bedeutende Seeversicherer. Den Grund dafür lieferte ­Laeisz, dessen Firma selbst bereits seit 1850 ein Assekuranzgeschäft – vornehmlich für das Schiffskasko- und Warenversicherungsgeschäft – betrieb. Und noch eine Gesellschaft zog bei der Fertigstellung ein und ist bis heute geblieben: die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), in der bei ihrer Gründung 1865 der von Ferdinand Laeisz vier Jahre zuvor ins Leben gerufene Hamburgische Rettungsverein aufgegangen war.

Das Gebäude wirkt ein wenig wie ein Museum – irgendwie ist es das auch

Wir passieren die Trostbrücke und stehen vor dem Eingang, der überraschend schmal ist und fast versteckt wirkt. Der Torbogen in der Mitte bildet den Zugang. Über der Tür prangt das Zeichen der Reederei F. Laeisz, dessen drei Sterne im Wappen die drei Standbeine – Handel, Schifffahrt und Versicherung – symbolisieren. Zwischen dem dritten und vierten Geschoss stehen vier von Bruno Kruse geschaffene Statuen: Kaiser Wilhelm I., Fürst Bismarck sowie die Generalfeldmarschälle Albrecht von Roon und Helmuth von Moltke.

Wer die Treppen hinaufsteigt, bemerkt die gusseisernen Säulen, die die Galerien stützen. Faszinierend sind die schmiedeeisernen Geländer mit floralen Ornamenten. Jedes Geschoss wird durch Ziffertafeln angezeigt. Die Wände sind weiß, die Decken dunkel. Das gepflegte Ambiente steht für wirtschaftlichen Erfolg und für Zeiten, in denen die Art des Bürogebäudes noch repräsentative Gründe hatte. Nikolaus H. Schües, Partner der Reederei F. ­Laeisz GmbH, sieht das allerdings deutlich nüchterner: „Das Haus wurde seinerzeit für das Unternehmen gebaut und bedeutet inzwischen ein Stück weit Identität.“ Wir sitzen in einem großzügigen Sitzungszimmer am Tisch. Durch die Fenster kann man das Fleet sehen. An einer Wand hängt ein überdimensionales Bild. „Es zeigt die Schiffe der Reederei F. Laeisz, die nach Ende des Ersten Weltkrieges in Chile arrestiert waren“, erklärt Schües. „Die Verhandlungen über diese Schiffe fanden in diesem Raum statt. Hier wurde über das Wohl und Wehe dieses Unternehmens entschieden.“

Es stand seinerzeit in der Tat außerordentlich ernst um das Unternehmen. Schließlich war nach der Weltkriegsniederlage des Deutschen Reichs im Versailler Vertrag festgelegt, dass nahezu alle deutschen Handelsschiffe den Alliierten ausgeliefert werden sollten. Für die Reederei bedeutete das den Entzug der Geschäftsgrundlage. Sie wurde nur dadurch gerettet, dass ihre Schiffe zunächst in Chile lagen und die Reederei bei der Rückführung in die Heimat auf eigene Rechnung das in Europa dringend benötigte Salpeter transportieren durfte. Der Erlös der Frachten war so hoch, dass das Unternehmen die meisten Segelschiffe zurückkaufen konnte.

In der Entstehungszeit der Hamburger Kontorhäuser das Nonplusultra der Moderne: Paternoster, die Mitarbeiter und Besucher in die sechs Geschosse fuhren
In der Entstehungszeit der Hamburger Kontorhäuser das Nonplusultra der Moderne: Paternoster, die Mitarbeiter und Besucher in die sechs Geschosse fuhren © HA | Marcelo Hernandez

Nicht nur wenn man von derartigen geschichtlichen Vorgängen erfährt, wirkt der Laeiszhof ein wenig wie ein Museum. Wir sind wieder zurück in der Eingangshalle und nähern uns einer dunklen, monumentalen Bronzeskulptur. Sie ist das letzte Werk des Jugendstilkünstlers Caesar Scharff. Die Reederei stellte die Skulptur 1903 auf. Sie stellt einen Werftarbeiter, einen Seemann sowie eine weibliche Gestalt dar und soll jene Bürgertugenden von „Kraft, Fleiß und Fürsorge“ symbolisieren, denen die Firma sich bis heute verpflichtet fühlt. Der erste Blick fällt auf einen kräftigen, muskulösen Mann, der in der Mitte auf einem Sockel steht und als die zentrale Figur gilt. Er ist nur mit einem Lendenschurz und einem Südwester – einer aus Öltuch hergestellten, wasserdichten Kopfbedeckung für Seefahrer – bekleidet. Sein Gesicht ist ernst, sein Blick in die Ferne gerichtet. Im angewinkelten rechten Arm hält der Mann, der den Seemannsberuf symbolisiert, ein Schiffsmodell. Links neben ihm sitzt eine Frau mit einem dicken Buch im Schoß. Sie steht für das Schiffskasko- und Warenversicherungsgeschäft. Ihr gehobener linker Arm bedeutet eine schützende, ja fast abwehrende Geste, so als wollte sie Unheil von dem Seemann abwenden. Auf der rechten Seite sitzt ein kräftiger Mann – ein Werftarbeiter, wie die Schiffsschraube, die er in den Händen hält, ahnen lässt. An der Rückwand hinter der Skulptur sind Reliefs von Hafenszenen zu erkennen.

Dort ist auch das Segelschiff „Preussen“ zu sehen, das eine besondere Rolle in der Firmengeschichte spielt. Der Enkel des Gründers Ferdinand ­Laeisz, Carl Ferdinand, galt als genialer Schiffsbauer, aber auch als Dickkopf. Während einer Grippewelle 1900 bekam er hohes Fieber, wollte sich jedoch nicht mit der verschriebenen Bettruhe abfinden. Er unternahm eine Radtour und fuhr an einem Tag von Hamburg nach Schwerin und wieder zurück. Das war zu viel für den kranken Körper. Carl Ferdinand starb. In seinem Schreibtisch fand man die fertig ausgearbeiteten Pläne für die „Preussen“. Sein Vater Carl Laeisz sorgte dafür, dass sie gebaut wurde. Sie war die einzige Fünfmastbark der Weltschifffahrt und galt technisch als der Höhepunkt der Salpeterfahrt um das Kap Horn. Nach einer Kollision, die ein Dampfer verschuldete, ging das Schiff 1910 im Kanal zwischen England und Frankreich verloren.

Beim Verlassen des Laeiszhofs fällt noch die aufwendige Kupferverkleidung der Tür ins Auge. Es ist wie so oft in Hamburg: Was funktional aussieht, entfaltet in seinem Inneren eine unerwartet edle Eleganz.