Scholz hat seine minimalistische Art und seinen Umgang mit den Medien im Griff. Kurze Ansprachen, keine Fragen, keine Patzer.

Schon die Einladung hatte etwas Bürokratisch-Beiläufiges. „Pressestatement von Bürgermeister Olaf Scholz zu personellem Wechsel im Senat“, lautete der kurze Text, der am Montagnachmittag mit Ort und Uhrzeit an die Redaktionen verschickt wurde. Namen sind Schall und Rauch – außer dem des Bürgermeisters –, möchte man meinen. Aber gut, die meisten Journalisten, die sich nach 90-minütigem Vorlauf im Rathaus einfanden, wussten wohl, dass Innensenator Michael Neumann (SPD) nach langem Hin und Her nunmehr zurückgetreten war und Mitte-Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) sein Nachfolger werden sollte.

Auch der Auftritt der drei Politiker auf der Senatstreppe vor Kameras und Mikrofonen war durch und durch geschäftsmäßig, das ist Teil der Inszenierung. Scholz strich die Bedeutung der inneren Sicherheit für die Stadt heraus und attestierte Neumann, „großartige Arbeit geleistet“ zu haben. Neumann ließ als Einziger ein Lächeln über seine Züge huschen, er fühle sich „ein Stück weit erleichtert“, gab er zu. Das Amt auszuüben sei eine Ehre, aber die damit verbundenen Aufgaben „häufig auch eine Bürde“ gewesen. Grote sprach von einer großen Herausforderung, der er „mit angemessenem Respekt, aber voller Kraft“ begegnen wolle.

Nachfragen waren nicht erlaubt – dieses Risiko schließt der Bürgermeister aus

Nach siebeneinhalb Minuten war alles vorbei. „Schönen Dank“, rief Scholz noch, ehe die drei wieder verschwanden. Fragen der Journalisten? Sind in der Dramaturgie solcher Auftritte nicht vorgesehen. Da hat der Bürgermeister längst seinen eigenen, minimalistischen Stil gefunden. So war es, als der damalige Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) im Februar 2012 seinen Hut nahm, nachdem Scholz ihn nach dem Tod der elfjährigen Chantal, die unter der Obhut des Jugendamtes Mitte stand, dazu gedrängt hatte. Und genauso lief Scholz’ Vorstellung der neuen Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) und die Verabschiedung ihres Vorgängers Detlef Scheele (SPD) Ende September des vergangenen Jahres ab.

Die Antworten auf Nachfragen von Journalisten können eine klare Botschaft vernebeln, Akzente verschieben oder – im schlimmsten Fall – Ungewolltes offenbaren. Scholz weiß um diese Risiken und schließt sie lieber aus. Im Übrigen: Wenn er einmal Nachfragen zulässt, ist es eine Regel. Dann muss er es immer so machen bei vergleichbaren Gelegenheiten. Das ist seine Erfahrung mit den Medien. Auch Scholz kann sich offenbar nicht sicher sein, dass er nicht auch einmal einen „Kandidaten“ oder eine „Kandidatin“ dabeihat, der oder die angesichts überraschender Fragen „patzt“.

Diese Kurz-Shows vor laufenden Kameras enthalten vor allem zwei verborgene Botschaften. Erstens: Ein Personalwechsel ist etwas Normales in der Demokratie und kann den Regierungsbetrieb nicht ernsthaft stören. Also macht man ein staatstragendes Gesicht und möglichst wenig Aufheben von der Sache. Zweitens: Scholz erscheint bei dieser Choreografie als zentrale Figur, die die Fäden der Macht in den Händen hält. Das ist ja nun faktisch insgesamt auch kaum von der Hand zu weisen. Dennoch: Scholz betont gern die Teamleistung des Senats, was allzu große Profilierung Einzelner ausschließt.

Die Kehrseite: Öffentlicher Tadel des Bürgermeisters für Senatsmitglieder sind tatsächlich Fehlanzeige. Das würde dem viel zitierten „ordentlichen Regieren“ zuwiderlaufen. „Ich gebe Ratschläge – intern“, sagt der Bürgermeister nur. Öffentliches Schweigen ist Scholz’ schärfste Form der Missbilligung, wenn sich ein Senator einmal vergaloppiert hat.

Dass Scholz auch gegenüber seiner Partei – er ist Landesvorsitzender – und der Bürgerschaftsfraktion die Zügel kurzhält, stößt mittlerweile bei einigen Betroffenen übel auf, zumindest hinter vorgehaltener Hand. Im Fall der Nominierung von Andy Grote bedeutete das, dass der Landesvorstand kurz vor dem Pressestatement zu einer Sondersitzung praktischerweise ins Rathaus gebeten wurde und Scholz danach die SPD-Abgeordneten über die Personalie informierte. Nachfragen oder eine Aussprache gab es nicht.

Scholz trifft Personalentscheidungen weitgehend im Alleingang und berät sich nur mit sehr wenigen Vertrauten. Im Falle der Grote-Personalie waren dies SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, Senatskanzlei-Staatsrat Christoph Krupp und Innenbehörden-Staatsrat Bernd Krösser. Dressel, ausgewiesener Innenexperte, hatte selbst frühzeitig abgelehnt, als Senator in die Innenbehörde zu wechseln. Im Gespräch als Neumann-Nachfolger war auch der Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke. Den Ausschlag für Grote gab nicht zuletzt, dass er wie Neumann dem SPD-Kreisverband Mitte angehört, dessen Vorsitzender Johannes Kahrs darauf gedrängt hatte, dass wieder ein SPD-Mitte-Mitglied dem Senat angehört.

Olaf Scholz hätte Innensenator Michael Neumann gern im Amt gehalten

Zwar hat nicht zuletzt diese Zeitung über Neumanns Amtsmüdigkeit in den zurückliegenden Wochen berichtet und auf den nahen Abschied hingewiesen. Wahr ist auf der anderen Seite aber auch, dass Scholz den Berufssoldaten Neumann sehr gern im Amt gehalten hätte. Scholz sagte am Montag, dass er Neumanns Rücktrittswunsch schon vor der Bürgerschaftswahl vor einem Jahr akzeptiert hätte.

Nur war da noch nicht über den Zeitpunkt geredet worden. Direkt nach dem verlorenen Olympia-Referendum am 29. November konnte Scholz den maßlos enttäuschten Neumann von der Demission abhalten. Da war der 18. Januar kurz vor der ersten Bürgerschaftssitzung im neuen Jahr, auf der Neumanns Nachfolger dann auch gewählt wurde, immerhin ein Kompromiss.

Grote erhielt 72 Jastimmen, so viele Abgeordnete haben SPD und Grüne zusammen. Viel spricht dafür, dass die 14 Grünen-Abgeordneten Grote gewählt haben. Das ist insofern bemerkenswert, als die Grünen-Fraktion im Dezember 2014 nach dem Tod der dreijährigen Yagmur den Rücktritt des damaligen Mitte-Bezirksamtsleiters Grote gefordert hatte. Aber da waren die Grünen ja auch noch in der Opposition, und die SPD regierte allein.