Hamburg. Die Gebäude stehen leer, werden vernachlässigt oder sind von Abriss bedroht. Der Denkmalschutzverein ist alarmiert.

Sie sind architektonische Kleinode, die Hamburgs Innenstadt unverwechselbar machen: die verbliebenen Kontor- oder Speicherhäuser aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert mit ihren prachtvollen Stuck- oder Backsteinfassaden. Viele von ihnen sind denkmalgeschützt, doch nicht allen bietet das wirklichen Schutz. Manche werden vernachlässigt oder stehen jahrelang leer – bis sie lukrativ verkauft werden können oder ihr Abriss genehmigt wird, weil sie baulich nicht mehr zu erhalten sind.

Helmuth Barth, Denkmalschützer und Loretana de Libero, Historikerin, vom Denkmalverein
Helmuth Barth, Denkmalschützer und Loretana de Libero, Historikerin, vom Denkmalverein © HA / Mark Sandten | HA

Denkmalschützer befürchten, dass dieses Schicksal gleich einer ganzen Häuserzeile am Rödingsmarkt drohen könnte – obwohl die Hausnummern 19 bis 25 unter Denkmalschutz stehen, das Eckhaus Nummer 27 von einigen Denkmalexperten als schützenswert betrachtet wird und für das gesamte Viertel eine Erhaltungsverordnung besteht. „Hier ist Gefahr im Verzug“, sagt Helmuth Barth vom Denkmalverein. „Und das gilt auch für andere geschützte Gebäude in der Innenstadt.“

Eine gesetzliche Grundlage gegen den Leerstand von Denkmälern gibt es nicht. Erst wenn ein solches Bauwerk gefährdet ist und das Denkmalschutzamt darüber informiert wird, kann der Eigentümer zu Sicherungsmaßnahmen verpflichtet werden. „Dann ist es meist schon zu spät“, sagt Loretana de Libero, Historikerin, Denkmalschützerin und ehemalige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. Gerade bei leer stehenden Gebäuden fänden kaum Kontrollen statt. Dabei sei der Eigentümer verpflichtet, denkmalgeschützte Gebäude instand zu setzen und zu erhalten. Komme er diesen Verpflichtungen nicht nach, drohten Bußgelder oder sogar eine Enteignung.

Die Häuserzeile Rödingsmarkt 19–27

Tatsächlich steht das 1888 erbaute sogenannte Flügger-Haus am Rödingsmarkt 19 seit 2009 leer. Seine rückwärtige Backsteinfassade und das Hinterhaus sind äußerlich in einem maroden Zustand – ebenso wie der Eingangs­bereich und die alten Lagerhäuser im Hinterhof des Nachbargebäudes Rödingsmarkt 21 bis 25, das 1937 errichtet wurde. Das Eckhaus daneben, das historische „Rödingsmarkthaus“, steht ebenfalls seit Jahren leer. „Ein Antrag der Patriotischen Gesellschaft, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen, wurde von der Kulturbehörde 2013 wegen ,zu vieler Veränderungen‘ abgelehnt“, sagt Loretana de Libero.

Alarmiert ist sie, weil für das gesamte Ensemble kürzlich ein Antrag auf Neu- und Umbau gestellt wurde. Die Gebäude gehören zu dem sogenannten Kontor-Portfolio, das das US-Unternehmen Castlelake und der Hamburger Immobilienentwickler Dieter Becken 2013/2014 für 330 Millionen Euro erworben haben (109 Objekte). Eine bis zu zehngeschossige Bebauung stellen sich die Investoren der Bauvoranfrage zufolge hier vor.

„Glücklicherweise wurde der Antrag mit dem Verweis auf Denkmalschutz und Erhaltungsverordnung abgelehnt“, sagt de Libero. „Doch der Vorbescheid gilt nur zwei Jahre. Wer weiß, in welchem Zustand die Gebäude dann sind. Vielleicht kommen die Besitzer dann damit durch, dass ein Erhalt ihnen wirtschaftlich nicht mehr zuzumuten ist.“ So weit will es Miteigentümer Becken nicht kommen lassen. Ein Neubau mit Wohnungen sei lediglich anstelle der Hinterhofgebäude geplant gewesen, sagt er. „Die hätten wir laut einer ersten Absprache mit dem Denkmalschutzamt abreißen dürfen. Dann hat es sich aber doch dagegen entschieden.“ Nach dem ablehnenden Bauvorbescheid müsse man nun neu planen.

Ginge es nach ihm, würden die historischen Fassaden auf jeden Fall erhalten bleiben. „Ich bin bekannt dafür, dass ich Denkmäler mit Liebe saniere“, sagt Becken. Letztendlich sei er zwar nur Minderheitseigentümer, könne sich aber nicht vorstellen, dass Castlelake sich bei der Planung des Rödingsmarkts gegen ihn stellen werde.

Der Commerzbank-Altbau am Neß

Große Sorgen machen sich die Denkmalschützer Barth und de Libero auch um den imposanten Commerzbank-Altbau an der Straße Neß. Er soll gemeinsam mit dem benachbarten Hochhaus als Ensemble verkauft werden. Das Gelände nahe dem Rathaus und unmittelbar am Nikolaifleet ist ein Filetgrundstück für Projektentwickler. „Büros, Wohnungen, ein Hotel: Hier ist alles möglich“, sagt Helmuth Barth. Er befürchte den Abriss des Altbaus, denn der ist – anders als das in den 1960er-Jahren von Nachkriegsarchitekt Godber Nissen erbaute Hochhaus – nicht denkmalgeschützt. Barth fordert daher eine nachträgliche Unterschutzstellung des Gebäudes. „Der Leiter des Denkmalschutzamts hat angekündigt, nachinventarisieren zu wollen und weitere schützenswerte Bauwerke in die Denkmalschutzliste einzutragen“, sagt Barth. „Wenn es ihm wirklich ernst ist, muss er das auch mit dem Commerzbank-Altbau tun.“

Die Kulturbehörde, der das Denkmalschutzamt untersteht, will davon nichts wissen. „Der Altbau wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg mehrfach erweitert und umgebaut, ebenso in den 1920er-Jahren und nach dem Krieg“, hieß es auf Abendblatt-Anfrage. Insgesamt sei das Gebäude für keine seiner Bauphasen kennzeichnend und werde deshalb nicht unter Denkmalschutz gestellt.

Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) bezeichnet die Chancen für den Altbau, erhalten zu bleiben, daher auch als „schlecht einschätzbar“. Er freue sich zwar, dass der Standort entwickelt wird, und wünscht sich dort unter anderem Wohnungen. „Es wäre jedoch ein großer Verlust für die Stadt, wenn das historische Gebäude abgerissen würde.“ Dieser Meinung ist auch Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Hamburg-Mitte. „Es wäre toll, wenn am Neß Wohnungsbau realisiert werden könnte und der schöne Altbau erhalten bleibt.“ Das sei zwar „baurechtlich schwierig“, aber: „Wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, um das zu ermöglichen. Denn ebenso wie das Haus der Patriotischen Gesellschaft ist auch der Commerzbank-Altbau prägend für das Viertel.“

Der Globushof an der Trostbrücke

Denkmalgeschützt, aber nichtsdestotrotz ebenfalls „Sorgenkind“ ist für Helmuth Barth der 1907 von Werner Kallmorgen erbaute Globushof an der Trostbrücke. Das mit kupfernen Schiffsmodellen und einem Neptun gekrönte Gebäude steht leer, seit die Allianz den Standort, zu dem auch das benachbarte Silberling-Hochhaus gehört, 2012 – nach mehr als 40 Jahren – verlassen hat. Auf dem 7000 Quadratmeter großen Filetgrundstück will die Commerzbank-Tochter Commerz Real bis Ende 2018 die „Burstah Ensembles“ errichten: einen Neubau mit Büros, Gewerbe, Wohnungen sowie einem Hotel im Globushof.

Auch hier sieht Barth Gefahr im Verzug. „Zwei weitere Jahre Leerstand sind zu lang. Darunter leidet die Gebäudesubstanz.“ Unternehmenssprecher Markus Esser hält das für ausgeschlossen: „Beim Globushof besteht Sicherungs- und Witterungsschutz.“ So könnten weder Unbefugte das Gebäude betreten, noch könne von oben oder vom angrenzenden Nikolaifleet her Wasser eindringen.

Das Kontorhaus an der Holzbrücke

Ein Stück weiter am Nikolaifleet liegt der frühere Sitz der Reederei Hamburg-Süd. Das Kontorhaus an der Holzbrücke 8 gehörte lange dem Bund: Zuletzt war in dem Prachtbau eine Dienststelle der Zollverwaltung untergebracht, seit Mitte 2013 steht es leer.

Jetzt wurde er nach Abendblatt-Informationen verkauft. Der Besitzer soll darin ein Hotel und Luxuswohnungen planen. Nach Meinung Loretana de Liberos hätte die Stadt das von Martin Haller 1890 erbaute Haus, für das sie ein Vorkaufsrecht besaß, erwerben müssen. „Sie hätte hier günstiges Wohnen ermöglichen können, statt den Ausverkauf ihrer Geschichte voranzutreiben.“ Im gesamten Altstadtbereich gebe es bereits zu viele Hotels und teure Wohnungen. Dabei sei Gentrifizierung eine zusätzliche Gefahr für Denkmäler. Neu zu bauen solle nicht lukrativer sein als der Erhalt des historischen Bestands. Doch für Immobilien werde deutlich mehr gezahlt, wenn sie abgerissen werden dürfen.

Das zeigt sich bei den City-Höfen: Dort hatte ein Investor den Zuschlag bekommen, der abreißen will. Er hatte mit rund 35 Millionen Euro fünf Millionen mehr geboten als der Mitbewerber, der den Bestand sanieren wollte.